Familie schafft Chancen

Frau Sliwka, woran forschen Sie gerade?
Frau Sliwka:
Zusammen mit meiner Kollegin Susanne Frank habe ich die wissenschaftliche Begleitung für das FamilY-Programm, ein Konzept vom buddY e.V., übernommen. Das buddY-Projekt setzt sich allgemein dafür ein, dass die Schule nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, sondern auch ein Ort für den Erwerb sozialer und emotionaler Kompetenzen ist. Das FamilY-Programm ist dabei ein Bildungsangebot für Eltern mit Kindern am Übergang vom Kindergarten in die Grundschule.

Was ist der Hintergrund Ihrer Forschungsaktivität?
Man weiß bereits, dass die Rolle der Eltern im Bildungsprozess von Kindern enorm wichtig ist und dass Eltern bestimmte Verhaltensweisen von Kindern beeinflussen können - zum Beispiel welche Strategien ein Kind beim Lernen einsetzt. Und genau da setzt das FamilY-Projekt an: Wir wollen Eltern in ihrer Rolle als Partner im Bildungsprozess der Kinder kompetent machen und Berührungsängste mit Schule und Bildung abbauen.
Es ist uns gelungen, die Forschung im Rahmen des Programms "Soziale Ungleichheit" über das Bundesministerium für Bildung und Forschung zu finanzieren: Wir übernehmen die wissenschaftliche Prozessbegleitung der Programmeinführung, während sich Frau Prof. Dr. Elke Wild von der Universität Bielefeld mit der Wirkungsevaluation beschäftigt.

Stichwort "Soziale Ungleichheit": Wurde das Programm auf eine bestimmte Eltern-Gruppe zugeschnitten?
Ja. Das Programm wurde für Eltern entwickelt, die gewisse "Berührungsängste" mit schulischer Bildung haben; Eltern, die eventuell ihre eigene Schulzeit als schwierig erlebt haben. Aber wir wollen keine Stigmatisierung: Es werden alle Eltern angesprochen und zur Teilnahme eingeladen. Die Kindergärten und Schulen, an denen das FamilY-Projekt angeboten wird, liegen überwiegend in Stadtteilen, in denen ein großer Teil der Bevölkerung sozial benachteiligt ist.

Wie gewinnen Sie die Eltern für Ihr Programm?
Im Moment wird das Programm in drei Modell-Regionen erprobt: In Teilen Berlins, auf dem Land in Ostwestfalen und in zwei Stadtteilen Düsseldorfs. Hier arbeitet der buddY e.V. bei der Umsetzung eng mit den Kommunen zusammen.

Und wie gehen Sie im Anschluss konkret vor?
Wir schulen zuerst sogenannte familY-Begleiter, die übrigens alle eine pädagogische Ausbildung haben, damit diese die Treffen der Eltern organisieren und moderieren können.
Für jede Gruppe gibt es elf dieser Elterntreffen: Die Hälfte der Workshops ein halbes Jahr vor Einschulung der Kinder und die andere nach der Einschulung. Die Eltern erfahren hier unter anderem, mit welchen ganz einfachen Methoden der Alltag zuhause spielerisch als Lernsituation genutzt werden kann oder wie sie die Interessen ihres Kindes fördern und es in seiner Lernmotivation stärken und unterstützen können.
Wenn ein Kind in der ersten Klasse zum Beispiel im Zehner-Bereich zählen lernt, können die Eltern beim Einkaufen im Supermarkt ihr Kind bitten, vier Äpfel zu nehmen und in den Einkaufswagen zu legen. Oder wenn der Tisch abends gedeckt wird, kann das Kind dabei das Besteck abzählen. Bei einem Spaziergang in der Stadt können Eltern und Kinder gemeinsam nach Dingen Ausschau halten, die sie bisher noch nicht wahrgenommen haben und darüber sprechen. Das sind alles ganz einfache Dinge, die das Lernen unterstützen und für die man kein Geld braucht.

Wie lang läuft das FamilY-Projekt bereits?
Das Projekt befindet sich noch in der Pilotphase, die jetzt seit drei Jahren läuft. Nächstes Jahr geht es in die so genannte "Roll-out"-Phase, das heißt, wir überlegen uns, wie man das Programm auf andere Kommunen bundesweit übertragen kann.

Liegen bereits erste Ergebnisse vor?
Frau Frank und ich beschäftigen uns ja unter anderem mit der Frage, ob das Programm überhaupt den Bedürfnissen der Eltern entspricht. Hier konnten wir erste Erkenntnisse über die Rahmenbedingungen der Eltern-Workshops gewinnen. So ist zum Beispiel die Sprache ganz wichtig! Es darf keine Fachsprache verwendet werden, sondern eine anschauliche Sprache, die jeder verstehen kann.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Zeiten der Workshops familienfreundlich sind und eine Kinderbetreuung während der Workshops angeboten wird. Auch sollten die Kindergärten und Schulen eine Willkommenskultur den Eltern gegenüber pflegen, besonders was Elterngespräche und Elternabende betrifft, und die Mitspracherechte der Eltern fördern. Eltern müssen das Gefühl haben, dass sie willkommen sind und auf Augenhöhe angesprochen werden.
Ein erfreuliches Ergebnis ist außerdem die soziale Komponente: In den Gruppen treffen sich Eltern mit ähnlichen Problemen und fühlen sich dadurch gestärkt. Und über diese Treffen hinaus entwickeln sich weitere soziale Kontakte, die dann auch von den Eltern gepflegt werden.

Wie wirken sich diese neuen Netzwerke konkret aus?

In Berlin haben wir eine besonders schöne Entwicklung erlebt: Dort hat sich eine ganze Gruppe von Eltern, die sich vorher gar nicht kannten und gemeinsam an einem der Trainings teilgenommen haben, als Elternvertreter in der Grundschule wählen lassen. Das ist bemerkenswert, da wir aus der Forschung wissen, dass sich gerade sozial benachteiligte Eltern selten in ein schulisches Elternamt wählen lassen. Unser Programm hat sie also darin bestärkt, in der Schule und für die Schule Verantwortung zu übernehmen. Das wiederum stärkt auch ihre Kinder.

Welche Erkenntnisse sind für die Pädagogische Hochschule wichtig?
Eine ganz zentrale Erkenntnis aus dem Projekt ist die Bedeutung der Elternarbeit. Dies war auch unser Ausgangspunkt: Die internationale Bildungsforschung weist darauf hin, dass Bildungssysteme besonders davon profitieren, wenn Eltern und Schule an einem Strang ziehen, um Kinder wirksam zu fördern. Eltern müssen unabhängig von ihren eigenen Erfahrungen ein Vertrauensverhältnis zur Schule entwickeln, sie müssen sich dort willkommen fühlen und ihre eigenen potenziellen Ängste nicht auf die Schule ihrer Kinder übertragen.
Unsere Arbeit bestätigt, wie wichtig eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus ist. Diesen Zusammenhang versuchen wir auch unseren Studierenden, den angehenden Lehrkräften, zu vermitteln: Bereits während ihrer Ausbildung sollen sie sich damit beschäftigen, wie sie eine heterogene Elternschaft ansprechen und in das Schulgeschehen einbinden können. Konkrete, positive Beispiele erhalten sie aus unserer Arbeit.

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veröffentlicht am 25. Juni 2013