Inklusion beginnt im Kopf

Liebes EFI-Team, woran forschen Sie gerade?
Frau Janz: Wir erfassen die Einstellungen von Lehrkräften, Eltern und ausgewählten Entscheidungsträgern zur Inklusion. Des Weiteren untersuchen wir Zusammenhänge dieser Einstellungen mit Hintergrundvariablen, Vorerfahrungen bezüglich Behinderung bzw. integrativem Unterricht sowie mit Persönlichkeitsvariablen.
Da das Projekt den Schulversuch zur Umsetzung der Empfehlungen des Expertenrats zur schulischen Bildung von jungen Menschen mit Behinderung begleitet, wurde im Herbst 2011 eine Erhebung von Lehrkräften und Eltern aller Schularten in Mannheim durchgeführt. Im Herbst 2012 folgte aufgrund der guten Resonanz und des großen Interesses eine äquivalente Befragung in Heidelberg. Neben dieser quantitativen Erhebung wurden Experteninterviews mit Entscheidungsträgern geführt, z.B. mit Vertretern aus dem Ministerium, dem Schulamt oder mit Schulleitungen.

Was genau bedeutet Inklusion in dem Zusammenhang?
Frau Heyl:
Wir fragen die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer zunächst direkt, was sie selbst unter Inklusion verstehen. Für die weitere Bearbeitung des Fragebogens geben wir eine Minimaldefinition vor. Dieser Definition zufolge meint Inklusion, dass grundsätzlich alle Kinder ganz selbstverständlich eine wohnortnahe allgemeine Schule besuchen (die dann inklusive Schule genannt wird) und dort gemeinsam unterrichtet werden. Auch wenn Inklusion nach unserem Verständnis wirklich alle Kinder meint, spielen Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in unserem Projekt eine wesentliche Rolle.

Was war Ihre Motivation, in diesem Bereich zu forschen?
Frau Trumpa:
Inklusion ist ein Thema, das alle betrifft und in pädagogischen Feldern nicht erst seit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention diskutiert wird. Aber diese öffentliche bildungspolitische Debatte und nicht zuletzt die angestrebten Änderungen im Schulgesetz zeigen uns, wie wichtig Studien zu diesem relativ jungen Themengebiet sind.
Um die Inklusionsdiskussion und ihre Forschung offiziell an der PH zu stärken, fand vor zweieinhalb Jahren ein Treffen von Mitgliedern aller Fakultäten und Fächer statt; das Ergebnis ist die "Forschungsinitiative Inklusion" (FINK). Das Ziel war und ist, einen offenen und lebendigen Dialog zum Thema zu führen und Synergieeffekte bei verschiedenen Forschungsprojekten zu nutzen.
Und in der Vorstellungsrunde kristallisierte sich auf Grund unserer Forschungsinteressen schnell heraus, dass wir vier - als Team - ein neues Projekt in die Wege leiten könnten.

Sie arbeiten mit den Städten Mannheim und Heidelberg zusammen?
Frau Seifried:
Ja genau. Kurz nachdem wir uns konstituiert hatten, kamen wir in Kontakt mit der Abteilung Bildungsplanung/Schulentwicklung der Stadt Mannheim, die sich als Schulträger zu diesem Zeitpunkt mit dem Schulversuch zur gemeinsamen Beschulung von behinderten und nicht-behinderten Kindern befasste.
Da trafen unser Forschungsanliegen und der Bedarf nach belastbaren Daten günstig aufeinander. Somit wurde uns Unterstützung zugesagt, unter anderem auch finanziell, und Türen geöffnet. Parallel gab es über die PH eine Forschungsförderung, auf die wir uns beworben hatten.
Wegen des großen Interesses kooperieren wir nun seit Juni 2012 auch mit dem Regionalen Bildungsbüro der Stadt Heidelberg.

Wie lang arbeiten Sie schon an diesem Projekt?
Frau Heyl:
Die Förderung läuft nun seit einem Jahr. Die Erhebung in Mannheim ist abgeschlossen. Die ersten Auswertungen sind gelaufen und erste Ergebnisse haben wir auf Tagungen und vor der Stadt Mannheim, also auch im politischen Kontext, präsentiert.

Welche Gruppen waren für die Beantwortung der Fragebögen vorgesehen?
Frau Janz:
Wir haben Lehrkräfte und Eltern an Grund-, Werkreal, Real- und Sonderschulen sowie Gymnasien befragt.
Frau Trumpa: Ergänzend zu den Fragebögen kamen dann noch Interviews mit Entscheidungsträgern dazu. Ich habe mit Lehrerinnen gesprochen, die jetzt mit dem gemeinsamen Unterricht angefangen haben und mit Schulleitern, jeweils einer von jeder Schulart. Außerdem fanden Interviews mit Vertretern der Stadt, dem Schulamt, dem Regierungspräsidium sowie einer Person aus dem Ministerium statt. Auf diese Weise haben wir die Meinungen und Haltungen auf allen relevanten Ebenen erfasst.

Können Sie schon von ersten Ergebnissen berichten?
Frau Trumpa:
Die Lehrkräfte und die Schulleiter in Mannheim sind der Meinung, dass Inklusion auf Dauer nicht funktionieren wird, wenn sich die Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel große Klassen, fehlendes Personal und beengte räumliche Ausstattungen nicht ändern. Darin sehen sie das größte Problem und warten auf Anweisungen und Zuteilungen.
Auf den höheren Ebenen - wie dem Regierungspräsidium und dem Ministerium - wird jedoch der zentrale Schlüssel in der richtigen Einstellung der Lehrkräfte gesehen. Dann würde es auch unter den gegebenen Umständen bzw. mit nur geringen zusätzlichen Ressourcen gehen. Sie setzen auf die Kraft der Innovation "von unten". Da zeichnen sich ein deutlicher Unterschied und auch ein Verantwortungskonflikt ab.
Frau Heyl: Die Ergebnisse der Fragebogenuntersuchung in Mannheim zeigen, dass die Einstellungen zu Inklusion über alle Schularten hinweg überwiegend positiv sind, bei den Eltern jedoch positiver als bei den Lehrkräften.
Man könnte vielleicht meinen, dass die Eltern aus dem gymnasialen Bereich aus Furcht vor Leistungseinbußen eher Bedenken gegenüber Inklusion haben könnten. Dies war aber nicht der Fall.
Innerhalb der Lehrerschaft sind es die Sonderpädagogen, die am positivsten eingestellt sind. Die Einstellung der Grundschullehrkräfte ist in der Tendenz am negativsten, möglicherweise deshalb, weil sie in der Realität am ehesten mit Inklusion konfrontiert sein werden und sich daher zurückhaltender äußern.
Frau Seifried: Wir haben darüber hinaus auch offene Fragen zur Umsetzung von Inklusion gestellt. Hinsichtlich der Forderungen zeigt sich beispielsweise, dass sich knapp die Hälfte aller Nennungen sowohl von Lehrkräften als auch von Eltern auf den Wunsch nach mehr Personal und auf geeignete räumliche, sächliche und technische Ausstattung bezieht. Bei den Lehrkräften folgen Forderungen nach entsprechender Aus- und Weiterbildung, kleineren Klassen und Beratung. Die Eltern fordern konkrete Maßnahmen (z.B. individuelle Förderung, aber auch Ganztagsschulen und Einbezug der Eltern) sowie ebenfalls entsprechende Aus- und Weiterbildung und kleineren Klassen.

Wo kann man mehr über Ihr Projekt erfahren?
Frau Trumpa:
Es gibt nach wie vor die Forschungsinitiative Inklusion, in der wir uns mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Haus austauschen. Über diesen Zusammenschluss wird auch für das nächste Frühjahr eine Tagung geplant: Inklusive Entwicklungslinien 2013 (Pädagogische Hochschule Heidelberg, 7. bis 8. März 2013). An der Planung und Gestaltung sind wir maßgeblich beteiligt und werden dort natürlich auch unsere Forschungsergebnisse vorstellen.
Frau Janz: Und natürlich haben wir eine Projekthomepage, auf der man mehr über unsere Veröffentlichungen, Vorträge und generelle Neuigkeiten über EFI erfahren kann (URL: ph-heidelberg.de/forschungsprojekt-efi).

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veröffentlicht am 13. Januar 2013