Der Dialog zwischen den Religionen

Frau Boehme, woran forschen Sie gerade?
Frau Boehme:
Mein Bereich ist die Religionspädagogik und wir bilden Religionslehrkräfte aus. Ein wichtiger Punkt meiner Forschung ist nun, wie der bekenntnisorientierte Religionsunterricht, wie er in unserer Verfassung verankert ist, Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten darin unterstützen kann, aneinander besser zu verstehen. Das ist eine gesellschaftlich wichtige Kompetenz.

Ministerpräsident Kretschmann hat vor diesem Hintergrund die Schirmherrschaft über Ihre Forschungsarbeit übernommen. In seinem Grußwort heißt es, die vom Projekt ausgehenden Impulse seien "ein Segen für unsere immer bunter werdende Gesellschaft".
Die Übernahme der Schirmherrschaft war eine große Ehre! Auf Grund des demographischen Wandels verändert sich ja unsere Gesellschaft; wir leben in einer zunehmend pluralistischen, "bunten" Gesellschaft. Damit verändert sich auch die religiöse Landschaft in Deutschland. Und als Religionspädagogen müssen wir uns damit beschäftigen, was das für den Religionsunterricht der Zukunft heißt.
Nehmen wir zum Beispiel die Diskussion um den islamischen Religionsunterricht: Der konfessionelle Religionsunterricht ist im Grundgesetz verankert. Es gibt den katholischen, evangelischen und den jüdischen Religionsunterricht sowie das Fach Ethik. Es ist also doch keine Frage, dass es auch den islamischen Unterricht geben wird. Es müssen lediglich die äußeren Modalitäten gefunden werden.

Die religiöse Vielfalt an deutschen Schulen nimmt also zu.
Genau. Dabei ist für den interreligiösen Dialog wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler lernen, mit den Unterschieden zwischen den Religionen umzugehen. Diese Erfahrung machte bereits die evangelische und die katholische Kirche in Berlin: 1998 bzw. 2000 haben die katholische Erzdiözese und die evangelische Landeskirche ein Konzept entwickelt, welches eine Kooperation der Fächer des Religionsunterrichts unterschiedlicher Bekenntnisse vorsieht. Auch das Fach Ethik ist in dieser fächerverbindenden Zusammenarbeit vorgesehen. Diese Fächer sollen nicht unverbunden nebeneinander unterrichtet werden, sondern mindestens einmal im Schuljahr auch miteinander kooperieren. Und wie diese Kooperation aussehen könnte, wird in meiner Arbeit verfolgt.

Und wie sieht so eine Kooperation aus?
Das Konzept der beiden Kirchen Berlins fußt auf der evangelischen Denkschrift zum Religionsunterricht "Identität und Verständigung" von 1994, in der die Kooperation bereits vorgeschlagen wird. Allgemein sieht das Berliner Konzept vor, dass sich die Lehrkräfte der unterschiedlichen Religionsfächer an einer Schule auf ein gemeinsames Thema einigen und dieses zunächst getrennt in ihren Fächern unterrichten.

Wie lernen die Schüler dann die Perspektive des anderen kennen?
Die Schüler sollen für einen Projekttag zusammenkommen und sich das Thema gegenseitig präsentieren - jeweils aus Sicht ihrer eigenen Religion bzw. Weltanschauung. So lernen sie die Perspektive des anderen kennen; sie begegnen einander und kommen fach- bzw. themenbezogen ins Gespräch.
Dieses Projekt der Begegnung kann aus einem größeren Forum bestehen, beispielsweise in Form einer Ausstellung. Gleichzeitig soll aber auch der Austausch in kleinen Gruppen stattfinden. Zudem sieht das Konzept vor, dass nach diesem Projekttag eine Reflexion in der eigenen, ursprünglichen Lerngruppe über den Zugewinn der Begegnung stattfindet.

Sie haben dieses Konzept auch erstmals auf die Ausbildung der Religions- bzw. Ethiklehrkräfte übertragen?
Ja. Wir initiieren und untersuchen - und das ist bundesweit einmalig - nach diesem Modell interreligiöse Lernprozesse und Kompetenzen zukünftiger Religionspädagogen bzw. Ethiklehrkräfte. An dem Projekt sind die an unserer Hochschule angebotenen Fächer Evangelische Theologie, Katholische Theologie und Philosophie sowie die Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg bzw. die Islamische Religionspädagogik der PH Karlsruhe beteiligt: In getrennten Lehrveranstaltungen behandeln die Studierenden ein Semester lang dasselbe Thema jeweils aus der Perspektive ihres Bekenntnisses bzw. ihrer Weltanschauung. An einem gemeinsamen Projekttag kommen dann alle zusammen und präsentieren, diskutieren und reflektieren ihre jeweiligen Ergebnisse.

Was war Ihre Motivation, in diesem Bereich zu forschen?
Von der Sprachforschung wissen wir, dass nur derjenige Schüler eine Fremdsprache gut lernen kann, der auch seine Muttersprache gut beherrscht. Das bedeutet, dass der muttersprachliche Unterricht eher unterstützt als abgeschafft werden sollte. Übertragen auf den konfessionellen Religionsunterricht heißt das, dass das eigene Bekenntnis besonders gut dazu befähigt, in den interreligiösen Dialog zu treten und andere zu verstehen.

Können Sie weitere Ziele Ihrer Forschung nennen?
Kurz vor den Sommerferien hat ein Projekttag zum interreligiösen Begegnungslernen mit etwa 120 Fünft- und Sechstklässlern aus dem jüdischen, islamischen, evangelischen bzw. katholischen Unterricht und dem Ethikunterricht stattgefunden. Die Jüdische Gemeinde in Mannheim hatte uns diesen Projekttag großzügig in ihren Räumen ermöglicht.
Die Schülerinnen und Schüler hatten sich zuvor unter Anleitung ihrer Religionslehrkräfte bzw. einer Ethiklehrerin mit dem Thema "Abraham" beschäftigt und waren nun zusammengekommen, um sich gemeinsam in kleinen, gemischten Gruppen über "Abraham" auszutauschen. Begleitet wurden sie von Studierenden der Fächer der Katholischen und Evangelischen Theologie unserer Hochschule, die eine Lehrveranstaltung zum "Interreligiösen Begegnungslernen" besuchten.
In diesem Hauptseminar interessierte uns vor allem, welche interreligiösen Kompetenzen Schüler aus dieser Klassenstufe überhaupt entwickeln können. Denn nach der Entwicklungspsychologie können diese Kompetenzen noch nicht vollständig ausgeprägt sein.
Darüber hinaus hoffen wir, dass die Schülerinnen und Schüler, die übrigens zudem sowohl aus der Werkrealschule als auch aus dem Gymnasium kamen, durch unser Projekt mehr Verständnis füreinander entwickeln. Dass die Teilnehmer fähig werden, die Perspektive zu wechseln und es aushalten können, dass jemand anders ist und denkt als sie selbst.
Außerdem kann unser Institut für Philosophie und Theologie nun eine Zusatzqualifikation "Interreligiöses Begegnungslernen" für Studierende der verschiedenen Fächer des Religions- und des Ethikunterrichts anbieten. Die Zusatzqualifikation steht übrigens auch interessierten Lehrkräften offen.

Zu welchen wissenschaftlichen Erkenntnissen sind Sie bereits gekommen?
Ergebnisse über den Projekttag mit den 120 Schülerinnen und Schülern werden Ende 2013 vorliegen. Über die beiden bisher an unserer Hochschule mit Studierenden durchgeführten Projekttage sind uns erste Erkenntnisse bereits bekannt.
Es ist zum Beispiel auffällig, dass alle Studierenden auf die Frage, zu welchen Religionen bzw. philosophischen Ansätze sie auf dem Projekttag Erkenntnisse gewonnen haben, angaben, signifikant "viel" über das eigene Fach gelernt zu haben. Drei Viertel aller Studierenden berichteten außerdem, dass sie sich durch den Begegnungstag über ihr eigenes religiöses Bekenntnis bzw. über ihre eigene Weltanschauung bewusster geworden sind. Und völlig unabhängig davon, welches Fach sie studieren, gaben mehr als zwei Drittel der Teilnehmenden an, dass sie sich durch die Begegnung mit Studierenden anderer Fächer religiöser bzw. ethischer Bildung intensiver mit dem Thema ihrer eigenen Veranstaltung befasst hatten als sie es in einer herkömmlichen Hochschulveranstaltung tun.
Außerdem führte der interreligiöse Begegnungstag offensichtlich dazu, dass mehr als die Hälfte der Studierenden durch die Begegnung "deutlich" die eigenen fachlichen Wissensdefizite wahrgenommen haben. Und schließlich hatten fast 90 Prozent aller befragten Studierenden augenscheinlich so positive Erfahrungen mit der Kooperationsveranstaltung gemacht, dass sie es begrüßen würden, wenn ein solches Konzept der Begegnung zwischen den Studierenden der religiösen und ethischen Schulfächer zum festen Bestandteil in der Religions- und Ethiklehrerausbildung wird.

Was lernen die Studierenden der Pädagogischen Hochschule durch das Projekt "Interreligiöses Begegnungslernen", das jetzt auch als Zusatzqualifikation angeboten wird?
Die Studierenden lernen nicht nur in der Theorie, sondern handlungs- und berufsfeldorientiert auch in der Praxis. Sie erfahren selber, wie interreligiöses Begegnungslernen in ihrer späteren Schule umgesetzt werden kann.
Für mich war es auch sehr aufschlussreich, dass einige Theologiestudenten zuvor noch nie mit einem muslimischen Mitbürger gesprochen hatten, vor allem nicht über religiöse Themen! Umso wichtiger ist es doch, ein solches interreligiöses Begegnungslernen hochschuldidaktisch zu ermöglichen.

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veröffentlicht am 1. August 2013