Mit Kindern die Welt entdecken

Frau Welzel-Breuer, woran forschen Sie gerade?
Frau Welzel-Breuer:
Wir forschen im Projekt "Mit Kindern die Welt entdecken" daran, wie man Erwachsene und Kinder zusammenbringen und gemeinsam für naturwissenschaftliche Phänomene begeistern kann. Es geht hier um die frühe naturwissenschaftliche Bildung im Kindergarten und im Übergang zur Grundschule.

Was war Ihre Motivation, in diesem Bereich zu forschen?
Der Anstoß kam von außen. Die Klaus-Tschira-Stiftung kam mit der Frage auf uns zu, ob es eine Möglichkeit gibt, bereits im Kindergarten etwas zu naturwissenschaftlichen Phänomenen anzubieten. Denn Kinder kommen oft mit recht eingeschränkten Erfahrungen und Beobachtungen zu Naturphänomenen in die Schule und daran sollte auf jeden Fall etwas geändert werden.
Allerdings können wir als Wissenschaftler nicht einfach in den Kindergarten gehen, die Begeisterung muss vielmehr im dortigen Alltag erlebt werden. Daher kamen wir auf die Idee, dass wir nicht selbst mit den Kindern arbeiten, sondern wir die ErzieherInnen für Naturphänomene begeistern müssen. Und diese dann wiederum die Physik in alltäglichen Situationen spielerisch mit den Kindern entdecken.

Wie genau entdeckt man mit Kindern die Welt?
Im Alltag gibt es eine Reihe von Phänomenen, die einen physikalischen Hintergrund haben. Da fällt mir ein Beispiel am Frühstückstisch ein: Es wird Tee verschüttet - mit welchem Material kann ich den am besten aufsaugen? Geht das mit Plastikfolie? Warum brauche ich dazu eher einen Lappen und warum ist ein Schwamm noch besser? Und wieso ist der Schwamm eigentlich so wie er ist? Es gibt tausende Situationen wie diese, die man im Alltag spielerisch entdecken, beobachten und hinterfragen kann.

Und wie wird den ErzieherInnen die Scheu vor der Physik genommen?
Ziel ist es nicht, Physik zu unterrichten oder noch einmal zu wiederholen, was in der Schule zum Teil wenig motivierend erlebt wird. Die ErzieherInnen sollen vielmehr selbst miteinander - wie die Kinder später im Kindergarten - Naturphänomene spielerisch erleben, beobachten, erforschen und den Spaß daran entdecken, es mit ihren Kindern zu tun.
Dazu gibt es Fortbildungen, die ein halbes Jahr andauern und von Erzieherinnentandems besucht werden: Hier lernen die ErzieherInnen Möglichkeiten kennen, sie probieren aus und sie beraten sich gegenseitig, wie sie eigene Experimentierideen im Kindergarten umsetzen.
Nach der Praxis reflektieren sie ihre eigene Arbeit, unter anderem durch Videoanalysen, und kriegen wieder neue Möglichkeiten vorgeschlagen. Darüber hinaus veranstalten wir noch Workshops zu weiteren Ideen und mit neuen Anregungen. Die aktuellen Themen sind "Naturfarben", "Vögel" und "Feuer".
Wir organisieren also einen vollständigen Professionalisierungsprozess.

In wie vielen Kindergärten haben Sie dieses Konzept schon erprobt?
Wir haben bis Ende 2012 circa 500 ErzieherInnen aus ungefähr 150 Kindergärten in der Rhein-Neckar-Region fortgebildet. Dazu kommt eine Fortbildung, die ich während meines Forschungsaufenthaltes in Kolumbien für sechs Erzieherinnen anbieten konnte. Auch dort wird nun aktiv mit Kindern die Welt entdeckt.

Gibt es auch Fortbildungen speziell für Lehrkräfte?
Im Moment bieten wir eine Fortbildung zum Thema "Brückenbauen" für ErzieherInnen und Grundschullehrkräfte an. Dort sollen sie über Teamarbeit gemeinsam den Übergang Kindergarten-Grundschule gestalten. Eine spezielle Fortbildung für Lehrkräfte, die im Aufbau ähnlich ist wie die für ErzieherInnen, ist in Planung.

Wie werden die Experimentierideen festgehalten?
Wir haben unsere Experimentierideen in derzeit 44 transparente Forscherkisten verpackt und damit eine Materialbibliothek aufgebaut. In jeder Kiste gibt es Material, mit dem ca. 20 Kinder ein besonderes Phänomen im Alltag entdecken bzw. genauer untersuchen können. Unsere Forscherkisten können von ErzieherInnen und Lehrkräften ausgeliehen und im Kindergarten bzw. in der Grundschule eingesetzt werden. Und wer dafür didaktisch-methodische Beratung braucht, bekommt auch das.
Nach dem Einsatz in der Praxis wird immer ein Feedbackfragebogen ausgefüllt, mit dessen Hilfe wir erfahren können, was funktioniert hat, ob wir gut beraten haben, das Material passend und die Anleitung didaktisch wertvoll war.
Die Kisten werden übrigens außerdem mit den ErzieherInnen bzw. Lehrkräften über die Fortbildung und über Kommunikation weiterentwickelt.

Wie lang arbeiten Sie schon an diesem Projekt?
Das sind jetzt knapp acht Jahre und aus dem Projekt ist inzwischen ein An-Institut der PH geworden: "Die Forscherstation. Klaus-Tschira-Kompetenzzentrum für frühe naturwissenschaftliche Bildung gGmbH".
Seit 2005 entwickeln wir die genannten Fortbildungen, erweitern die Angebote und begleiten diese mit wissenschaftlichen Arbeiten. Damit schauen wir uns zum Beispiel die Prozesse der Kompetenzentwicklung bei den ErzieherInnen genauer an: Ob sie auch wirklich Begeisterung an der Physik gewonnen haben, ob sie das Gelernte im Alltag umsetzen, sie mit den Kindern im Alltag die Phänomene entdecken und sie dabei auch was gelernt haben.
Außerdem überlegen wir, wie man den Übergang vom Kindergarten zur Grundschule gestalten kann, damit die Kinder das Gelernte und Erfahrene weiter nutzen können.
Wir schauen auch, ob wir das Thema "Lernen von Naturwissenschaften" in andere Kontexte - wie zum Beispiel in die Sprachförderung - mit einbinden können. In diesem Bereich starten wir gerade ein Gemeinschaftsprojekt mit der Stiftung Lesen zum Thema "Kinder, MINT und Literacy". Hier werden Vorlesegeschichten entwickelt, die zum "Welt Entdecken" anregen sollen sowie dazu passende neue Fortbildungsangebote.

Sie setzen auf die praxisbezogene Forschung. Liegen denn schon Ergebnisse vor?
Ja. Es sind inzwischen drei Doktorarbeiten veröffentlicht.
Die erste Arbeit wurde von Anja Dhein zu den Lernprozessen von Kindern, die bei von uns fortgebildeten Erzieherinnen frühe naturwissenschaftliche Bildung erfahren haben, abgeschlossen. Dann eine Promotion von Sabine Latorre über die Herausforderungen beim "Übergang vom Kindergarten in die Grundschule". Und eine dritte Dissertation von Monika Zimmermann zum Thema "Kompetenzentwicklung von ErzieherInnen durch Fortbildung und Coaching". Monika Zimmermann ist inzwischen dabei, das Konzept der Fortbildungen mit wissenschaftlicher Begleitung in Berlin zu duplizieren.
Die nächste Doktorarbeit ist bereits in Arbeit: Ivo Häusle beschäftigt sich darin mit dem Thema "Erneuerbare Energie als Thema für frühe naturwissenschaftliche Bildung im Kindergarten". Und eine weitere Arbeit wird sich damit befassen, wie man die Eltern einbeziehen kann.

Welchen bildungswissenschaftlichen Nutzen zieht die PH aus Ihrer Arbeit?
Wir bringen unsere Forschungsergebnisse direkt in die Ausbildung ein: Es gibt in dem Bachelorstudiengang "Frühkindliche- und Elementarbildung" zum Beispiel das Modul "Mit Kindern die Welt entdecken" mit Grundlagen und Theorie früher naturwissenschaftlicher Bildung sowie mit einem Praxisseminar.
Das Modul gestalten wir mit dem Know-how aus unserem Forschungsprojekt. Die Studierenden lernen dabei selbst, Lernumgebungen für Kinder im Elementarbereich zu entwickeln und diese dann im Rahmen ihrer Praxisphase zu erproben.
Außerdem beziehen wir unser Konzept auch auf die Ausbildung der Grundschullehrkräfte: Im Sachunterricht lernen die Studierenden unter anderem sich darauf einzustellen, was die Kinder aus dem Kindergarten mitbringen.

veröffentlicht am 15. Juli 2013