Tagungsnachlese: Einblick mit Ausblick

Am 6. Oktober 2011 lud der BA Gesundheitsförderung zu einer Fachtagung an die Pädagogische Hochschule nach Heidelberg ein mit dem Titel „Gesundheitsförderung in der Falle? Professionalisierung zwischen normativen Erwartungen und transdisziplinären Herausforderungen“
Anlass war die Beobachtung, dass zwar gesellschaftlich die Notwendigkeit von Gesundheitsförderung unbestritten ist, in  Praxis und Lehre aber Ansätze, Programme und Projekte zur individuellen Verhaltensregulierung überwiegen. Letztlich dominieren normative Ansprüche und Lebensführungsmodelle einer Bildungselite vom „gesunden“ Lebensstil, die den sozialpolitischen Anspruch von Gesundheitsförderung nach gesellschaftlichen Veränderungen in der Arbeitswelt, im Bildungs- und Gemeinwesen und die dafür erforderlichen verantwortungsbewussten Strukturentwicklungsprozesse weitgehend ignorieren.
Unser Ziel war es deshalb, einen professionstheoretischen Diskurs anzustoßen. Von den normativen Zuschreibungen in Ansätzen der Gesundheitsförderung ausgehend, sollte ein Bogen über Anforderungen der Praxis, Möglichkeiten von transdisziplinärer Forschung und Hochschulentwicklung gespannt werden. Zu diskutieren war, wie mit beobachtbaren Paradoxien zwischen Theorie und Praxis offen und konstruktiv umgegangen werden kann.


Als Fazit einer interessanten und vielfältigen Tagungsdiskussion halten wir folgende Aspekte fest:

  • Das Tagungsthema und dessen kritisch- reflexive Perspektive finden Widerhall in der Scientific Community und berühren eine aktuelle Diskussion im Professionalisierungsprozess von Gesundheitsförderung.
  • Gesundheitsförderung braucht ein hohes Maß an Beobachtungen und Reflexionen ‚zweiter Ordnung‘, also ein gehöriges Maß an Distanz und Überprüfung ihrer Grundannahmen und Prämissen, um heute – gut 25 Jahre nach Ottawa und einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel – Konzepte und wissenschaftliche Methoden zur Wissensproduktion und Kompetenzentwicklung weiter zu bearbeiten.
  • Normativität , so ein Fazit, ist aus dem Gesundheitsdiskurs nicht heraus zu denken und muss kategorisch Aufmerksamkeit erfahren: Sie muss als kritische Perspektive in die Ausbildung von Gesundheitsberufen integriert und als Paradoxie professionellen Handelns in ein Kompetenzkonzept der Profession überführt werden.
  • Es ist deutlich geworden, wie bestimmend die Rahmenbedingungen des Handelns in Settings, wie Betrieben, Kommunen aber auch wissenschaftlichen Einrichtungen und Disziplinen für die normative Deutung und das Verständnis von Gesundheitsförderung sind. Als mögliche Konsequenz müsste es in der Ausbildung daher verstärkt  um die alltagsrelevante Unterstützung gesundheitsfördernder Praxis und Systementwicklung gehen.
  • Mit der Herangehensweise von „transdisziplinärer Forschung“ wurde ein Weg gezeigt, dies wissenschaftlich voran zu bringen: Forschendes Lehren und Lernen stellt gesundheitsrelevante, sozial-ökologische Alltagsprobleme in den Mittelpunkt und erforscht, wie eine alltagstaugliche, nachhaltige Entwicklung von Lebenswelten gestaltet werden kann. Partizipation von Betroffenen und enger Austausch mit Praxisakteuren können einen normativ-kritischen Gegenpol zu sozialer Distinktion und dem traditionell disziplinären Habitus von Wissenschaftlern an Hochschulen bilden.
  • „Leben was wir lehren“ (Titus Bürgisser) erscheint schließlich als Schlüssel zu transformativen Bildungserfahrungen und Professionalisierungsprozessen in der Gesundheitsförderung. Damit müssen nicht zuletzt Hochschulen zu gesundheitsfördernden Bildungseinrichtungen weiter entwickelt und mit einem entsprechend umfassenden Qualitätsbewusstsein sowie gesundheitsrelevanter Managementinstrumente ausgestattet werden.

Wir danken an dieser Stelle noch einmal recht herzlich allen Kollegen und Kolleginnen, die die Tagung durch ihre Beiträge bereichert haben und allen Teilnehmenden für ihr Interesse und die Diskussion mit uns.
Besonders danken wir der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und der Techniker Krankenkasse, ohne deren finanzielle Unterstützung die Tagung nicht zu realisieren gewesen wäre.
Ein Dankeschön auch an das Institut für Weiterbildung für die gute Kooperation und die professionelle Organisation der Tagung.


Ute Zocher und Ulla Simshäuser

Das Programm im Überblick

10:00 Grußwort Rektorin der Pädagogischen Hochschule Prof. Dr. Anneliese Wellensiek
Gesundheitsförderung in der Falle?  
10:20 Prof. Dr. Bettina Schmidt: Normativität in der Gesundheitsförderung – Kennzeichen, Ursachen und Folgen
11:00 Dr. Irmgard Schultz: Alltagstaugliche Lösungen für die Integration von Umweltmanagement und Gesundheitsförderung in Unternehmen. Ein Beispiel aus der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung
11:50 Austausch im Plenum
12:10 Zielstrebig in die falsche Richtung? Podiumsdiskussion I mit Vertretenden des Praxisbeirates des BA Gesundheitsförderung und Studierenden
Wege aus der Falle - Gesundheitsförderung als Chance für Hochschulentwicklung  
14:15 Prof. Dr. Eberhard Göpel: Gesundheitsförderung als Inhalt und Form einer transformativen Bildung
14:50 Dipl. Sek.- Lehrer Titus Bürgisser: Leben und umsetzen, was wir lehren - die betriebliche Gesundheitsförderung an der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz
15:45 Prof. Dr. Sigrid Michel: Anreize für ein Qualitätsmanagement der Querschnittsaufgabe Gesundheitsförderung, Nachhaltigkeit und Diversität an Hochschulen
16:15 Gesundheitsförderung als Impuls für Strukturänderung in Schule und Hochschule Podiumsdiskussion II
17:10 Dr. Ute Zocher, Dr. Ulla Simshäuser: Resümee des Fachtags und Ausklang
17:30 Ende der Tagung