Podiumsdiskussion I- Zielstrebig in die falsche Richtung?


Mit: Dr. Brigitte Steinke (Techniker Krankenkasse), Barbara Leykamm (Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg), Daniel Preuss und Dorothee Maurer (Studierende der Gesundheitsförderung), Dr. Markus Gomer BASF
Moderation: Dr. Ulla Simshäuser
Obwohl in der Fachdiskussion längst unstrittig ist, dass „Projektitis“ und reine Verhaltensprävention nicht zu nachhaltiger Gesundheitsförderung beitragen, ist ein Ausweg aus der Falle normativer Engführungen auf die „Säulen“ Ernährung/ Bewegung/ Stressbewältigung (Prof. Schmitt) bisher kaum in Sicht. Die Podiumsteilnehmenden schildern, wie sie selbst dieses Dilemma im Alltag erleben.
Für Barbara Leykamm fehlt eine nachhaltige Strategie zur Überführung bewährter Vorgehensweisen in der Gesundheitsförderung in Daueraufgaben, z. B. im Bereich von Kommunen, Kreisen, Sozialversicherungsträgern und Land. „Es fehlen schlicht die Mittel.“ Obwohl Setting-Strategien und Konzepte für nachhaltige Strukturveränderungen im Land vorhanden sind, ist die Umsetzung sehr häufig von befristeten, projektgebundenen Drittmitteln abhängig. „Die Falle“ sieht sie darin, dass die Unterstützung solcher Projekte oft der einzige Weg ist, überhaupt Gesundheitsförderung umzusetzen. Mit dieser Art der kurzfristigen Projektfinanzierung sind langfristig wirksame gesundheitsfördernde Effekte in Bezug auf Gesundheitsverhalten und -verhältnisse nicht zu erreichen.
Als eine Vertreterin solcher Drittmittelgeber sieht Dr. Steinke die Falle für eine Krankenkasse v.a. dort aufgestellt, wo sie Anschubprojekte in Unternehmen fördert, die andere Seite aber nicht in gleicher Weise mitziehe und sich nicht zu ihrer Verantwortung für dieses Thema bekenne. Es entstehe zwar Druck auf das Management, Fehlzeiten und Präsentismus zu reduzieren, oft werde aber ‚irgendetwas‘ gemacht, um die Kranken wieder gesund zu bekommen. Es fehle der „breite Blick“ für die erforderlichen und auf Dauer angelegten Organisationsentwicklungsprozesse. Das gelte auch für Hochschulen. Im Kontakt mit Studierenden habe sie beobachtet, wenn Studierende Hochschule nicht als gesundheitsfördernd und verantwortungsbereit erlebten, führe ihre Ausbildung in eine Falle. Hochschulen könnten dagegen ein Modell für spätere Führungskräfte werden.
Der Vertreter der BASF, Dr. Gomer, möchte die Instrumente der Organisationsentwicklung allerdings nicht überbewerten. Ein Unternehmen sehe sich zwar in der Verantwortung, individuelle Prävention und Verantwortung für Gesundheit strukturell zu ermöglichen, ohne die Partizipation der Beschäftigten sei das aber nicht möglich. Er sieht eine Falle für Unternehmen eher dort, wo die Partizipation der Beschäftigten vernachlässigt werde. Der Blick auf die Herausforderungen des demografischen Wandels für Unternehmen zeige darüber hinaus, dass Betriebe nicht der alleinige Ort der Produktion von Gesundheit seien, sondern selbst auf den gesellschaftlichen Wandel und Veränderungen im epidemiologischen Geschehen reagieren müssten. Hier gelte es neue Lösungen aus zu probieren, die gleichzeitig einen enormen Beratungs- und Entwicklungsbedarf für Gesundheitsförderung mit sich brächten.
Die Studierenden der Gesundheitsförderung (Daniel Preuss & Dorothee Maurer) berichten schließlich aus ihren Erfahrungen im Praktikum, dass eine Settingorientierung kaum im Zentrum der Praxis standen und häufiger unklar war, was eigentlich unter dem Begriff Gesundheitsförderung verstanden werde. Man lerne sich in diesem Umfeld zu arrangieren und die Bedeutung der Verhaltensprävention in den Vordergrund zu stellen. Barbara Leykamm ermutigte die Studierenden im weiteren Verlauf ausdrücklich, trotz dieser widersprüchlichen Erfahrung, ihre Kompetenzen gestaltend in die Praxis einzubringen.
Podium und Plenum haben herausgearbeitet: Im Mittelpunkt der Falle stehen eher fehlendes gesundheitsrelevantes Wissen, oftmals fehlender politischer Wille, die Verantwortungsbereitschaft von Führungs-und Managementpersonal und eine gewissen Hilflosigkeit im Umgang mit Prozessentwicklung. Für einen Studiengang der Gesundheitsförderung, nicht zuletzt an einer bildungswissenschaftlichen Hochschule, ergeben sich daraus folgende Fragen: Wie schaffen wir es, systemische Kompetenzen im Studium herauszubilden? Wie kann die Hochschule zum Ort nachhaltigen Lernen und Handelns werden und mit welchen Formen transdisziplinären Forschens kann eine nachhaltige Praxis der Gesundheitsförderung gestärkt werden? (Simshäuser).