Die jüdische Gemeinde in Wiesloch

Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Wiesloch reicht weit zurück. Bereits im Mittelalter wohnten jüdisch-gläubige Personen phasenweise  (nach Vertreibungen) in Wiesloch. Im 17. Jahrhundert entstand dann jene Gemeinde, die bis ins Dritte Reich bestand. Der jüdischen Gemeinde in Wiesloch gehörten im Jahr 1933 noch 69 Personen an. 20 von ihnen wurden am 22. Oktober 1940 in das Lager Gurs deportiert, darunter die Familie Flegenheimer. Die Familie war bis zum Beginn des Dritten Reichs und auch währenddessen gut in die Gemeinde Wieslochs integriert: Lion wohnte mit seiner Frau und den Kindern in der Ortsmitte direkt gegenüber einer Wirtschaft, man war mit nicht-jüdischen Einwohner*innen befreundet, die Kinder spielten gemeinsam mit anderen auf der Straße und die beiden Familienoberhäupter und Brüder Lion und Samuel Oskar zählten in ihrer Pferdehandlung jüdische und nicht-jüdische Personen zu ihren Kunden. Mit den Jahren erfuhr jedoch auch die Familie Flegenheimer zunehmend Repressalien und Diskriminierungen, die sich etwa darin äußerten, dass Sohn Paul ab 1936 nach Heidelberg in eine „jüdische Klasse“ gehen musste und Lion und Samuel ihre Pferdehandlung 1936 schließen mussten, möglicherweise aufgrund sinkender Kundschaft und steigenden Repressalien.

In der Mitte des 17. Jahrhunderts liegen auch die Anfänge des jüdischen Friedhofes in Wiesloch. Zu dieser Zeit regierte Kurfürst Karl Ludwig (1649-1680). In den Jahren seiner Verbannung in den Niederlanden hatte Karl Ludwig niederländische Juden kennengelernt. Dabei schätzte er ihre Tüchtigkeit. Da ihm nach der Zerstörung des Dreißigjährigen Krieges an der wirtschaftlichen Wiederherstellung der Pfalz gelegen war, wurde jüdischen Personen die Einreise und der Aufenthalt gestattet. Im Rahmen der kurpfälzischen „Judenpolitik“ war es üblich, in Städten wie Wiesloch fünf oder sechs „Judenfamilien“ zuzulassen. Diese verstärkte Einreise jüdischer Familien erforderte die Anlegung jüdischer Friedhöfe. Bis dahin wurden die Verstorbenen der Kurpfalz in Worms begraben. Wiesloch wurde als Begräbnisort gewählt, da es zentral gelegen war für die jüdischen Gemeinschaften in den Orten südlich des Neckars. Damit war der jüdische Friedhof in Wiesloch, wie alle ländlichen Judenfriedhöfe, ein Verbandsfriedhof.
In der Zeit des Nationalsozialismus ist es auch auf dem jüdischen Friedhof in Wiesloch zu Zerstörungen gekommen. Nach der Deportation der badischen Juden nach Gurs im Oktober 1940 wurde von der Gemeinde Wiesloch am 20. September 1941 beschlossen, diesen Friedhof käuflich zu erwerben, um ihn als Lagerplatz zu nutzen. Das absehbare Kriegsende hat den völligen Niedergang des jüdischen Friedhofes verhindert; bereits nach dem Krieg sind Aufräumungs- und Instandsetzungsarbeiten aufgenommen worden. In der Reichspogromnacht am 09.11.1938 wurde auch die Synagoge in der Synagogengasse (während des Dritten Reichs Kleine Gasse) im Inneren komplett zerstört. SA-Männer vernichteten den halbkreisförmigen vorspringenden Raum der Synagoge mitsamt dem Toraschrein völlig. Der Toraschrein repräsentierte das Allerheiligste innerhalb der Synagoge. Während eines Gottesdienstes wurde der Toraschrein geöffnet und die Torarollen herausgenommen, um den Toraabschnitt zu verlesen. Im Januar 1936 wurde der bauliche Zustand der zu jenem Zeitpunkt 97 Jahre alten Synagoge als „ziemlich gut“ eingeschätzt. In der Reichspogromnacht schändeten und verbrannten die SA-Männer außerdem auf dem nahegelegenen Kirchplatz Kultgegenstände, Schriften und Einrichtungsgegenstände. Nachdem das Synagogengebäude zeitweilig als Garage genutzt worden war, wurde es 1957 abgerissen. Die an die drei Nachbarn bereits 1939 verkauften Grundstücksteile wurden in deren Neubebauung einbezogen. Nach Abriss der Synagoge wurde ein Teil des Eingangsportals mit der Inschrift in die Umfassungsmauer des jüdischen Friedhofes in Wiesloch eingemauert. Seit 1974 erinnert eine Hinweistafel an den Standort der Synagoge. Im Jahr 1988 wurde eine weitere Gedenktafel angebracht, die an die jüdische Gemeinde in Wiesloch erinnert. Die Umgebung der Synagoge und besonders ihre Nähe zu einer christlichen Kirche deuten darauf hin, dass jüdisch- und christlich-gläubige Einwohner*innen in unmittelbarer Nähe zueinander ihre Religionen ausübten. Auch die bisher rekonstruierten Wohnverhältnisse und Geschäfte einzelner jüdischer Einwohner*innen lassen vermuten, dass Juden und Christen in einem nachbarschaftlichen Verhältnis miteinander lebten.      

 

Nähere Informationen zur Pferdehandlung

Bis nach 1933 bestanden u.a. folgende jüdische Handels- und Gewerbebetriebe in Wiesloch: Modegeschäft Frieda Bodenheimer (Blumenstr. 6), Vieh- und Pferdehandlung Moses Flegenheimer & Söhne (Schwetzinger Str. 59), Pferdehandlung Marschall (Hesselgasse 8). Hervorzuheben ist die geografische Lage dieser Betriebe. Sie befanden sich in unmittelbarer Nähe zum Stadtkern sowie zum alten Bahnhof. Diese zentrale Lage lässt vermuten, dass auch nicht-jüdische Einwohner*innen zur Kundschaft zählten. Samuel Oskar und Lion Flegenheimer mussten 1936 ihre Pferdehandlung schließen. Gründe zur Schließung können nur vermutet werden. Am 1. April 1933 kam es zum Aufruf des Boykotts jüdischer Geschäfte. Auch wenn hierfür in den ersten Monaten der NS-Herrschaft noch keine Gesetzgebung die wirtschaftliche Lage der jüdischen Bevölkerung beeinträchtige, kann davon ausgegangen werden, dass solch eine Propaganda die nicht-jüdische Kundschaft schmälerte. Im Jahre 1935 wurde die nicht-jüdische Bevölkerung verstärkt darauf hingewiesen, das Einkaufen in jüdischen Geschäften zu unterlassen. Das Ziel, welches das NS-Regime mit den zunehmenden diskriminierenden Vorschriften verfolgte, war, möglichst viele jüdisch-gläubige Deutsche zum Auswandern zu bewegen. Die Gemeinden wurden angehalten, keine Geschäfte mehr mit ihren jüdischen Einwohner*innen zu tätigen. Möglicherweise gelang es Lion und Samuel Oskar Flegenheimer unter der zunehmenden prekären, diskriminierenden und geschäftswidrigen Lage nicht mehr, ihre Pferdehandlung zu halten. Bis August 1937 mussten drei jüdische Geschäfte aufgeben, drei wurden an nicht-jüdische Personen verkauft. Im September 1938 bestand nur noch die Tabakfabrik Ebner & Kramer sowie das Textilgeschäft von Adolf Rosenthal. Die Verordnung des Reichswirtschaftsministeriums vom 23.11.1938 legte fest, dass alle jüdischen Einzelhandelsgeschäfte geschlossen werden mussten oder in nicht-jüdisches Eigentum übergehen sollten, wenn es die Versorgung der Bevölkerung erforderte.