Die jüdische Gemeinde in Worms

Die jüdische Gemeinde in Worms zählte im 20. Jahrhundert zu den ältesten dieser Art. Das älteste Zeugnis über Jüdinnen* u. Juden* in Worms stammt aus dem Jahr 960 und der älteste Nachweis über eine jüdische Gemeinde in Worms ist die Bauinschrift der Synagoge aus dem Jahr 1034. Die Wormser Synagoge war damit bis 1938 die älteste Synagoge nördlich der Alpen. Ab dem 11. Jahrhundert wurden der jüdischen Bevölkerung in Worms und später auch im ganzen Heiligen Römischen Reich privilegierte Rechte, beispielsweise beim Zoll, von den Kaisern verliehen. Doch folgte danach eine Zeit der Verfolgung und Diskriminierung. So entstand etwa im 14. Jahrhundert ein jüdisches Ghetto in der Judengasse. Diese Abgrenzung zeigt unter anderem, dass Jüd*innen und Nicht-Jüd*innen zu dieser Zeit nicht gleichberechtigt waren und der jüdischen Bevölkerung verschiedene Rechte verwehrt wurden. Jüd*innen ließen sich jedoch nicht aus der Stadt vertreiben und führten in dem Ghetto ein Eigenleben, bei dem die jüdische Kultur und die Bräuche weitergelebt wurden und sich entwickelten. Das Wormser Ghetto wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgelöst, wodurch die jüdische Bevölkerung Zugang zu dem Rest der Stadt erhielten. Nach und nach erlangte sie eine gleichberechtigte Bürgerschaft. Zur Situation der Wormser Jüd*innen schrieb ein jüdischer Historiker kurz vor Beginn des ersten Weltkriegs: „Sie erfreuen sich der Achtung ihrer Mitbürger und beteiligen sich an der Förderung der Stadt, die von Jahr zu Jahr weiter fortschreitet. Nur die enge Judengasse, die alte Synagoge und der Begräbnisplatz erinnern noch an die finsteren und trüben Zeiten, die auch für die Wormser Juden längst vergangen sind.“ (Levy, Die Juden in Worms, S.20 zitiert nach Schlösser, 1989, S.21) Die meisten dieser Jüd*innen fühlten sich als Deutsche und Wormser*innen, die sich lediglich in der Konfession von anderen Wormser*innen unterschieden. So kam es auch, dass einige Personen jüdischen Glaubens im ersten Weltkrieg Seite an Seite mit nicht-jüdischen Wormsern kämpften, was unter anderem durch die Rede eines Rabbiners bei der Enthüllung des Denkmals für gefallene Soldaten im Jahr 1932 betont wurde. Zur Jahreswende 1932/33 war die jüdische Gemeinde in Worms etwas mehr als 1100 Mitglieder groß.

Die Wormser Einkaufsstraßen der Innenstadt waren durch jüdische Geschäfte wie Warenhäuser und Spezialgeschäfte geprägt, aber auch einige jüdische Fabriken gehörten zu Worms. Trotz des Ansehens gab es immer wieder Misstrauen gegen Jüd*innen vor allem bei erfolglosen Konkurrenten oder in wirtschaftlichen Krisen, aber auch feindliche Witze und Redewendungen kamen vor. Die meisten Jüd*innen beobachteten die Entwicklungen ab 1933 besorgt, konnten sich aber längere Zeit nicht vorstellen, nicht mehr als Deutsche gesehen zu werden. Bis August 1933 war der NSDAP-abgeneigte Wilhelm Rahn Oberbürgermeister in Worms. Sein Nachfolger Heinrich Bartholomäus und der Beigeordnete Gustav Adolf Körbel gehörten beide früh der NSDAP an und blieben bis 1945 im Amt. Es kam zunehmend zu Schikanen und Verhaftungen gegenüber politischen Gegnern und Jüd*innen, weshalb im Mai 1933 die Anordnung zur Errichtung eines Konzentrationslagers im nahegelegenen Osthofen gegeben wurde. Als Begründung wurde genannt, dass es in Worms mehr Verhaftungen gab, als die Stadt selbst an Hafträumlichkeiten hatte. Kurz darauf wurden die ersten Häftlinge, hauptsächlich politische Gegner aber auch Personen jüdischen Glaubens ohne politische Betätigung, nach Osthofen gebracht. In der Regel dauerte die Haft dort vier bis sechs Wochen und die Verpflegung war unzureichend. Das Lager bestand bis Juni 1934 und es wurden keine Todesfälle oder schwerwiegenden Misshandlungen in dem Konzentrationslager Osthofen bekannt.

Im Jahr 1934 wurden Feierlichkeiten mit berühmten Jüd*innen aus verschiedenen Gegenden zum 900-jährigen Bestehen der Synagoge veranstaltet. Diese Veranstaltung wurde außerhalb der Gemeinde nicht erwähnt oder berücksichtigt. Dies zeigte den zunehmenden Ausschluss der jüdischen Bevölkerung aus der Gesellschaft, was wiederum zu deren Rückzug in die jüdische Gemeinde führte. Zwar wurde jüdischen Kindern erst ab November 1938 offiziell der Besuch öffentlicher Schulen untersagt, doch aufgrund von Diskriminierungen besuchten schon früher einige Kinder die im Jahr 1935 gegründete jüdische Schule der Gemeinde. Die Schule war im Gemeindehaus in der Hinteren Judengasse 2 eingezogen und nahm auch Kinder aus der Umgebung auf. Für den Lehrplan ergab sich die Frage, ob die Kinder für einen weiteren Verbleib in Deutschland oder eine mögliche Auswanderung vorbereitet werden sollten. Zum Höhepunkt besuchten 120 Kinder in vier Klassen die jüdische Schule in Worms. Der nicht-jüdischen Öffentlichkeit war die Schule nicht bekannt, was erneut die Abgeschiedenheit der jüdischen Bevölkerung zeigt.

In Worms wurde, wie in vielen anderen deutschen Städten auch, im Zuge der Reichspogromnacht im November 1938 die über 900 Jahre alte Synagoge angezündet und brannte vollständig aus. Schätzungsweise 100 Wohnungen und mindestens 11 Geschäfte wurden verwüstet und 87 jüdische Männer aus der Gegend verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Zu diesem Zeitpunkt wohnten in Worms noch etwas mehr als 400 Jüd*innen in ca. 130 Wohnungen sowie dem verschont gebliebenem Altersheim. Der Rabbiner Dr. Frank berichtete über die Brandstiftung der Synagoge folgendes:

Nachdem ich von Herrn Präsidenten Spies vor 6 Uhr am Morgen des 10. November 1938 von dem Brand der Synagoge informiert worden war, ging ich so schnell ich konnte zur Synagoge. Im Haus des Synagogendieners Weis gegenüber der Synagoge rief ich die Feuerwehr an. Man sagte mir, »wir sind zu beschäftigt hier« (kurz vor 7 Uhr in der Frühe!), »daß wir nicht zum Löschen kommen können«. Auf meine nächste Frage, »können wir selbst löschen?« konnte man mir keine eindeutige Antwort geben. Darauf nahmen ein paar Schüler der Bezirksschule, die inzwischen gekommen waren, und ein paar junge Männer unserer Gemeinde mit Wasser gefüllte Eimer vom Hause Weis, gingen damit in die Synagoge, und das Feuer war in ganz kurzer Zeit gelöscht. Ich selbst ging in die Synagoge zur Besichtigung und fand, daß der Brandschaden nur gering war. Ich glaubte damals, daß die Synagoge gerettet sei, da ich keine Ahnung hatte, daß die Zerstörung der Synagoge eine für das ganze Reich geplante nationalsozialistische Maßnahme war und daß die Synagoge ein paar Stunden später zum zweiten Mal angezündet wurde, diesmal von Brandstiftern, die ihr Metier weit besser verstanden. Bald danach, ungefähr um 8 Uhr, wurde ich auf dem Platz vor der Synagoge zusammen mit vier jungen Männern verhaftet.“ (Niedergeschrieben von Dr. Frank in einem Brief 1982, zitiert nach Schlösser,1989, S.41f.)

 

Weiter erinnerte sich Dr. Frank: „Gegen Mittag wurden wir unter Polizeiaufsicht zur Moltke-Anlage 83 gebracht, um dort aufzuräumen, damit der Straßenverkehr ungestört weitergehen konnte. Niemals kann ich den Anblick vergessen, der sich uns bot, als wir zum Hause Löb-Hochheimer kamen. So etwas hatte ich noch nie vorher gesehen. Eine Matratze hing zum Fenster heraus, die Federn von aufgeschlitzten Betten kamen von den Fenstern herunter, so daß es aussah, als würde es schneien. All dies mit zerbrochenen Möbeln und Haushaltsgeräten, die auf der Straße herumlagen.[…] Sie können sicher verstehen, wie schwer es mir war, selbst als Rabbiner den Frauen Trost und Aufrichtung in dieser Lage zu bringen.“ (zitiert nach Schlösser, 1989, S.43f.)

Durch die verschiedenen Boykott-Aufrufe sowie der Propaganda gegen  die jüdische Bevölkerung mussten immer mehr jüdische Geschäfte schließen oder gingen in nicht-jüdische Hände über. Dies führte zum einen zu einer Veränderung der Innenstadt, zum anderen zogen einige jüdische Geschäftsleute aus Worms weg, da sie keine Existenzmöglichkeit mehr hatten. Als Folge dessen lebten bei der Volkszählung im Mai 1939 noch ca. 315 sog. „Rassejuden“ in Worms. Die verschiedenen Aktionen und Deportationen in den folgenden Jahren führten dazu, dass beim Einmarsch der US-Streitkräfte am 01.04.1945 keine Jüd*innen mehr in Worms lebten. Bei einer mühsamen Zusammenstellung der Todesopfer und Überlebenden des Holocausts ergaben sich folgende Zahlen: 464 Wormser Jüd*innen starben durch den Holocaust oder an dessen Folgen. Knapp 800 jüdische Wormser konnten durch Emigration in verschiedene Länder der Ermordung entgehen. Eine eigene jüdische Gemeinde besteht in Worms seit der NS-Zeit nicht mehr. Um die Belange der Wormser Gemeindemitglieder kümmert sich nun die Jüdische Gemeinde in Mainz, da sich die jüdischen Gemeinden der Städte Worms, Mainz und Speyer bereits seit dem 12. Jahrhundert im sog. SchUM-Verbund zusammentaten. Als Eigentümerin der wiederaufgebauten Synagoge in Worms nutzt sie diese wieder verstärkt für Gottesdienste.