Biografie: Dr. Karl Strauß

Nachname:Strauß
Vorname:Karl
Geburtsort:Bad Dürkheim
Geburtsdatum:16.07.1883

Persönlicher Hintergrund und gesellschaftliches Umfeld

Karl Strauß wurde am 16. Juli 1883 in Bad Dürkheim als Sohn von Ludwig Strauß (1855– 1940/41) und Klara geb. Neumann (1856–1940/41) geboren. Sein Vater war Realschullehrer an der Bärmann-Realschule in Bad Dürkheim sowie Mitglied des Stadtrats und nahm innerhalb der jüdischen Religionsgemeinschaft hohe Ämter ein. So war er von 1907 bis 1935 Kultusvorsteher der Gemeinde Bad Dürkheim, von 1920 bis 1935 Vorsitzender des Rabbinatsbezirks Bad Dürkheim-Frankenthal und von 1917 bis 1935 Schatzmeister des Verbandes der israelitischen Kultusgemeinden der Pfalz. Seine Ämter gab er 1935, nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze, auf.

Seine Mutter, Klara Strauß, nahm auswärtige Schüler der Bärmann-Schule in Pension.

Karl Strauß wuchs mit zwei Schwestern in einer Familie auf, die ein starkes Engagement in vielen Gebieten zeigte. Nicht nur die zahlreichen Tätigkeiten seines Vaters in der Politik, sondern auch sein Engagement als Dirigent oder seine Arbeit in der Presse, bei der er Kritiken zu Konzerten oder zu tagespolitischen Themen schrieb, prägten das Leben des Karl Strauß.

Strauß absolvierte das Abitur. Der genaue Zeitpunkt ist nicht bekannt. Anschließend studierte er in Erlangen und München Mathematik und Physik für das Lehramt an Gymnasien. 1906 legte er das Erste Staatsexamen ab und arbeitete seine ersten Jahre als Lehrer in München und Aschaffenburg. Seine Promotion zum Dr. phil. erreichte er im Jahr 1907. 1914 wurde er zum Studienrat befördert.

Als Freiwilliger nahm er am Ersten Weltkrieg teil, kam als Leutnant zu einer Skigruppe in die Karpaten, da er ein sehr guter Eisläufer und Skifahrer war. Er wurde in einem Kampf verschüttet und schwer verletzt, wofür er das Eiserne Kreuz 1. Klasse erhielt. Er schied 1918 als Leutnant der Reserve aus dem Militär aus und ließ sich in die Pfalz versetzen.

Dort unterrichtete er von 1919 bis 1924 in Speyer und heiratete 1920 Flora Behr aus Leimersheim. Die gemeinsame Tochter Margarethe kam am 6. Februar 1922 zur Welt.

 1924 wurde Strauß auf eigenen Wunsch nach Neustadt versetzt, wo er am Humanistischen Gymnasium Mathematik, Physik und kurzzeitig Erdkunde unterrichtete.

Er war trotz seiner Strenge sehr beliebt, sowohl bei seiner Schülerschaft und den Eltern als auch in seinem Kollegium. Er wurde als streng, aber gerecht sowie persönlich zurückhaltend, aber engagiert beschrieben.

 

Nationalsozialistische Angriffe

Doch Ende 1926 wurde das bislang friedliche Leben der Familie Strauß durch gezielte Angriffe der Nationalsozialisten gestört. Der Eisenhammer, die pfälzische Variante des „Stürmer“ – einer Zeitung, die sich durch gezielte und geschmacklose Hetze gegen die Juden auszeichnete – veröffentlichte einen Artikel über die Lehrmethoden von Dr. Karl Strauß, in dem sich der Autor über eine Ohrfeige von Dr. Strauß an einem Schüler empört äußerte. Es war nicht die körperliche Züchtigung, die den Schreiber des Artikels erregte, sondern der Aspekt, dass der Lehrer ein „Jude“ war. Zu dieser Zeit konnte man körperliche Züchtigungen in besonderen Situationen an den Schulen zur Tagesordnung zählen. Aber ein „Jude“, so der Schreiber des Artikels, dürfe solche Erziehungsmaßnahmen nicht ausführen; er stellte in seinem Text zudem die Frage, wie lange sich die Menschen das noch von „Juden“ gefallen lassen möchten, sie sollten es ihm heimzahlen.

Daraufhin antwortete das Humanistische Gymnasium: „Diese Aufforderung wirft ein zweifelhaftes Licht auf die Ordnung im Idealstaate des Eisenhammer“ (Schmidt-Häbel, 2005c, S. 200). Der Schreiber des genannten Artikels im Eisenhammer konterte, „dass im Idealstaate des Eisenhammer ein Herr Dr. Strauß in einem Ghetto unterrichten kann und nicht in einem Deutschen Gymnasium!“ (Schmidt-Häbel, 2005c, S. 200).

Nicht nur Dr. Karl Strauß, sondern auch sein Vater Ludwig Strauß wurde aufgrund seiner vielen Tätigkeiten Ziel des Terrors der Nationalsozialisten. Er musste einige seiner Tätigkeiten aufgeben und wurde am 17. März 1933 aus dem Stadtrat verwiesen.

 

Dr. Karl Strauß wurde durch einen Beschluss vom 8. Oktober 1935 vom Schuldienst beurlaubt und in den Ruhestand versetzt. Erst drei Monate zuvor war er zusammen mit seiner Familie in das neu gebaute Haus in der Villenstraße 8 eingezogen. Als Teilnehmer am Ersten Weltkrieg war er von der Bestimmung des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ am 7. April 1933 ausgenommen worden, das für Beamte „nicht arischer Abstammung“ die Versetzung in den Ruhestand vorsah.

Mit der Durchsetzung der Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935, insbesondere des Reichsbürgergesetzes, jedoch wurden derartige Ausnahmen zurückgenommen, da „Jüd*innen“ von nun an nicht mehr als Reichsbürger*innen, sondern als minderberechtigte Staatsbürger*innen galten, für die der Beamtenstatus nicht vorgesehen war. Die gute Bindung zum Kollegium und zur Schülerschaft seiner Schule bewahrte Dr. Strauß nicht vor der zwangsweisen Versetzung in den Ruhestand.

 

 

Emigration

Es kommt die Frage auf, warum Vater Ludwig sowie Sohn Karl mit ihren Familien nicht an Emigration dachten. Die Tochter von Dr. Karl Strauß, Margarethe Berman geb. Strauß, beantwortete diese Frage in einem ihrer Briefe stellvertretend für ihren Vater: „Weil er sich nicht vorstellen konnte, dass in einer Kulturnation wie Deutschland, zu deren Entwicklung auch die Juden ihren Beitrag geleistet hatten, zu der sie sich zugehörig fühlten, das Leben der Juden gefährdet sein könnte. Außerdem hat sich unsere Familie so deutsch gefühlt wie die übrige Bevölkerung“ (Schmidt-Häbel, 2005c, S. 201).

Somit blieb Dr. Karl Strauß in Neustadt und unterrichtete weiter an einer jüdischen Schule in Worms. Durch die Entlassung aus dem Schuldienst verlor Strauß nicht nur seine Arbeit, sondern auch persönliche Beziehungen sowie gesellschaftliche Kontakte. Sein Kollegium traute sich auch nicht, weiter den Kontakt zur Familie zu halten. Sogar im öffentlichen Raum beachtete Strauß seine Bekannten und Freunde nicht mehr, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Hier ist besonders zu betonen, dass Strauß selbst keinen Kontakt suchte und somit seine Bekannten und Freunde schützte.

Drei Jahre nach dem Schulverweis des Vaters durfte auch Tochter Margarethe nicht mehr die Schule besuchen. Da die Schulbildung seiner Tochter für Dr. Strauß jedoch sehr wichtig war, fand er eine Möglichkeit der Emigration seiner Tochter nach Amerika. Über entfernte Verwandte machte er eine Familie in New York ausfindig, die bereit war, Tochter Margarethe aufzunehmen. Margarethe emigrierte im Februar 1938 dorthin.

 

Engagement in der jüdischen Gemeinde

Anfang 1938 erklärte sich Dr. Karl Strauß dazu bereit, im Synagogenvorstand in Neustadt mitzuarbeiten und übernahm den Vorsitz, da der vorherige Vorstand von Gustav Weil aufgrund von Emigration niedergelegt wurde. Dies ist verwunderlich, da Dr. Karl Strauß keine enge Beziehung zur jüdischen Gemeinde hatte, anders als sein Vater.

Gründe, weshalb Dr. Strauß ausgerechnet zu dieser Zeit dem Synagogenvorstand beitrat, sind nicht bekannt. Es muss jedoch Gründe gegeben haben, da er schon während seines Berufes mit antisemitischen Aktionen in Berührung kam und wusste, was auf ihn zukam.

Im Synagogenvorstand beschäftigte man sich mit einem der Hauptprobleme, die ständig wachsende Wohnungsnot für die jüdisch-gläubige Bevölkerung. Schon lange bevor das Gesetz der „Aufhebung des Mieterschutzes für Juden“ am 30. April 1939 veröffentlicht wurde, wurde vielen jüdisch-gläubigen Menschen die Wohnung gekündigt. Sie hofften auf Hilfe von der Kultusgemeinde, da sie quasi auf der Straße lebten. Jedoch hatte die Kultusgemeinde immer weniger Möglichkeiten, den Menschen zu helfen. In sogenannten „Judenhäusern“ kamen einige Menschen unter. Eines davon war das Haus der Familie Nathan in der Volksbadstraße 3, welche im Januar 1939 emigriert war. Insgesamt wohnten dort neun Personen aus vier Familien. Man geht davon aus, dass sie ohne Möbel dort lebten, da Familie Nathan alles mitgenommen hatte. Ein weiteres „Judenhaus“ war die Backstube des Matzenbäckers Mayer in der Ludwigstraße 10.

Auch die Betreuung des jüdischen Altersheims war seit 1938 ein Problem, welches im Synagogenvorstand diskutiert wurde. Emil Behr, der langjährige Leiter gab im Frühjahr 1938 die Betreuung auf, welche daraufhin Dr. Karl Strauß übernahm.

Die Pogromnacht am 9. auf den 10. November 1938 erlebte Dr. Karl Strauß in Neustadt, als die Synagoge und das jüdische Altersheim, welches er neuerdings leitete, in Brand gesetzt wurden. Er stellte einen Wagen zur Verfügung und fuhr zusammen mit einem unbekannten Mann die Menschen aus dem Altersheim in das Ergänzungsheim in der Fröbelstraße 5. Daraufhin wurde er verhaftet und in das Konzentrationslager nach Dachau transportiert. Seine hilfsbedürftige Frau Flora, der aufgrund einer Infektion bei der Geburt der Tochter ein Bein amputiert worden war, blieb alleine in der Wohnung zurück.

Nach seiner Rückkehr aus dem Konzentrationslager Dachau, in dem er vier Wochen gefangen war, kam seine Einsicht bezüglich der dringend notwendigen Emigration. Er bemühte sich nun intensiv um die Emigration, welche sich jedoch inzwischen als sehr schwierig gestaltete.

 

Umzug nach Mannheim und Deportation

Ende 1939 zogen Dr. Karl Strauß und seine Frau nach Mannheim, da das Leben für jüdisch-gläubige Menschen in Neustadt unerträglich wurde. Sie erhielten in vielen Geschäften keine Lebensmittel mehr. Die Tochter von Dr. Strauß besitzt noch einen Zettel von einem Fotogeschäft, auf dem der Vater aufgefordert wurde, seine „Fotos anderwo entwickeln zu lassen“ (Schmidt-Häbel, 2005c, S.203). Ein Grund für den Umzug in eine Großstadt kann die Anonymität der Großstadt gewesen sein. Dr. Strauß kann davon ausgegangen sein, dass sie dadurch ein sichereres Zuhause hatten.

Am 22. Oktober 1940 wurde Dr. Karl Strauß und seine Frau Flora von Mannheim nach Gurs deportiert.

Auch seine Eltern, Ludwig und Klara Strauß, welche inzwischen 86 und 84 Jahre alt waren, wurden transportiert. Sie erfroren in dem kalten Winter in den ungeheizten Holzbaracken.

Dr. Karl Strauß und seine Frau Flora wurden 1942 mit einem Transport nach Auschwitz deportiert. Dort sind sie verschollen.

Die Tochter Margarethe Strauß erfuhr das Schicksal ihrer Familie im Jahr 1944 auf der Opferliste des Roten Kreuzes.

 

Gedenken

2002 wurde an die Familie Strauß durch das Verlegen des ersten Stolpersteins in Neustadt erinnert. Die Stolpersteine von Dr. Karl Strauß und seiner Frau Flora wurden in der Villenstraße 8 verlegt, wo die beiden zuletzt wohnten. In der Landwehrstraße vor dem Kurfürst-Ruprecht-Gymnasium, wo er bis 1935 als Lehrer tätig gewesen war, wurde ebenfalls ein Stolperstein für Dr. Karl Strauß verlegt.