Biografie: Hanna Karoline Meyer-Moses
Nachname: | Meyer-Moses |
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Vorname: | Hanna Karoline |
Geburtsort: | Karlsruhe |
Geburtsdatum: | 30.09.1927 |
Die Familie Moses in ihrem gesellschaftlichen Umfeld
Hanna Meyer-Moses wird am 30. September 1927 als Tochter von Betty und Nathan Moses in Karlsruhe geboren. Sie hat eine jüngere Schwester namens Susanne, welche 1929 geboren wird. Ihr Vater Nathan ist ein Anwalt mit eigener Anwaltskanzlei in der Karlsruher Innenstadt.
Die ersten vier Lebensjahre lebt Hanna Meyer-Moses in Durlach. Danach zieht die Familie innerhalb von zwei Jahren mehrfach um.
Die Familie ist in religiösen Vereinen und auch in der jüdischen Gemeinde vertreten.
Der Vater, Nathan Moses, ist der Leiter des Karlsruher Büros der „Zentralstelle für die Auswanderung deutscher Juden nach Palästina“. Dabei ist es dem Vater wichtig, jegliche Hilfe zu leisten.
Des Weiteren nimmt der Vater am 19. Zionistenkongress in Luzern teil. Er ist ein überzeugter Zionist. Erst mit der Auflösung aller zionistischen Organisationen im Nationalsozialismus ist es ihm nicht mehr möglich sich in diesen für seine Zielsetzungen und Überzeugungen zu engagieren.
Hanna ist Mitglied des jüdischen Sportclubs TCK (Turnclub Karlsruhe). Außer einer gewissen Zuneigung zum Sport wird allerdings nichts Näheres dazu geschildert.
Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus
Eines der prägendsten Ereignisse ihrer Kindheit erlebt sie in der Fastnacht des Jahres 1934. An diesem Tag befindet sie sich bei Bekannten in der Kaiserstraße. Frau Meyer-Moses erinnert sich an „überlebensgroße, hässliche Köpfe, genauso wie die Karikaturen der Juden im ‚Stürmer‘“ (Meyer-Moses S. 15) – es sind wohl die Figuren des Fastnachtsumzugs.
Noch im selben Jahr wird sie eingeschult. Sie ist Teil einer reinen Mädchenklasse. Gerade mit dem Schulalltag verbindet sie unter anderem die Versammlung aller Schüler im Hof (inklusive der jüdischen Schüler). Alle Kinder müssen das Deutschlandlied singen.
Erste Berührungspunkte mit der Trennung in „Juden“ und „Arier“ erfährt sie im Jahre 1936 auf dem Schulhof. Der Pausenplatz wird „in zwei Hälften getrennt, links für die „arischen“, rechts für die „jüdischen“ Kinder“ (Meyer-Moses S. 17).
Ein weiteres einschneidendes Ereignis erfolgt nach den Novemberpogromen im Jahre 1938. Es wird jüdischen Schüler*innen untersagt an staatlichen Schulen teilzunehmen.
Im Folgejahr beginnt der Zweite Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen. Da Karlsruhe ein erhöhtes Risiko darstellt, ist die Familie nach Stuttgart gezogen. Zwei Monate dauert es, bis sie nach Karlsruhe zurückkehren. Der Vater Nathan Moses ist ein Zionist und will, laut ihrer Erinnerung, nach Palästina auswandern.
Die Einwanderung ist beschränkt und erfolgt ausschließlich durch ein Zertifikat, welches nur in bestimmter Anzahl jährlich vergeben wird. Der Familie wird 1938 das Zertifikat zugesagt, allerdings entscheidet der Vater, dass er das Zertifikat freigibt, sodass ein Inhaftierter aus dem Konzentrationslager Dachau freikommt und dementsprechend nach Palästina auswandern kann. Auch im Folgejahr wird der Familie ein Zertifikat zugesandt. Durch den Zweiten Weltkrieg wird es schwieriger auszuwandern.
Die Seewege sind stark beeinträchtigt, außerdem ist der Kriegseintritt Italiens ein weiterer erschwerender Faktor, da auch das Mittelmeer zum Kriegsgebiet geworden ist.
Somit ist es der Familie bis zum Zeitpunkt der Deportation 1940 nicht mehr möglich auszuwandern.
Deportation und Lagerleben in Gurs
Hanna Meyer-Moses beschreibt den Morgen des 22.10.1940 wie folgt: „Am Morgen des 22. Oktober 1940, ca. acht Uhr in der Früh, läutete es an unserer Wohnungstüre. Als meine Mutter öffnete, standen zwei Männer in Zivil vor ihr, die sich als Gestapo-Angehörige auswiesen und fragten, ob alle Familienangehörigen zu Hause seien. Wir feierten gerade „Sukkoth“, das Laubhüttenfest, weshalb wir Kinder Herbstferien hatten. Nachdem meine Mutter bejaht hatte, teilten ihr die Gestapo-Männer mit, es dürfe von nun an niemand mehr die Wohnung verlassen, wir sollten uns reisefertig machen, sie kämen in ca. einer Stunde wieder.“ (Meyer-Moses S.29).
Die Familie wird, von einem Schutzmann begleitet, in einer Straßenbahn zum Bahnhof gebracht. Nur der Vater, Nathan, wird von einem Gestapomann in ein Partei-Auto gesetzt und zum Bahnhof gefahren, da er aufgrund einer Fußwurzelbehandlung kaum laufen kann.
Frau Meyer-Moses erinnert sich, dass die anschliessende Zugfahrt, die sie von Karlsruhe quer durch Frankreich bis an den Fuss der Pyrenäen führte, lang war. Mittendrin werden die Insassen aufgefordert, „die Zugfenster zu schließen, die Sonnenrollos herunterzulassen und uns nicht zu rühren“ (Meyer-Moses S. 33).
Die Fahrt bis zum Bahnhof Oloron verläuft ohne Zwischenfälle. Am Bahnhof angekommen, müssen die Insassen warten, da es nur wenige Lastwagen gibt, die die vielen Menschen im Pendelverkehr ins Lager Gurs transportieren.
An dieser Stelle soll das Leben im Lager aus der Perspektive Frau Meyer-Moses erläutert werden. Meyer-Moses wird im Îlot K, genauer in der Baracke 26, untergebracht. Sie beschreibt die Situation wie folgt: „Die Baracken waren völlig leer: kein Licht, kein Strom, keine Decken, nichts war vorhanden und so mussten wir die erste Nacht auf dem blanken Fußboden verbringen. Anderntags erst erfolgten die Strohanlieferungen und das Lagerleben begann: morgens dünner Wasserkaffee, pro Tag 200 oder 250g Brot pro Person, mittags und abends Wassersuppe mit 5 – 10 spanischen Erbsen und einigen Kohlblättern, hin und wieder wenig zähes, fettes Fleisch darin, die gleiche Nahrung für Säuglinge, Kinder, Kranke und Alte…“ (Meyer-Moses S. 35).
Die Zeit nach Gurs
Hanna Meyer-Moses verdankt die Möglichkeit das Lager zu verlassen ihrer Mutter, da diese sie sofort beim jüdischen „Hilfswerk zur Rettung der Kinder“ (OSE) anmeldet. Die Anmeldung ist erfolgreich und ermöglicht es der Schwester und ihr Gurs zu verlassen. Man bringt sie in ein staatliches Waisenhaus. Eine weitere Station nach ungefähr einem Jahr und drei Monaten ist ein Kinderheim des OSE bei Limoges. Grund für die Verlegung ist die zunehmende gefährliche Lage in Vichy-Frankreich. In der Zwischenzeit werden die Eltern von Hanna Meyer-Moses in das Lager Récébédou, in der Nähe von Toulouse, verlegt. Hanna und ihrer Schwester gelingt es ihre Eltern zu besuchen. Dies ist das letzte Mal, dass sie ihre Eltern treffen.
Gegen Ende des Jahres 1942 spitzt sich die Situation in der unbesetzten Zone zu, da deutsche Truppen einmarschieren. Ende März 1943 sind die Leiter des Kinderheims, Monsieur und Madame Krakovski, spurlos verschwunden. Kurz danach erhalten die beiden Geschwister eine falsche Identitätskarte. Ihnen werden neue Namen zugeteilt: Annemarie und Susanne Mourer. Beide müssen sofort ihre Koffer packen, da sie in die Schweiz fliehen sollen.
In Grenoble teilt man die Gruppe in zwei Hälften. Die erste Gruppe fährt am ersten Tag mit Monsieur Loinger zur Grenze. Die Geschwister Moses gehören der zweiten Hälfte an und sollen am nächsten Tag weiterreisen. Die Schweiz schließt in dieser Nacht die Grenzen, sodass sie zunächst zu einer vornehmen Pariser Familie geschickt werden, die auf dem Land Zuflucht gesucht hatte. Dort werden sie als Zimmermädchen und Köchinnen eingesetzt. Im Juli des Jahres 1943 erhalten die Geschwister einen Anruf. Sie bekommen die Anweisung sich sofort reisefertig zu machen. Kurz darauf folgt die Ankunft in Grenoble und von dort aus geht es mit dem Zug in die Nähe der Grenze zu Genf. Dort werden sie nachts von zwei Unbekannten zur Grenze geführt und ihnen wird die Anweisung gegeben, einen Kilometer geradeaus zu gehen und danach durch den Bach zu schwimmen. Als sie diesen überschreiten, sind sie in der Schweiz angekommen. Frau Meyer-Moses erinnert sich nur an eines der Kinder ihrer Gruppe. Es handelt sich um ihren alten Klassenkameraden Paul Niedermann.
Das Leben in der Schweiz
Am 15. September 1943 werden die Geschwister Moses in einer jungen Familie in der Nähe Berns untergebracht. Hanna absolviert ein Haushaltslehrjahr bei ihrer Gastfamilie. Das Berner Hilfswerk ermöglicht ihr eine gute Grundausbildung zur Haushaltsarbeiterin. Sie absolviert ein Internatsjahr und ein Praktikum und erhält ihren Lehrabschluss. Diese Tätigkeit übt sie drei Jahre aus. Schließlich lässt sie sich zur Sekretärin einer Großhandelsfirma umschulen und verbleibt dort siebeneinhalb Jahre. 1959 wird sie Sekretärin der Psychiatrischen Universitätsklink Waldau.
Im Januar 1963 kündigt sie, um ihren Verlobten Werner Meyer zu heiraten, und zieht zu ihm nach Bremgarten. Kurz zuvor wird sie Schweizer Staatsbürgerin. Aus dieser Ehe entstehen drei Kinder: Ihr Sohn Rolf Nathan und ihre Töchter Eva Elisabeth und Caroline Ester.
Im Laufe der Jahre berichtet Hanna Meyer-Moses in öffentlichen Vorträgen über ihre Erlebnisse und Ereignisse. Außerdem wird ihr im August 1992 das Bundesverdienstkreuz angeboten, welches sie jedoch ablehnt.
Meine Mutter Hanna Meyer-Moses verstarb am 25. Februar 2024. Meine Tante Susanne Moses verstarb am 17. Februar 2019.
Nathan Moses stirbt am 24.5.1944 im Krankenhaus Le Dantec. Betty Moses wird am 2.6.1944 in Auschwitz ermordet.
Literatur
Brändle, Brigitte und Gerhard: Gerettete und ihre Retterinnen. Jüdische Kinder im Lager Gurs: Fluchthilfe tut not – eine notwendige Erinnerung, Karlsruhe 2020, S. 60f.
Meyer-Moses, Hanna: Eine Reise in die Vergangenheit – Eine Überlebende des Lagers Gurs erinnert sich an die Verfolgung während der NS-Diktatur, Ubstadt-Weiher 2009.
Internetangaben
Heid, Evelyn: Jüdische Auswanderung. Online verfügbar unter https://www.auswanderung-rlp.de/emigration-in-der-ns-zeit/allgemeines-juedische-auswanderung.html (zuletzt aufgerufen am 14.12.2020)
Stolpersteine Guide: Familie Moses. Online verfügbar unter https://stolpersteine-guide.de/map/biografie/511/familie-moses (zuletzt aufgerufen am 14.12.2020)
Abbildungsnachweis
Foto: Hanna Meyer-Moses, hier aus www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/blick_geschichte/blick128/lager-gurs.de (überprüft am 25.2.2021)