Biografie: Leonore Therese Gilbert, geb. Sondheimer

Nachname:Gilbert, geb. Sondheimer
Vorname:Leonore Therese
Geburtsort:Worms
Geburtsdatum:24.05.1929

Ein Mädchen, das bereits früh Diskriminierung und Ausgrenzung erfuhr

Kurzbeschreibung

Leonore Therese Gilbert, geb. Sondheimer, machte bereits als Kind Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen in ihrer Heimatstadt Worms. Im Alter von ungefähr sieben Jahren wollte sie mit einem Kindertransport aus Deutschland ausreisen, ihre Eltern empfanden sie jedoch als zu jung. Am 22. Oktober 1940 wurde Leonore gemeinsam mit ihrer Familie nach Gurs deportiert. 1941 gelang ihnen die Emigration in die Dominikanische Republik.

Kindheit

Leonore Therese Sondheimer ist die Tochter von Gertrude und Jakob Sondheimer und wurde am 24.5.1929 in Worms geboren. Ihr Zweitname Therese stammt von der Mutter ihres Großvaters mütterlicherseits. Ihre ältere Schwester Miriam Sondheimer erwähnt die Verwendung des Spitznamens Lorle für sie. Gemeinsam wohnte die Familie ab 1920 in der Seidenbenderstraße 26 in Worms. Im Jahr 1934, als Leonore fünf Jahre alt war, zogen sie in die Berggartenstraße 8.

Leonore und ihre Schwester Miriam schienen ein gutes Verhältnis zu haben. Miriam berichtet, dass es kaum Vorfälle als Kind gab, in denen sie sehr stritten, und berichtet vom gemeinsamen Spielen. Leonore wird zudem als lustiges Mädchen beschrieben.

Leonore besuchte von Beginn an die jüdische Schule in Worms, die 1935 gegründet wurde und sich in der Nähe der Synagoge befand. Antisemitische Erfahrungen machte Leonore bereits in ihrer Kindheit. Der Weg zur Schule ohne Begleitung bereitete ihr deshalb Angst. Ihr Nachbar und Spielgefährte Peter nannte sie „Juddelorle“. Zudem berichtet sie von weiteren Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen in ihrer Kindheit, indem sie und ihre Schwester Miriam von anderen Kindern als „dreckige Juden“ betitelt und mit Steinen beworfen wurden. Ihre Schwester Miriam und sie wurden häufig von einem anderen Jungen bespuckt. Miriam spuckte zurück, weshalb Leonore auf dem Schulweg vom selben Jungen körperlich angegriffen und in einen Hauseingang gedrängt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war sie sechs Jahre alt. Die Diskriminierungserfahrungen in ihrer frühen Kindheit äußern sich auch als Erwachsene noch in Albträumen.

Im Alter von ungefähr sieben Jahren wollte Leonore mit einem Kindertransport nach Großbritannien ausreisen, ihre Eltern empfanden sie jedoch als zu jung.

1938 Reichspogromnacht

In der Reichspogromnacht im November 1938 waren die damals 9 Jahre alte Leonore und ihre Mutter allein zu Hause. Leonore war auf dem Schulweg, als sie andere jüdische Mitschüler*innen traf, die sich auf dem Rückweg befanden und ihr sagten, die Synagoge brenne. Sie war erstaunt und konnte nicht verstehen, was passierte. Leonore drehte um und ging nach Hause, um es ihrer Mutter zu erzählen. Sie erinnert sich, geweint zu haben und die Gesamtsituation nicht verstehen zu können. Gemeinsam mit ihrer Mutter gingen sie in einen kleinen Raum oberhalb ihrer Wohnung – Leonore nahm eine Strickliesel mit – und saßen dort mehrere Stunden. Später gingen Leonore und ihre Mutter in das Unternehmen des Vaters, welches sich in der Nähe der Wohnung befand, und schliefen in dieser Nacht dort. Leonore erinnert sich genauer, dass sie auf einem Stuhl schlief. Die Wohnung ihrer Großeltern wurde in der Reichpogromnacht komplett zerstört. In der Wohnung der Eltern wurde kaum etwas zerstört, Leonore berichtet die Beschmutzung von Ölgemälden, die sich in der Wohnung befanden.

1939 Umzug nach Heidelberg

Gemeinsam mit den Großeltern, Eltern und ihrer Schwester zog Leonore nach Heidelberg, da die Wohnung der Großeltern in Worms komplett zerstört worden war. Sie vermutet, dass die Eltern umzogen, weil Worms sehr antisemitisch war. Lore berichtet, dass sie in Heidelberg glücklich war. Sie liebte es, in Heidelberg wandern zu gehen, und empfand, dass ihr hier weniger Hass und Abneigung entgegengebracht wurde als in Worms, weil niemand wusste, dass sie jüdischen Glaubens waren. Außerdem erinnerte sie sich, dass sie während einer Militärparade durch die Heidelberger Altstadt von einem vorbeifahrenden Soldaten Schokolade geschenkt bekam. Sie empfand nachwirkend große Freude darüber, dass sie nicht als jüdisches Kind wahrgenommen wurde.

Deportation

Am 22.10.1940, Leonore war 11 Jahre alt, wurden sie und ihre Familie nach Gurs deportiert. Sie beschreibt, dass die Deportation sehr überraschend für sie war. Weil Krieg war, waren sie jedoch vorbereitet jederzeit zu fliehen – jeder hatte bereits Rucksäcke gepackt. Dennoch fühlten sie sich in Heidelberg bis 1940 relativ sicher, da der Krieg zu diesem Zeitpunkt außerhalb Deutschlands stattfand.

Am Tag der Deportation kam die Gestapo zwischen 7.00 und 7.15 Uhr. Leonore lag noch im Bett. Die Männer der Gestapo wiesen an, dass sie zwei Stunden hätten, sich fertig zu machen, ihre Sachen zu packen und Proviant mitzunehmen. Jeder solle nur so viel mitnehmen wie er tragen könne. Sie sagten lediglich, dass sie weggebracht würden. Leonore erinnert sich, dass es sehr schrecklich für sie war. Sie packte und nahm ein Wasserfarbenset mit und weitere kleine Dinge, die ihr viel bedeuteten. Außerdem verwüstete sie ihr Zimmer, damit die Nationalsozialisten nichts finden würden.

Sie wurden mit einem Kleinbus zu Hause abgeholt und damit zum Bahnhof gebracht. Bei der Abholung begann Lore zu weinen, weshalb ihre Schwester die Erlaubnis bekam warme Milch aus dem Haus zu holen.

Die Deportation nach Gurs dauerte drei Tage.  Die Menschen wurden mittels gewöhnlicher Züge nach Frankreich deportiert, in denen es Sitzplätze gab. Es war ihnen möglich, ihr Proviant sowie Gegenstände mitzunehmen. Während der Fahrt wurde es ihnen untersagt, aus dem Fenster zu schauen. Die Deportierten bekamen die Androhung sonst erschossen zu werden. Leonore hatte Angst, dass ihrem Vater etwas passieren würde, da er aus dem Fenster sah.

Bei der Ankunft in Gurs war Leonore glücklich und fühlte sich sicher, da die SS nicht mehr da war. Sie dachte, jetzt sei alles gut und fühlte sich zu Beginn wie in einem Tagescamp.

Camp de Gurs

Im Camp de Gurs gab es lediglich leere Baracken. Sie bekamen Strohmatten und Decken zum Schlafen. Zweimal am Tag gab es etwas Suppe und Brot, das wie Leonore berichtet, immer kleiner wurde. In Gurs herrschten schlechte Bedingungen, mit denen sie leben mussten: Leonore berichtet vom knietiefen Schlamm, Folge des vielen Regens;  da er sehr tief war, war das Laufen schwierig.

Männer und Frauen wurden separat untergebracht. Den Kindern, auch Leonore, war es erlaubt überall herumzurennen. Sie war zu Beginn mit ihrer Mutter, Großmutter und Schwester in einer Baracke untergebracht. Später wurde eine Kinderbaracke eröffnet. Sie und andere Kinder bekamen etwas Französischunterricht. Waschmöglichkeiten gab es nur im Freien und Latrinen für Toilettengänge. In der Kinderbaracke, in der Leonore untergebracht war, war es erlaubt, nachts in einen Eimer zu machen und diesen morgens zur Latrine zu bringen.

Ende Dezember erhielten Leonores Eltern einen Brief ihres Onkels Gustav, der versuchte die Ausreise ihrer Familie in die Dominikanische Republik zu organisieren. Da Leonores Cousin für den Vorstand der Jüdischen Siedlungsgesellschaft DORSA tätig war, konnte er die Ausreise ermöglichen.

Am 17. Februar 1941 erhielt Leonore Sondheimer das Visum zur Ausreise aus Frankreich, welches in Marseille unterschrieben wurde und bis zum 17. März 1941 gültig war.

So konnten Leonore und ihre Familie 1941 ausreisen und in der jüdischen Siedlung Sosua in der Dominikanischen Republik untergebracht werden. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Lore bereits im Teenageralter. Sie besuchte dort die Schule und hatte eine Beziehung zu einem Jungen namens Stefan, der aus Ungarn stammte.

USA

1946, im Alter von 17 Jahren, emigrierte Lore gemeinsam mit ihrer älteren Schwester in die USA. Sie arbeiteten beide und waren nach einem halben Jahr fähig, ihre Eltern nachkommen zu lassen. Lore war handwerklich begabt und verdiente ihr Geld, indem sie Akkordarbeit für Großhändler leistete und für sie unter anderem Krawatten, Tassen etc. bemalte. Auch privat nutzte Leonore ihre handwerkliche Geschicklichkeit als Freizeitbeschäftigung und nähte ihre eigene Kleidung, Westen und Wandbehänge. Während ihrer Tätigkeit für Großhändler lernte sie Sam Gilbert kennen, den sie im Jahr 1949, im Alter von 20 Jahren, heiratete. Sam wurde Künstler. Leonore und ihr Mann Sam bekamen zwei Kinder, Dan und Karen. Gemeinsam lebten sie in Connecticut. Leonore verrichtete hauswirtschaftliche Tätigkeiten im eigenen Haus und Garten und übernahm Jobs im Bereich der Buchhaltung.

Leonore hatte verschiedene gesundheitliche Probleme, unter anderem eine Darmerkrankung. Ihre Schwester Miriam berichtet davon, dass Leonore ihre Brust entfernen lassen musste. Die psychische Störung der Depression war ebenfalls Teil ihrer gesundheitlichen Probleme.