Biografie: Margot Wicki-Schwarzschild

Nachname:Wicki-Schwarzschild
Vorname:Margot
Geburtsort:Kaiserslautern
Geburtsdatum:20.11.1931

„reden für die, die nicht mehr reden können, reden für die, die verstummt sind“

Kindheit in Kaiserslautern und Deportation nach Gurs

Margot Wicki-Schwarzschild wurde am 20. November 1931 im pfälzischen Kaiserslautern geboren, wo sie zusammen mit ihren Eltern Luise und Richard Schwarzschild und ihrer zwei Jahren älteren Schwester Hannelore Wicki-Schwarzschild bis zur Deportation der Familie lebte. Margots Mutter Luise stammte aus Bayern und war Katholikin, konvertierte jedoch für die Hochzeit mit Vater Richard 1929 zum Judentum. Richard Schwarzschild war Kaufmann. Nachdem ihm die Ausübung seines Berufs verboten worden war, wurde er zur Arbeit im Straßenbau beordert. Nebenbei spielte er die Orgel in der Kaiserslauterer Synagoge. Im Jahr 1938 kam es im Rahmen der nationalsozialistischen Herrschaft auch für Margot und Hannelore Wicki-Schwarzschild zu spürbaren Einschnitten, von denen sie zuvor, dank ihrer Eltern, weitgehend verschont geblieben waren. So wurden sie von nicht-jüdischen Mitschüler*innen und Lehrkräften aus der Schule gejagt und mussten von nun an in eine sogenannte „Judenschule“ gehen, die provisorisch in einem Lokal in der Nähe der Synagoge, eingerichtet worden war.


Am Morgen des 10. November 1938, unmittelbar nach den Ereignissen der Reichspogromnacht, wurde der Vater Richard Schwarzschild das erste Mal zusammen mit anderen jüdischen Männern von der SA verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau gebracht, von wo er am 30. Dezember 1938 wieder freigelassen wurde. Kurz darauf wurde die Familie Schwarzschild gezwungen, von ihrer Wohnung in ein sogenanntes „Judenhaus“ in der Kaiserslauterer Altstadt zu ziehen, was die spätere Deportation für die Gestapo erleichtern sollte. Am Morgen des 22. Oktober 1940 wurden alle vier aus dem Schlaf gerissen und im  Zuge der Bürckel-Aktion von Kaiserslautern aus in das Lager im südfranzösischen Gurs deportiert. Den Schwarzschilds war dabei nicht bewusst, wohin sie gebracht wurden.

 

Leben in Gurs, Rivesaltes und Pringy

In ihren Schilderungen spricht Margot Wicki-Schwarzschild davon, dass ihr eigener kindlicher Optimismus auch durch die Mutlosigkeit der Erwachsenen, die sie spüren konnte, schwand und sie anfing, den Ernst ihrer Lage zu realisieren. Das Lager in Gurs beschreibt sie als trostlos, sie hebt die katastrophalen hygienischen Bedingungen und den Hunger, den die Gefangenen in Gurs erdulden mussten und an dem viele starben, hervor. Auch von Schwierigkeiten, sich in dem dauerhaft vorhandenen Schlamm fortzubewegen und von dem vielen Ungeziefer, von dem sie im Lager heimgesucht wurden, berichtet sie. In Gurs wurden die Mutter und die beiden Kinder vom Vater getrennt. Luise Schwarzschild litt unter schweren Rheumaschüben, was für die Kinder besonders hart war.


1941 wurde die Familie Schwarzschild in das Lager im nahe Perpignan gelegenen Rivesaltes, das zusammen mit Gurs als „Wartezimmer von Auschwitz“ galt, verlegt. Während Margot und Hannelore im November desselben Jahres in ein Kinderheim der Schweizer Kinderhilfe im unweit der Schweizer Grenze gelegenen Pringy kamen, mussten die Eltern in Rivesaltes bleiben. Schließlich meldete der Vater Richard Schwarzschild sich zur Arbeit in einem Bergwerk in der Nähe von Carcassonne, wohin ihm die Familie folgte und wo sie in der Verschleppung am ehesten so etwas wie Normalität erlebten. Im August 1942 wurden die Schwarzschilds von dort jedoch wieder zurück nach Rivesaltes deportiert, wo sie auf einer Todesliste standen und von wo aus alle vier nach Auschwitz hätten verschleppt werden sollen. Dem Einsatz der Schwester Friedel Reiter von der Schweizer Kinderhilfe beim Commissaire de Criblage des Lagers ist es zu verdanken, dass Margot und Hannelore, sowie ihre Mutter Luise, letztendlich von der Deportation ins Vernichtungslager verschont blieben und freikamen. Sie hatte mit Hilfe eines Kommunionsbildes von Luise Schwarzschild nachweisen können, dass sie ursprünglich katholischen Glaubens gewesen war.

Die Kinder Margot und Hannelore kamen daraufhin erneut in das Kinderheim in Pringy und damit wiederum in die Obhut der Schweizer Kinderhilfe. Richard Schwarzschild konnte nicht gerettet werden. Er wurde von Rivesaltes über das Durchgangslager Drancy bei Paris in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt, wo er vermutlich im November 1943 ermordet wurde.

 

Nach der Freilassung

Nach der Freilassung wurden die zwei Mädchen und ihre Mutter Luise zurück nach Pringy gebracht. Dort besuchten Hannelore und Margot weiter die französische Schule und erwarben beide im benachbarten Annecy das Certificat d‘Etudes Primaires. Luise Schwarzschild fand eine Anstellung als Köchin in Cruseilles, 15 km von Pringy entfernt, wo die Mädchen in den Ferien zu Besuch kommen durften. Nach Ihren Schulabschlüssen 1943 und 1945 zogen Hannelore und Margot Wicki-Schwarzschild zu ihrer Mutter nach Cruseilles. Nach langem Warten bekamen die Schwarzschilds im Herbst 1946 ihr Visum für die Rückkehr nach Deutschland, wo die Mutter den Anspruch auf Witwenrente geltend machen konnte. Sechs Jahre nach der Deportation nach Gurs kehrten Luise, Hannelore und Margot Schwarzschild nach Kaiserslautern zurück. Aufgrund der familiären Situation und der
schlechten wirtschaftlichen Lage verließen sie die Pfalz jedoch bald wieder und zogen zur Familie mütterlicherseits nach Niederbayern, wo Margot Wicki-Schwarzschild von 1947-1949 ihren Realschulabschluss absolvierte. Die Familie kehrte 1949 wieder zurück nach Kaiserslautern. Margot besuchte ab 1950 eine private Schule für Dolmetscher*innen in Landau in der Pfalz und fing nach ihrer Ausbildung 1951 an, im American Headquarter in Kaiserslautern zu arbeiten. Daneben erfreute Sie sich der auflebenden Kultur in
Kaiserslautern, engagierte sich etwa bei den Pfadfinder*innen Sankt Georg und übernahm auch bald die so genannte Wölflingsarbeit. Diese Arbeit und die freundschaftlichen Kontakte halfen ihr, in der alten Heimat wieder Fuß zu fassen und schärften Margots Blick für die Entwicklung junger Menschen. 1954 entschloss sie sich, in Genf eine Arbeitsstelle als Dolmetscherin zu suchen und ihr Leben in der Schweiz, die sie faszinierte, zu führen. Als Deutsche war es allerdings fast unmöglich, in ihrem gelernten Beruf tätig zu sein, da
internationale Organisationen dort keine Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft anstellen durften. Margot Wicki-Schwarzschild dazu: „Ironie des Schicksals: Ich, als Verfolgte des Naziregimes wurde als Deutsche taxiert, die nur im Haushalt hätte arbeiten können“. Jedoch gelang es ihr letztlich über eine Ausnahmebewilligung, die sie von ihrer zukünftigen Arbeitsstelle erhalten hatte, eine Beschäftigung als Dolmetscherin in Genf zu erlangen, die sie am 1. Mai 1954 antrat. Dort vertiefte sie auch den Kontakt zu Josef Wicki, dem Bruder ihres Schwagers Franz Wicki, der in Genf als Architekt arbeitete. 1955 heirateten die beiden und zogen gemeinsam nach Basel, wo das Paar vier Kinder bekam. Margot Wicki-Schwarzschild engagierte sich in den folgenden Jahren stark für Menschen mit psychischer Krankheit, angefangen damit, dass ihre eigene Tochter 1977 psychisch erkrankte. So gehörte sie zu den Mitgründer*innen der „Demokratischen Psychiatrie“ in Basel, einer Selbsthilfebewegung, die inzwischen in die professionell verwaltete Stiftung Melchior aufgegangen ist. Für dieses Engagement erhielt sie im Jahr 2001 den Sozialpreis ihrer schweizerischen Heimatgemeinde Reinach bei Basel.


1990 begann Margot Wicki-Schwarzschild mit der Erinnerungsarbeit. Sie nahm an zahlreichen Zeitzeug*innengesprächen teil, so etwa 2000 in den Räumlichkeiten des  Albert-Schweizer-Gymnasiums in Kaiserslautern und 2014 am Johanna-Geißmar-Gymnasium in Mannheim. 2008 und 2015 begleitete sie Schüler*innengruppen aus Baden und der Pfalz auf Fahrten nach Gurs. Für dieses Engagement wurde Margot Wicki-Schwarzschild 2015 mit der Goldenen Stadtplakette ihrer Geburtsstadt Kaiserslautern ausgezeichnet.