Biografie: Ruth Steinfeld, geb. Krell
Nachname: | Steinfeld, geb. Krell |
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Vorname: | Ruth |
Geburtsort: | 08.07.1933 |
Geburtsdatum: | Sinsheim |
Zum Portrait
Ruth Steinfeld kam am 8. Juli 1933 zur Welt. Gemeinsam mit ihrer Schwester Lea und den Eltern lebte sie in Sinsheim. Ihr Vater, Alfred Krell, besaß mehrere Fachgeschäfte, darunter in Sinsheim selber und in Ladenburg. Ruth Steinfeld beschreibt ihre Kindheit als angenehm und „normal“; sie war ein lebhaftes Kind, das gerne viel Zeit mit der eigenen Familie verbracht hat. Ihr Vater ist, zum Missfallen seiner Ehefrau Anna, oft mit seiner Tochter auf seinem Motorrad weggefahren und Ruth Steinfeld beschreibt ihre Beziehung zu ihm als besonders schön. Jeden Abend aßen die Eltern mit den beiden Töchtern gemeinsam zu Abend – bis zum verhängnisvollen 9. November 1938. Die folgende Darstellung orientiert sich an den Erinnerungen von Ruth Steinfeld.
Reichspogromnacht und Inhaftierung
In der Reichspogromnacht stürmten zwei deutsche uniformierte Männer der SA in ihre Wohnung, nachdem diese die Haustür mit Hämmern und Äxten eingeschlagen hatten. Sie zerstörten ihr Zuhause und beschlagnahmten allerlei Besitztümer. Der Boden war mit Glasscherben übersät und die fünfjährige Ruth war äußerst verstört und verängstigt. Die Männer in Uniform nahmen zudem ihren Vater und Großvater, der mit ihnen lebte und ebenfalls ein Geschäft besaß, mit. Ruths Mutter wusste nicht, wohin die Männer gebracht wurden, doch ist davon auszugehen, dass sie wie andere jüdische Männer in oder nach der Pogromnacht in ein Konzentrationslager gebracht wurden. Nach einer gewissen Zeit – Ruth Steinfeld kann sich nicht mehr erinnern, wie lange diese betrug – kehrten ihr Vater und Großvater zurück und die Familie zog sich in das Haus des Großvaters in Ladenburg zurück. Die Familie war nun zwar wieder vollständig, aber Alfred Krell konnte seiner Tätigkeit nicht mehr nachgehen. Ruth und Lea Krell wurde der Schulbesuch untersagt, da nun auch jüdische Kinder aus dem öffentlichen Schulleben ausgeschlossen wurden. Angesichts der Situation und der steigenden Repressionen gegen jüdische Bürger*innen planten Ruth Steinfelds Eltern auszuwandern. Ihre Mutter ging jeden Tag zur Einwanderungsbehörde, um in Erfahrung zu bringen, ob ihnen die Erlaubnis zur Emigration in die Vereinigten Staaten gegeben wurde. Die Emigration jedoch gelang nicht mehr; vielmehr wurde die Familie deportiert. Ruth Steinfelds Mutter war an diesem Tag (Ruth datiert ihn wohl irrtümlich auf den 20. Oktober 1940) unterwegs, ihre Töchter alleine zuhause, als die Gestapo erneut versuchte, in die Wohnung einzubrechen. Ruth Steinfeld schildert in ihrer Biografie, dass sie und ihre Schwester Lea sich erst hinausgetraut hatten, als ihre Eltern ihnen von außerhalb der Wohnung zuriefen, die Beamten hinauszubegleiten. Gemeinsam mit ihren Eltern wurden sie in ein Gefängnis nach Ladenburg gebracht, wo sie eine Nacht verbrachten. Ruth Krell war gerade einmal sieben Jahre alt war.
Die Deportation nach Gurs
Am Tag darauf wurde Ruth Steinfeld mit ihrer Familie nach Mannheim gebracht, von wo sie letztendlich nach Gurs in Frankreich weitertransportiert wurden. Der Transport dauerte mehrere Tage und Ruth Steinfeld erinnert sich an enge Plätze, in die zahlreiche Personen hineingezwungen wurden. Drei Nächte und vier Tage mussten sie in diesen verweilen, inmitten, so Ruth Steinfeld, von menschlichen Exkrementen. Sie kamen letztendlich im Lager in Gurs nahe der spanischen Grenze an, und unmittelbar nach der Ankunft wurden Männer und Frauen getrennt; sie wurden in verschiedene Abteilungen des Lagers unterbracht. Dies war auch das letzte Mal, dass Ruth Steinfeld ihren Vater sah. In ihrer Autobiografie erinnert sie sich an schreiende und hysterische Frauen und auf Nachfrage bei ihrer eigenen Mutter gab diese an, dass diese, nachdem sie ihre Ehemänner und Söhne verloren hätten, auch den Verstand verloren hätten. Nach vier Monaten fand Ruth Steinfelds Mutter die gemeinnützige Organisation „Oeuvre de secours aux enfants“ (OSE), die sich für den Schutz jüdischer Kinder einsetzte. Eines Nachts im Februar 1941 wurden Ruth und Lea von ihrer Mutter geweckt, weil ein Bus auf sie wartete. Ihre erst 32-jährige Mutter traf die Entscheidung, ihre beiden Töchter wegzuschicken, wohlwissend, dass sie im Camp kaum Überlebenschancen hätten und sie selber – vor allem da ihr Ehemann Alfred Krell sich an einem anderen Ort aufhielt - Ruth und Lea kaum versorgen könne.
Ruth Steinfelds Eltern mussten zwei weitere Jahre in Gurs verbringen, bis sie nach Drancy und schlussendlich nach Auschwitz transportiert wurden. Am 9. September 1942 wurden 909 Männer und 68 Frauen – unter ihnen Alfred und Anna Krell – nach Auschwitz deportiert. 68 Personen starben auf dem Weg. Von den anfänglich über 900 Jüdinnen und Juden überlebten lediglich 43 das Ende des Krieges im Jahre 1945. Ruth Steinfelds Eltern gehörten nicht zu ihnen.
Versteck und verborgene Identität in Frankreich
Ruth und Lea wurden zunächst in das sogenannte Chateau Masgelier gebracht – ein Schloss, das abseits gelegen war und als Unterkunft für jüdische Kinder diente. Diese mussten so lange im Schloss verweilen, bis die Zuständigen der Organisation Freiwillige fanden, die die Kinder unter ihre Obhut nehmen konnten. Ruth und ihre ein Jahr ältere Schwester gingen dort zur Schule und lernten allmählich Französisch. Um weiterhin vor den Nazis versteckt bleiben zu können, durften die Kinder sich nicht zu auffällig verhalten und ihnen wurden sogar neue Namen gegeben. Ruth wurde in Regine umbenannt.
Eines Tages wurden die Kinder von deutschen und französischen Soldaten beim Spielen erwischt. Der Leiter des Chateau traf daher die Entscheidung, die Kinder nicht mehr länger im Schloss versteckt zu halten, sondern sie bei Familien in privaten Unterkünften unterzubringen. Sowohl der Direktor als auch die beiden Mädchen Ruth und Lea hielten ihre religiöse Zugehörigkeit geheim, und so wurden die Schwestern bald einer Frau namens Madame Chapot in Draveil vorgestellt, der man mitteilte, eine Tante von Ruth und Lea hätte sie in einem Waisenhaus abgegeben.
Ruth Steinfeld beschreibt ihre Zeit auf Madame Chapots Bauernhof – den sie mit ihrem Mann und ihrer gemeinsamen erwachsenen Tochter Paulette bewirtschaftete – als angenehm; sie und ihre Schwester besuchten vormittags die Schule und nachmittags übten sie gemeinsam mit ihren neuen Pflegeeltern allerlei Tätigkeiten auf dem Bauernhof aus. Die Mädchen gaben sich als katholische Französinnen aus, doch eines Tages fanden Nazis eine jüdische Person in einem Versteck bei einer der anderen Familien, woraufhin deutsche Soldaten am 10. Juni 1944 das berüchtigte Massaker von Oradour-sur-Glane begingen; die Gemeindekirche dort wurde in Brand gesetzt und nahezu alle Dorfeinwohner wurden bei lebendigem Leibe verbrannt und fanden hierdurch den Tod. Schnell kam der Verdacht auf, dass auch Ruth und Lea Jüdinnen seien. Der Priester der örtlichen Kirche, der von der wahren Identität der Mädchen wusste, gab bei einigen Gemeindebewohnern an, Lea und Ruth seien womöglich Jüdinnen. Das Gerücht verbreitete sich schnell und die beiden Schwestern wurden von anderen Kindern schikaniert und gehänselt. Angesichts der Gefahr, der der Mädchen ausgesetzt waren, mussten sie erneut fliehen. Während eines kurzen Aufenthalts in einem Waisenhaus in Saint-Étienne erhielten Ruth und Lea die Nachricht, dass ihr Großvater, der das Konzentrationslager in Dachau überlebt und verlassen hatte, in die USA ausgewandert wäre und ein Visum erhalten hätte. Am 11. November 1945 wurden die beiden Schwestern nach Draveil geschickt. In der dortigen Einwanderungsbehörde wurden ihnen für ihre Ausreise in die USA Pässe ausgestellt und Ruth und ihre Schwester Lea wurden heimlich, mit zahlreichen weiteren Waisenkindern, auf ein Schiff gebracht, das sie in die Vereinigten Staaten brachte. Ruth und Lea verließen Frankreich im August 1946 und kamen nach zwei Wochen in den USA an.
Neubeginn in den Vereinigten Staaten
Die beiden Schwestern wuchsen bei Verwandten väterlicherseits auf und mussten erneut eine neue Sprache – in diesem Fall Englisch – erlernen. Sie lebten zu Beginn in New York, in der sie nicht nur mit Verwandten in Kontakt traten, sondern auch mit Bekannten und anderen Juden, woraufhin die beiden Mädchen das „Jüdisch sein“ allmählich wieder erlernten, nachdem sie jahrelang ihre wahre Identität verbergen hatten mussten. Nachdem ihr Großvater verstarb und ihre Tante sich nicht mehr weiter um die beiden heranwachsenden Mädchen kümmern konnte, wurden Ruth und Lea in die Obhut einer jüdischen Organisation gebracht, die sich in Houston, Texas, befand und sich um jüdische Kinder kümmerte. Lea und Ruth wurden zwei verschiedenen Familien zugeordnet, doch nachdem die beiden Mädchen älter wurden (Ruth war 16 und Lea 17) und sie sich Arbeit suchen konnten, zogen beide aus den jeweiligen Familien aus und lebten gemeinsam. Houston blieb ihre Heimat, in der sie heirateten und eigene Familien gründeten. Am 3. März 1996 eröffneten die beiden Schwestern Ruth und Lea ein Gedenkmuseum in Houston für Opfer der Shoah. Lea, durch ihre Heirat Lea Weems, besuchte gemeinsam mit Ruth ihre deutsche Heimat im März 2008; sie starb 2018.
Literatur:
Abbildungsverzeichnis:
https://thebuzzmagazines.com/articles/2019/01/houstons-holocaust-survivors
(zuletzt aufgerufen am 14.2.2021)