Konsulatsunterricht versus Herkunftssprachenunterricht – Migrationssprachen in Baden–Württemberg

Seit nunmehr fast zwanzig Jahren belegen Studien, dass in Deutschland die Familien-/Herkunftssprachen im Leben von Kindern und Jugendlichen mit familiärer Zuwanderungsgeschichte eine zentrale Rolle spielen und von diesen auch aktiv verwendet werden.

Auch unter anderem deshalb sind in der Zwischenzeit immer mehr Bundesländer dazu übergegangen, den Muttersprachenunterricht der konsularischen Vertretungen durch einen staatlich verantworteten Herkunftssprachenunterricht zu ersetzen oder zu ergänzen, d.h. beide Formate, also Konsulatsunterricht und Herkunftsunterricht, parallel anzubieten. Entgegen den Entwicklungen in anderen Bundesländern, wird in

Baden-Württemberg und Bayern weiterhin nur der Muttersprachenunterricht der konsularischen Vertretungen angeboten.

Baden-Württemberg als ein Flächenstaat mit einem der höchsten Anteile an Schüler:innen mit Migrationshintergrund sollte – analog dem Modell anderer Bundesländer – ebenfalls Herkunftssprachenunterricht in staatlicher Verantwortung anbieten. Hierfür sprechen, neben der großen Zahl an Schüler:innen, die hiesigen gesellschaftlichen Kontexte sowie die inhaltlich-personellen Rahmenbedingungen des Konsulatsangebots.

Zwischenzeitlich ist unstrittig, dass Migrationsdiversität eine gesellschaftliche Grundkonstante darstellt und politisch nicht infrage gestellt wird. Für die Hälfte der hiesigen Schüler:innen ist die lebensweltliche Zwei-/Mehrsprachigkeit Alltagsrealität und es ist wissenschaftlich belegt, dass Migrationssprachen eine wichtige Bildungsressource darstellen, die auch in Baden-Württemberg stärker in schulisch-unterrichtliche Lehr-/Lernkontexte einzubinden ist.

Um dies didaktisch-methodisch angemessen umzusetzen, benötigt es curriculare und sprachdidaktische Rahmenbedingungen, um Migrationssprachen in ihrer ganzen Breite (Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben) zu lehren und zu lernen, mit dem Ziel, diese perspektivisch in den schulischen Fremdsprachenkanon aufzunehmen.

Hinsichtlich der inhaltlich-personellen Kontexte des gegenwärtigen „Konsulatsunterrichts“ in Baden-Württemberg ist zu konstatieren, dass die Bildungspläne für den Unterricht weiterhin aus den Entsendeländern entstammen und damit die dortigen Wissensbestände und Lern-Kontexte abbilden. Die unterrichtenden „Konsulats-Lehrkräfte“ werden in den Entsendeländern beruflich-fachlich qualifiziert und werden auf fünf Jahre befristet nach Baden-Württemberg/Deutschland entsandt. Dadurch sind sie sind kaum auf die spezifische sprachliche (zweisprachige) und soziokulturelle (bikulturelle) Situation der Migrationsschüler:innen vorbereitet. Ebenfalls findet eine personelle und unterrichtlich-fachliche Kooperation und Zusammenarbeit zwischen den „Konsulats-Lehrkräften“ und den Lehrkräften des Regelunterrichts nicht oder nur vereinzelt (durch Eigeninitiative) statt.

Der LAKA (Landesvertretung der kommunalen Ausländervertretungen Baden-Württemberg) reichte 2020 die Petition „Einführung herkunftssprachlichen Unterrichts in staatlicher Verantwortung in Baden-Württemberg“ im Landtag ein. Gefordert wird die Umsetzung eines fünfjährigen Modellversuchs an ausgewählten Grundschulen, der wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werden soll. Am 11.11.2022 empfahl der Petitionsausschuss des Landtages, der Petition nicht stattzugeben (Landtag von Baden-Württemberg Drucksache17/3450).