Migrationsbezogene Mehrsprachigkeit als Bildungsressource

Studien zeigen, dass in Migrantenfamilien die Herkunftssprachen auch nach Jahrzehnten der Einwanderung eine wichtige Rolle spielen und an die jüngeren Generationen weitergegeben werden. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Praxis auch in den kommenden Jahren nicht wesentlich verändern wird, was bedeutet, dass eine zunehmende Zahl an Kindern und Jugendlichen ihren Alltag in mindestens zwei Sprachen bewältigt und schulisches Lernen für sie in mehrsprachigen Kontexten stattfindet, die Fremdsprachen nicht.

Die alternierende Verwendung von zwei Sprachen stellt für die meisten Migrantenkinder die Normalität dar. Eine vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) durchgeführte Befragung von Kindern im Alter von 5 bis 11 Jahren in verschiedenen deutschen Großstädten zeigte, dass diese den Sprachenwechsel als etwas völlig Normales ansehen und bewusst und willentlich verschiedene Sprachen in unterschiedlichen Lebens- und Bildungskontexten verwenden. So treffen bereits fünfjährige Kinder ganz klare Entscheidungen über ihr Sprachverhalten gegenüber (institutionellen) Bezugspersonen. So spricht die überwiegende Mehrheit von ihnen mit den Eltern die Mutter-/Herkunftssprache, wohingegen mit Freunden und Pädagogen ausschließlich Deutsch gesprochen wird. Die Aufteilung der Lebenswelt nach verschiedenen Sprachen prägt sich dabei mit zunehmendem Alter immer stärker aus.

Es existieren weiterhin an zu wenigen Schulen pädagogische Modelle, welche zum einen die Mehrsprachigkeit der Kinder und Jugendlichen in den Blick nehmen, zum anderen deren Deutscherwerb angemessen fördern. Viele Kinder mit (familiärem) Migrationshintergrund besuchen einen Unterricht, der ihre Mehr-/Zweisprachigkeit und das Erlernen des Deutschen als eine Zweitsprache zu wenig berücksichtigt. Besonders schwer haben es Kinder bzw. Schüler:innen, deren Erst-/Herkunftssprachen einer anderen Sprachfamilie angehören und deren Lautsysteme, Grammatik und Syntax sich vom Deutschen unterscheiden.

Leider findet in pädagogischen Diskursen weiterhin kaum Beachtung, dass Migrationssprachen ein wichtiges Bildungspotenzial darstellen, das für Deutschland im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe in Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft weiter an Bedeutung gewinnen wird, da unsere Gesellschaft in einer globalisierten Welt in zunehmendem Maße auf mehrsprachige, inter-/transkulturell geschulte Personen, die in internationaler Perspektive denken und handeln können, angewiesen sein wird. Es sollte daher im Interesse der (bildungspolitisch) Verantwortlichen sein, kulturelle und sprachliche Ressourcen aller Bürger:innen wahrzunehmen und zu fördern.