Schule Gemeinsam Gestalten – Diversitätssensibilität gegen Antisemitismus und Rassismus

Deutschland eine einwanderungsgeprägte Gesellschaft

Deutschland hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg – wie viele andere europäische Länder auch – zu einem Einwanderungsland entwickelt. Gegenwärtig hat über ein Viertel der Gesellschaft einen so genannten Migrationshintergrund; bei Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter liegt dieser deutlich darüber und beträgt in Baden-Württemberg 45 Prozent!

Kennzeichen einwanderungsgeprägter Gesellschaften ist ihre hohe in kulturelle, sprachliche und religiöse Diversität. Gegenwärtig umfasst die Bevölkerung aus muslimisch geprägten Herkunftsländern ca. 4,5 Millionen und bildet damit die zweitgrößte Religionsgemeinschaft nach den christlichen Kirchen, gefolgt von ca. 200.000 Bürger*innen jüdischen Glaubens.

Die Schule von heute ist die Gesellschaft von morgen

Die Auswirkungen gesellschaftlicher Vielfalt zeigen sich am eindrücklichsten in den Bildungsinstitutionen; seit 2015 hat diese durch Flucht-/Migrationserfahrung nochmals zugenommen.

Schulen und ihre zentralen Akteure – konkret Schulleitungen und Lehrerkollegien – tragen eine besondere Verantwortung gegenüber negativen gesellschaftlichen Entwicklungen, weil diese zumeist zeitnah ihren Niederschlag in schulisch-unterrichtlichen Kontexten finden. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch eine Stärkung der Demokratiekompetenz nachwachsender Generationen. Demokratie als politisches Gesellschaftssystem ist kein Selbstläufer, sondern die freiheitlichen Grundwerte müssen - gerade in Bildungsinstitutionen - vor-gelebt, umgesetzt und wenn nötig, gegen demokratiefeindliche Entwicklungen geschützt werden.

Bildungsinstitutionen sind Orte, in denen Kinder und Jugendliche gemäß des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages für ihr Leben als mündige und selbstreflexive Bürger*innen vorbereitet werden. Daher ist die Vermittlung demokratischer Handlungskompetenz ein zentrales Ziel von Schule, das als Querschnittskompetenz idealerweise alle Unterrichtsfächer durchziehen sollte. Lehrkräften kommt in diesem Prozess eine zentrale Rolle zu, denn sie vermitteln nicht nur die entsprechenden Werte, sondern leben diese durch ihr Handeln konkret vor.

Demokratiefeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus in Bildungseinreichungen

Aktuelle Studien belegen für Deutschland eine zunehmende Tendenz an demokratiefeindlichen Einstellungen innerhalb der hiesigen Bevölkerung, insbesondere im Zusammenhang mit den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung von Folgen der Covid-19-Pandemie. Insbesondere in den Sozialen Medien erfahren Falschmeldungen und Hassbotschaften, fake news und hate speech, eine rasche Verbreitung und erreichen viele junge Nutzer*innen.

Die Ausbildung demokratieskeptischer bzw. -feindlicher Einstellungen geht häufig mit verschiedenen Formen des Rassismus, insbesondere des Antisemitismus, einher. Neben dem Antisemitismus in politisch-extremistischen Gruppen, verzeichnet in den letzten Jahren der Antisemitismus innerhalb muslimisch sozialisierter Jugendlicher eine bedenkliche Zunahme.

Die Studien verdeutlichen, dass eine vermehrte Zunahme antisemitischer Vorfälle, nicht nur im öffentlichen Raum, sondern mittlerweile auch vermehrt in Bildungsinstitutionen bzw. Schulen zu beobachten ist, die als wichtigste Sozialisationsinstanzen nach der Familie, gefordert sind, pädagogisch angemessen auf Rassismus und Antisemitismus zu reagieren. Doch belegen die Untersuchungen auch, dass viele Lehrkräfte sich in der Frage einer angemessenen pädagogischen Vorgehensweise - fachlich wie pädagogisch - überfordert fühlen, um konsequent Haltung zu zeigen. Besonders bedenklich wird dieses Verhalten, wenn nicht nur innerhalb der Schülerschaft, sondern auch im Lehrerkollegium - offene oder getarnte - antisemitische Äußerungen oder Einstellungen vorgebracht werden, die kommentarlos stehen bleiben.

Die Rolle der Lehrkraft in gesellschafspolitisch herausfordernden Zeiten

Die erste Assoziation hinsichtlich der Aufgabe von Lehrkräften ist die der Wissensvermittlung. Es wird jedoch immer deutlicher, dass diversitätsgeprägte, komplexe Gesellschaften eine starke Erweiterung des Aufgabenspektrums von Lehrkräften verlangen. Neben der „klassischen“ Rolle, der Aufbereitung und Vermittlung von Fachwissen, müssen sie immer stärker und sichtbarer ihren Erziehungsauftrag wahrnehmen. Dies bedeutet unter anderem auch, Schüler*innen stärker als bisher ethisch-moralische Werte wie beispielsweise Erziehung zur Demokratie, Freiheit und Toleranz zu vermitteln, damit diese zu selbstbestimmten, Bürger*innen heranwachsen können. Lehrkräfte sind damit – explizit wie implizit – durch ihren Unterricht und durch die Art und Weise ihres pädagogischen Wirkens für das Gelingen von Schule als Lehr- und Lernort mit verantwortlich. Gerade im Zuge der zunehmenden kulturellen und religiösen Diversität sollten sie idealerweise in folgenden Handlungsfeldern Expertise aufweisen können:

  • Selbstreflexionskompetenz und Persönlichkeitsbildung: Lehrkräfte werden in ihrer Sozialisation, wie alle anderen Menschen, zunächst durch ihr familiäres und soziales, später berufliches Umfeld geprägt. Sie treffen täglich auf Menschen mit vielfältigen Einstellungen und Positionen, was bedeutet, dass sie sich immerwährend über die eigenen Einstellungen und die der anderen bewusst zu werden und diese kritisch reflektieren.
  • Interkulturelle Kompetenz: Die Schülerschaft der meisten Großstadt-Schulen zeichnet sich durch eine Vielzahl an Diversitätsdimensionen aus, insbesondere durch kulturelle, religiöse und sprachliche Vielfalt. Für ein gutes Lernklima und ein respektvolles und wertschätzendes Miteinander ist die Kenntnis der familiären Hintergründe, der elterlichen Erziehungsvorstellungen sowie der sozioökonomischen Kontexte der Schüler*innen von zentraler Bedeutung, um unterschiedliche Sichtweisen und Perspektiven zulassen zu können.
  • Kommunikations- und Aushandlungskompetenz: Wo Menschen miteinander lernen, treffen unterschiedliche Sichtweisen und Werturteile aufeinander, die sich auch diametral gegenüberstehen können. Eine gute Schulgemeinschaft zeichnet sich dadurch aus, dass allen Akteuren das Recht zusteht, ihre Ansichten und Positionen zum Ausdruck zu bringen. Dafür benötigt es auf Seiten der Lehrkräfte eine hohe Kommunikationskompetenz, welche sie befähigt, auch mit kontroversen Positionen umzugehen und wenn nötig in Aushandlungsprozesse mit schulischen Akteuren (Schulleitung, andere Lehrerkolleg*innen, Schüler*innen, Eltern, außerschulische Partner*innen) einzutreten.