Projekt des Jugendamts Rhein-Neckar-Kreis mit dem Heidelberger Zentrum für Migrationsforschung und Transkulturelle Pädagogik

Bericht zum Start der Pilotphase 2012/2013


Im  Rhein-Neckar-Kreis leben über 14.000 türkischstämmige Migranten. Sie stellen die weitaus größte Bevölkerungsgruppe mit Zuwanderungsgeschichte dar. 

Nicht nur allein die Anzahl der türkischen Migranten, sondern auch ihre spezielle Lebenssituation, macht einen Bedarf an erzieherischer Unterstützung durch ein Projekt, das niederschwellig ansetzt, notwendig.

Viele türkischstämmige Familien sind traditionell geprägt; während der Mann arbeitet, ist die Frau für den Haushalt und die Kindererziehung zuständig. Viele Frauen kommen als junge Heiratsmigrantinnen aus der Türkei nach Deutschland. Meist sind sie Anfang zwanzig, sprechen wenig Deutsch und können sich häufig mit den Verhältnissen in Deutschland schwer zurechtfinden. Nach der Geburt der Kinder, für deren Erziehung sie in der Regel allein zuständig sind, sind viele der jungen Mütter überfordert. Eine traditionelle Großfamilie, die ihnen zu Hause Halt, Orientierung und Unterstützung gegeben hat, ist nicht oder nur noch rudimentär vorhanden. Meist sind sie bei der Erziehung auf sich allein gestellt. Probleme gibt es oftmals in der Schule.

Neben sprachlichen und schulischen Defiziten, kommt es immer wieder zu Erziehungsschwierigkeiten, die mit dem Alter der Kinder noch zunehmen. Eine Unterstützung der Frauen durch die Väter findet selten statt, da Erziehung und Hausarbeit traditionell Aufgabe der Frauen ist. Angesichts der schwierigen Problemlagen, leiden viele Frauen an sog. Migrationskrankheiten wie Depressionen, Bluthochdruck, Herz- und Kreislaufbeschwerden, die sich wiederum negativ auf die Eltern-Kind-Beziehung auswirken. Bei anhaltenden Problemen wird oftmals von Seiden der Gemeinde, der Schule oder des Kindergartens der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) des Jugendamts eingeschaltet. Die Kollegen des ASD sind angesichts der kulturellen Differenzen zwischen ihrem persönlichen und beruflichen Hintergrund und der Lebensweise der türkischstämmigen Familien gefordert; sie stehen oftmals vor dem Problem, eine geeignete Hilfe einzuleiten, die angesichts der kulturellen Differenzen schwer zu finden ist.

Das Projekt, das der Kreis mit dem Heidelberger Zentrum für Migrationsforschung und Transkulturelle Pädagogik (Hei-MaT) realisiert, setzt an diesen Punkten an. Es besteht aus folgenden Teilen:

  1. Laien mit türkischem Migrationshintergrund, die i. d. R. eine eigene Familie haben, suchen türkischstämmige Familien auf, die zwar noch über familiäre Ressourcen verfügen, angesichts der Überforderung der Mütter (und Väter) aber gefährdet sind. Die Laien reden mit den Müttern und Vätern über Erziehung, weisen auf die Notwendigkeit hin, mit den Kindern zu spielen, ihnen vorzulesen und bei Problemen auf sie einzugehen. Auch bei schulischen Schwierigkeiten stehen sie den Familien beratend zur Seite und versuchen bei kulturellen Verständigungsschwierigkeiten zu vermitteln. Thematisiert wird insbesondere die Rolle der Väter, die für ein stärkeres Engagement in Erziehungsfragen motiviert werden. Es handelt sich insgesamt um eine niederschwellige aufsuchende Hilfe,  die unterhalb der Hilfen zur Erziehung (§§ 27ff SGB VIII) liegt. Die aufsuchenden Laien werden von Prof. Dr. Engin ausgebildet und auch während ihres Einsatzes begleitet und unterstützt. 
  2. Der zweite Teil des Projekts richtet sich an Mitarbeiter der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH). Grundlage für den Einsatz einer Familienhilfe ist ein erzieherisches Defizit in einer Familie, das durch den ASD festgestellt wurde. Grundsätzlich ist die Sozialpädagogische Familienhilfe die Hilfe, die bei Problemen von Familien vorrangig eingesetzt wird. Sie gehört zu den Hilfen zur Erziehung gem. §§ 27ff SGB VIII und wird über ein formales Verfahren eingeleitet und begleitet. Sie ist ebenfalls aufsuchend.
    Abgesehen von einigen wenigen Familienhelfern mit Migrationshintergrund, die bei freien Trägern beschäftigt sind, verfügen auch die Familienhelfer i. d. R. über wenig interkulturelle Kompetenz. Die Einsätze erfolgen daher meist vor dem Hintergrund ihrer eigenen Vorstellung von Familie, die den Problemen türkischstämmiger Familien nicht immer gerecht wird. Hier setzt der zweite Teil des Projekts an. Die Familienhelfer des Jugendamts werden durch Prof. Dr. Engin in kultursensibler Familien-/Elternarbeit fortgebildet und ggf. auch supervidiert.
    Eine Laienhelferin kann auch als „Brückenbauer“ und als Multiplikator im Rahmen eines SPFH-Einsatzes eingesetzt werden.
  3. Eine Fortbildung in kultursensibler Elternarbeit bzw. in inter-/transkultureller Pädagogik ist ebenfalls für den Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamts vorgesehen, da dieser als erster mit türkischstämmigen Familien in Berührung kommt, die Familien berät und ggf. intervenieren sowie den Hilfebedarf abschätzen und geeignete Hilfen einleiten muss.