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Musik gemeinsam gestalten

Wie kann musikalische Bildung auch demokratische Werte fördern? Dies diskutierten Vertreter:innen aus Politik, Kultur und Bildungswesen beim 18. Landeskongress für Musikpädagogik.

 

Wie kann Musik an der Schule zur Förderung von Demokratie und politischer Teilhabe bei jungen Menschen beitragen? Welche Rolle spielen dabei digitale Medien und Technologien? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Podiumsdiskussion „Demokratiebildung“ am 7. November mit Vertreter:innen aus Politik, Wissenschaft, Kultur sowie Lehrkräften und Studierenden. Dass es bei einer Stunde Musikunterricht pro Woche und einem Mangel an qualifizierten Lehrkräften in diesem Fach keine einfachen Antworten gibt, hat die intensiv geführte Diskussion gezeigt. Aber sie hat auch an vielen Beispielen aus dem Schulalltag deutlich gemacht, wie individuelles Engagement Demokratiebildung voranbringt. 

18. Landeskongress für Musikpädagogik 

Rund 150 Zuhörende waren zur Podiumsdiskussion in die Aula gekommen, die im Rahmen des 18. Landeskongresses der Musikpädagogik unter dem Motto: „Zukunft. Gestalten“ stattgefunden hat. Zur Tagung am 7. und 8. November hatten der Landesverband des Bundesmusikunterrichts (BMU) Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg sowie dem Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg (ZSL) eingeladen. Gastgeber war das Fach Musik der Hochschule. Das Grußwort zur Podiumsdiskussion hielt Prorektorin Prof. Dr. Marita Friesen.

Ministerialdirektor Daniel Hager-Mann vom Kultusministerium, Thorsten Schmidt, Intendant des internationalen Musikfestivals „Heidelberger Frühling“, Professor Udo Dahmen vom Deutschen Musikrat und ehemaliger Direktor der Popakademie Mannheim, die Landtagsmitglieder Alena Fink-Trauschel (FDP), Alexander Becker (CDU), der auch Präsident  des Landesmusikrats Baden-Württemberg ist, der Musiklehrer, Stimmbildner und Komponist Patrick Bach sowie die beiden PH-Alumnae und Referendarinnen Luisa Marie Leclipteux und Franca Michler gaben das hochkarätig besetzte Podium. Moderiert wurde die Diskussion von Nicole Dantrimont vom SWR.

Schule als Ort der demokratischen Praxis

Dass Demokratiebildung in der Schule heutzutage von größter Bedeutung ist, darüber herrschte auf dem Podium Einigkeit. Daniel Hager-Mann hob hervor, dass Schule insbesondere in Zeiten der gesellschaftlichen und weltpolitischen Unsicherheit ein Ort der demokratischen Praxis sei. Schulen müssten zudem Position beziehen, wenn es um die Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gehe; Neutralität sei hier fehl am Platz. Dabei sei auch wichtig, Demokratie konkret erfahrbar zu machen, führte er aus: In einem neuen Pilotprojekt im Rahmen des Start-Chancen-Programms arbeiten das Kultusministerium, die Pädagogische Hochschule Heidelberg und vier Grundschulen der Region gemeinsam daran, Kinderparlamente einzuführen. Ziel sei, einen Erfahrungs- und Erprobungsraum für Grundrechte, Toleranz und Beteiligung zu schaffen.

Das „Wie“ dieser Demokratiebildung und deren konkrete Umsetzung im Musikunterricht aber war nicht so leicht zu beantworten. Einig waren sich alle Podiumsmitglieder darüber, dass gemeinsames Tun von größter Bedeutung ist. Die beiden Referendarinnen Luisa Marie Leclipteux und Franca Michler betonten jedoch, eine Stunde Musikunterricht in der Woche sei dafür nicht ausreichend. Möglich sei aber, niederschwellig mit Kindern zu arbeiten und ihnen individuell eine Stimme zu geben. Ein gemeinsam komponierter „Herbst-Rap“ etwa hätte die Mitwirkung aller Kinder unabhängig von ihrer Herkunft oder ihres Bildungsstatus gefördert. 

Schüler:innen in der Alltagswirklichkeit abholen

Kinder und Jugendliche in ihrer Alltagswirklichkeit abzuholen, um demokratisches Handeln zu fördern, forderte auch Professor Udo Dahmen. Dazu eigne sich Popmusik weitaus besser als klassisches Bildungswissen der Musik-Hochkultur, so seine Argumentation. Auch soziale Medien der Jugendkultur wie TikTok, die hier meinungsbildend seien, sollten stärker berücksichtigt werden. Das Beispiel des Popsongs einer Absolventin der Popakademie, der viral gegangen sei und 2024 zur Hymne der politischen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus wurde, zeige den demokratischen Aspekt dieser Kulturform. Gerade Popsongs böten die Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit durch kreatives Texten und Arrangieren auszudrücken. Und das gelte für alle gesellschaftlichen Schichten und kulturellen Subkulturen, was in Sachen Bildungsgerechtigkeit nur zu begrüßen sei.

Es bedürfe eben kreativer Ideen, wie im Rahmen des Bildungsplans an demokratischen Regeln orientiertes musikalisches Handeln umgesetzt werden könne, schlussfolgerte der Musiklehrer Patrick Bach. Er berichtete von einem erfolgreichen Projekt in der Seminarstufe I, bei der er freitagnachmittags Popbands mit seinen Schüler:innen gründete, die in einer Doppelstunde Stücke probten und arrangierten. Auch reine Mädchenbands seien dabei entstanden, was von Seltenheit sei. Die eigenen Kompetenzen konnten hier unmittelbar zum Tragen kommen.

Kreative Orte im Bildungsplan nutzen

Thorsten Schmidt hatte hingegen trotz konkreter interessanter Formate weniger Erfolg, Schulen ins Festivalprogramm des Heidelberger Frühlings einzubinden. Ganze drei Lehrkräfte hätten im vergangenen Jahr mit ihren Schüler:innen an Projekten mitgewirkt, bei denen etwa gesellschaftlich relevante Themen wie Migration und Ausgrenzung im Mittelpunkt gestanden haben. Hier gelte auch nicht der Einwand, Jugendliche seien für Hochkultur nicht zu begeistern; längst hätte sich das Festival auch anderen Musikrichtungen wie dem Jazz oder der Weltmusik geöffnet und stieße beim Publikum auf viel Resonanz.

Ministerialdirektor Hager-Mann betonte noch einmal, dass der Bildungsplan durchaus viele Möglichkeiten für musikalische Gestaltung böte, auch wenn formal nur eine Stunde pro Woche zur Verfügung stünde. Auch eine einzige Stunde müsse fachlich gut und motivierend gestaltet werden. Die Erweiterung auf G9 erschließe zudem Freiräume, die für Musik-AGs genauso genutzt werden könnten wie für interdisziplinäres Arbeiten unterschiedlicher Fächer. 

Raum für gemeinsames Nachdenken

Musikprofessor Dr. Stefan Zöllner-Dressler, resümierte abschließend, dass insbesondere das gemeinsame Gestalten von Musik, das weit über ausschließlich reproduzierendes Musizieren hinausginge, besonders wichtig für demokratisches Handeln sei: „Vor diesem Hintergrund freue ich mich sehr darüber, dass unsere Hochschule mit der Podiumsdiskussion einen Raum geschaffen hat für das gemeinsame Nachdenken von Politik und Kultur, Hochschule und Schule über die Verantwortung, die musikalische Bildung für unsere heutige Gesellschaft übernehmen kann“.

Text und Foto: Birgitta Hohenester

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