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Was Jugendliche über ihr Land erzählen

Der Forschungsförderpreis 2025 geht an die Geschichtsdidaktik: Manfred Seidenfuß und Andreas Spiziali untersuchen länderübergreifend, wie sich eine Generation zur Geschichte ihres Landes positioniert.

 

Den diesjährigen Forschungsförderpreis der Pädagogischen Hochschule Heidelberg erhalten Professor Dr. Manfred Seidenfuß und Andreas Spiziali vom für ihr geschichtsdidaktisches Projekt "Deine Geschichte". Über vier Jahre hinweg hatten sie rund 800 Jugendliche aus der 8. bis 12 Klasse verschiedener Schularten über ihr Land erzählen lassen. Die Analyse der Erzählungen gibt unter anderem Aufschluss darüber, wie sich die heutige Schüler:innen-Generation zur Geschichte "ihres" Landes positioniert und auf welche Erzählungen sie sich dabei bezieht, seien es lebensweltliche Geschichten oder Basisnarrative wie die Shoa oder die deutsche Wiedervereinigung. Auf Grundlage der Ergebnisse sollen Fortbildungsmodule für Lehrkräfte entwickelt werden, um den Geschichtsunterricht weiterzuentwickeln.

Die Auszeichnung wurde bei der Soirée der PHHD am 12. November 2025 übergeben. "Mit dem Forschungsförderpreis würdigt die Pädagogische Hochschule Heidelberg engagierte und innovative Forschungsprojekte", sagte Prof. Dr. Marita Friesen, Prorektorin für Forschung und Internationales der PHHD. Das Projekt "Deine Geschichte" zeichne sich gleich mehrfach aus: "Durch die offene Fragestellung, wodurch bereits 780 Geschichten von Jugendlichen aufgenommen werden konnten. Zudem kamen Schülerinnen und Schüler verschiedener Schularten und aus verschiedenen Ländern zu Wort. Besonders hervorzuheben ist auch, dass die beteiligten Geschichtslehrkräfte in den Forschungsprozess einbezogen wurden und die Ergebnisse genutzt werden, um Fortbildungsmodule zu entwickeln."

Jugendliche weltweit im Austausch

In dem Projekt hatten Geschichtsdidaktiker:innen Jugendliche zu einer Videokonferenz mit Gleichaltrigen anderer Länder weltweit eingeladen. "Erzähle Deine Geschichte über Dein Land!" - mit dieser offenen Aufgabe konnten die Jugendlichen selbst den inhaltlichen Fokus setzen und das Format bestimmen (Texte, Audio- und Videodateien oder Abbildungen). Die aufgezeichneten Erzählungen werden aktuell mit einem weiteren Forschungsteam der TU Dresden und Studierenden beider Standorte mit aufwändigen Mixed-Methods-Auswertungsverfahren analysiert.

"Im Unterschied zu Studien, die das Wissen von Jugendlichen zu bestimmten Begriffen oder Ereignissen testen, wollten wir ermitteln, ob zentrale Konzepte und Diskurse aufgegriffen werden, wie beispielsweise Demokratie, Krise, Inklusion, Rassismus, Diversität oder Migrationserfahrungen", erzählen die Wissenschaftler aus den Ergebnissen. Nachdenkenswert sei, dass weiterhin "große Männer" die Geschichten dominierten und Frauen und marginalisierte Gruppen unterrepräsentiert gewesen seien. Auch das politische Europa habe in den Erzählungen keine Rolle gespielt - Jugendlichen fehle es an Erfahrungen und Menschen, mit denen sie ihre Geschichten europäisch gestalten könnten.

Plurales Geschichtsbewusstsein sichtbar machen

"Jugendliche setzen zum Teil andere Akzente als die Lehrpläne der Schulen", sagt Spiziali. Dies sei nicht unbedingt ein Defizit, sondern könne Ausdruck eines pluralen, subjektiv geprägten Geschichtsbewusstseins sein. Oft seien auch eigene Migrationserfahrungen und Migrationserinnerungen der Familien repräsentiert worden - in Schulen und gesellschaftlichen Diskursen würden diese selten oder oft in problematisierender Weise aufgegriffen. Die Schlussfolgerung des Teams: "Wir plädieren für einen Geschichtsunterricht, der die gegenwärtigen Relevanzzuschreibungen gemeinsam mit Jugendlichen reflektiert, und ihnen am Ende ausreichend Kompetenzen des historischen Denkens vermittelt", sagt Seidenfuß.

Übergang in die Praxis

Auf positive Resonanz stieß das Projekt bei den beteiligten Schulen und Lehrer:innen, berichtet das Forschungsteam. In einem weiteren Schritt erstellt es nun einen Praxisreader für die Fortbildung von Lehrkräften. Geschichten erzählen sei einfach; Geschichten zu bewerten und benoten hingegen eine Herausforderung, so Seidenfuß. Auf der empirischen Grundlage und in theoretischer Reflexion würden nun passende Praxismodule für den Geschichtsunterricht entwickelt. Diese könnten Lehrkräfte dabei unterstützen, Schüler:innen zum freien Erzählen anzuregen und solche Geschichten dann auch in die Bewertung einzubeziehen.

Über den Preis

Mit dem Forschungsförderpreis würdigt die PHHD innovative und beispielhafte Forschungs- und Entwicklungsprojekte an der Hochschule, die bislang nur wenig Förderung erhalten und bereits erste substanzielle Ergebnisse vorweisen können. Der Preis wird im Wechsel mit dem Lehrpreis der Hochschule ausgeschrieben und ist mit 3.000 Euro dotiert.

Weitere Informationen zum Forschungsförderpreis finden Sie unter .

Text: Antje Karbe
Foto: Birgitta Hohenester

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