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Was Schulen wirklich bewegt

JProfessor Nicola-Hans Schwarzer und Team führen Befragung am Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung durch: Schüler:innen kämpfen mit vielen Problemen, Lehrkräfte sind hochmotiviert.

Juniorprofessor Nicola-Hans Schwarzer leitet die EpIE-Studie zum Förderschwerpunkt soziale und emotionale Entwicklung.

Traumatische Erlebnisse, ein unsicheres Zuhause, viele Schulwechsel: In Klassen mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung (ESENT) bringen Schüler:innen starke psychosoziale Belastungen mit. Zudem haben sie ein Verhalten entwickelt, mit dem sie anecken - in Regelschulen, in der Gesellschaft und gelegentlich auch mit dem Gesetz.

Aber wie geht es diesen Kindern und Jugendlichen wirklich, und wie könnten Sie noch besser auf ihrem Weg begleitet werden? Sonderpädagog:innen der Pädagogischen Hochschulen Heidelberg und Ludwigsburg haben sich nun systematisch an dieses Thema gemacht: Zwischen Januar und Juli 2025 befragten sie Schüler:innen und Lehrer:innen an 72 baden-württembergischen Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) zur psychosozialen Gesundheit und zu ihrem Wohlbefinden. Die Ergebnisse der Studie "Epidemiologische Informationen im Schwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung" (kurz EpIE) sind jetzt ausgewertet.

„Vorher gab es keine belastbaren Datengrundlage für Baden-Württemberg und keine direkte Befragung von Schüler:innen in diesem Förderschwerpunkt“, sagt Studienleiter von der PHHD. Gemeinsam mit Prof. Dr. Stephan Gingelmaier (PH Ludwigsburg) und Team hatten die Wissenschaftler:innen Daten von insgesamt rund 2.400 Fünftklässler:innen und circa 1.100 Lehrkräften im Förderschwerpunkt ESENT gesammelt.

Gebeutelte Schüler:innen

So leben die befragten Schüler:innen in deutlich problematischeren Umständen und weniger gesund als der Bevölkerungsdurchschnitt. Sie zeigen häufig psychische Auffälligkeiten und posttraumatische Stresssymptome. Gut die Hälfte gibt an, regelmäßig Medikamente einzunehmen, fast ein Drittel war bereits stationär in der Psychiatrie untergebracht. Die Teilnehmer:innen (79 Prozent männlich) neigen zu einer „problematischen“ Internetnutzung und rauchen häufiger als der Durchschnitt. 27 Prozent haben bereits vier oder mehr Schulen besucht, 30 Prozent sind in Konflikt mit dem Strafgesetz geraten.

Auch schätzten sie ihre soziale Integration negativer ein als Altersgenoss:innen aus allgemeinbildenden Schulen und erlebten sich als wesentlich weniger selbstwirksam. Ihre Zukunftsängste hingegen – sei es im Hinblick auf Kriege, Corona oder Klimaveränderungen - sind nicht stärker ausgeprägt als bei Referenzgruppen. Auch beim „Wohlbefinden in der Schule“ stellte das Team keine Unterschiede fest: Scheinbar fühlen sich auch Schüler:innen im Förderschwerpunkt ESENT überwiegend wohl an ihrer Schule.

Möglicherweise sei diese eine Art „Anker“, folgert das Forschungsteam. „Insgesamt bestätigen die Ergebnisse, wie schwer diese Kinder und Jugendlichen belastet sind“, sagt Schwarzer. Der Bedarf für Förderung in der emotionalen und sozialen Entwicklung wachse seit 30 Jahren kontinuierlich, hier gebe es gesamtgesellschaftlichen Handlungsbedarf.

Motivierte Lehrkräfte

Die befragten Lehrkräfte (65 Prozent Frauen) im Förderschwerpunkt haben einen herausfordernden Schulalltag: Mehr als die Hälfte erlebt verbale Übergriffe und rund 42 Prozent berichten von körperlichen Übergriffen durch Schüler:innen. Auch waren sie vergleichsweise häufiger (ca. 40 Prozent) von emotionaler Erschöpfung und gesundheitlichen Belastungssymptomen (ca. 26 Prozent) betroffen. Dennoch ist ihre Einschätzung positiv: Im Schnitt empfanden diese Lehrkräfte sich als selbstwirksamer als Kolleg:innen an allgemeinbildenden Schulen und 92 Prozent bekräftigten, zufrieden mit ihrer Berufswahl zu sein.

„Damit geht es den Lehrkräften besser als wir erwartet hatten“, sagt Schwarzer. „Wir können froh über diese motivierten Lehrer:innen sein und sollten alles tun, um diese Schulen gut finanziell und personell auszustatten.“

Grundlage für Folgemaßnahmen

Die Ergebnisse sind Grundlage für Maßnahmen sein, mit denen emotionale und soziale Kompetenzen dieser Schüler:innen gezielter gefördert werden können. Für die Umsetzung stellt die Baden-Württemberg Stiftung finanzielle Mittel im Programm "wESENTlich SBBZ" bereit (siehe vom 5.11.2025).  Das Forschungsteam wird die Daten für Pilotschulen gezielt aufbereiten und die Umsetzung von Maßnahmen begleiten.

Die BW Stiftung stellt die Ergebnisse und Ausschreibung für Schulen am 27.11.25 bei einer digitalen Veranstaltung vor: . (Anmeldung unter , Kontakt Benedikt Reusch: )

Text: Antje Karbe
Foto: Birgitta Hohenester

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