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Abseits des Idylls

Die politische „Krippe am Fluss“ wirft die Heilige Familie mitten ins Weltgeschehen: Theologie-Studierende beteiligen sich am Heidelberger Projekt.

Die Heilige Familie zwischen Margot Friedländer und Elon Musk.
(v. links) Prof. Dr. Dr. Herbert Stettberger, Hermann Bunse und Dr. Regine Oberle
Von Studierenden mitgestaltet: Die Heidelberger "Krippe am Fluss"

Donald Trump, Carola Rackete, Martin Luther und Papageno in einem Raum – das ist nur in der  Heidelberger Jesuitenkirche möglich. Jedes Jahr zur Adventszeit tummeln sich hier auf wenigen Quadratmetern biblisch-historische Figuren und Menschen, die aktuell Geschichte schreiben: Die „Krippe am Fluss“ bringt sie seit 25 Jahren zusammen, in immer wieder neuer Besetzung.

Ein Stall-Idyll ist nicht in Sicht. Stattdessen wird die Heilige Familie mitten ins Weltgeschehen geworfen. Umgeben von ca. 60 Zentimeter großen Figuren, die ikonisch für religiöse und politische Aussagen stehen, globale Probleme und Krisen abbilden. Sie sollen aufrütteln und doch Hoffnung vermitteln, wünscht sich Initiator Hermann Bunse. Er begann im Jahr 2000 als Gefängnisseelsorger, mit Strafgefangenen aus dem Gefängnis „Fauler Pelz“ an der etwas anderen Krippe zu arbeiten.

Studierende entwickeln Infomaterial

Heute wird der Aufbau vom „Freundeskreis Krippe am Fluss“ und Künstler:innen gestaltet. Geschätzt 40.000 Besucher:innen kommen jedes Jahr, um das Ergebnis zu besichtigen, von Grundschulklassen bis zu internationalen Besuchergruppen. Die Reaktionen reichen von Faszination bis zu starker Irritation, auch wenn die Kritik über die Jahre leiser geworden sei, sagt Bunse. Die Krippe am Fluss ist inzwischen ein Langzeitprojekt, das sich dynamisch weiterentwickelt und an dem auch die Pädagogische Hochschule Heidelberg beteiligt ist.

Dr. Regine Oberle vom Institut für katholische Theologie der PHHD war es, die vor einigen Jahren ihr Potenzial für Lehre und Forschung entdeckte. Ihre Theologie-Studierenden waren begeistert und beteiligten sich unter anderem 2024 mit an Auf- und Abbau. Dabei entstanden Filme zum Projekt, eine Masterarbeit sowie eine Projektgruppe, die Unterrichtsmaterialien für Lehrkräfte entwickelte. Texte und Audios (darunter ein Interview mit Ideengeber Bunse) sind über einen QR-Code verfügbar und werden „gerne und häufig abgerufen“, wie Oberle erzählt.

Die „Angst“ kriecht immer voraus

Tatsächlich können Infomaterial oder eine von Hermann Bunses Führungen hilfreich sein, die vielen Details wahrzunehmen. Neben Figuren aus der Bibel wie Adam und Eva oder Noah werden bekannte Persönlichkeiten wie Mutter Theresa, Nelson Mandela oder Greta Thunberg gezeigt. Neu dazugekommen sind Margot Friedländer und Elon Musk, der sich nahtlos neben Putin und Trump einreiht. Zu finden sind bekannte Heidelberger genauso wie Menschen vom Rande der Gesellschaft - und auch Verstörendes, wie die vielen ertrunkenen Geflüchteten im Mittelmeer.

Als metaphorische Figur kriecht die schwarze „Angst“ mit und der lange Flüchtlingsstrom scheint aus der Krippe herauszuwandern. „Wir haben uns überlegt, die Geburt diesmal in einer anderen Kirchenecke stattfinden zu lassen“, erzählt Bunse, also weitab vom zentralen Geschehen. Überhaupt ist die Krippe schräg wie nie: Die Kulisse aus Heidelberger Gassen steht in diesem Jahr kreuz und quer, die Friedenstauben sind hinter Draht in den Beichtstuhl gesperrt und die zerbrochene Brücke muss mit Schwimmfässern überbrückt werden. Über allem thront der Verkündigungsengel mit einem „Nobelpreis für Egomanen“.

Neue Krippe im Institut für Theologie

„Gott kommt hier in die Welt, wie sie eben ist“, sagt Regine Oberle. Und fügt bedauernd hinzu: „Im letzten Jahr dachten wir, dass es 2025 wieder mehr Frieden gibt.“ Bevor sie in diesem Jahr ihren Ruhestand antrat, legte sie das Projekt ihrem Kollegen Professor Dr. Dr. Herbert Stettberger ans Herz. Auch er ist fasziniert von der Krippe und ihrem „interkulturellem wie interreligiösem Charakter“, wie der Theologe sagt, und ließ sich mit seinen Studierenden inspirieren: Sein Seminar baut an einer eigenen Krippe, die in Kürze im Institut aufgestellt werden soll.

Seminarthema sei das Buch Exodus über den Auszug der Israeliten aus Ägypten, erzählt er. In einer etwas kleiner dimensionierten Krippe aus Pappmaché wollen seine Studierenden dies mit heutigem Geschehen verbinden. Der verstockte Pharao, der das Volk Israel erst ziehen ließ, nachdem sein Land von „Plagen“ überzogen wurde, soll in Parallele zur Klima-Debatte gesetzt werden. „Mit dem Klimawandel setzen wir uns auch nur auseinander, wenn die Folgen zu spüren sind“, so Stettberger.

Mit Blick auf die Schieflage der Kulissen in der Jesuitenkirche, drängt sich die Frage auf: Ist unsere Welt unrettbar? So will Bunse das nicht verstanden wissen, die Chance auf einen Neuanfang sieht er inbegriffen. „Es geht darum, neue Perspektiven zu eröffnen.“ Die Krippenmacher halten auch nach 25 Jahren an ihrem Leitspruch „Mach’s wie Gott, werde Mensch“ fest. Die Clownfigur überreicht eine Rose als Zeichen der Liebe. Und Bunse hat die Krippe um zwei  Spiegel ergänzt: Blicken Besucher:innen hinein, sehen sie sich selbst vor dem Schriftzug „Ich bin die Hoffnung“.

Link zu den Unterrichtsmaterialien:

Text: Antje Karbe
Fotos: Birgitta Hohenester

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