Jerusalem - Stätte zweier Frieden

Das Fremde gemeinsam erkunden – ein transkulturelles Schulprojekt zur Neuen Musik mit dem Klangforum Heidelberg e.V.

Die Aufgabe erscheint ungewöhnlich. Im Rahmen eines Seminars zur Didaktik der Neuen Musik soll von Studierenden der Pädagogischen Hochschule Heidelberg ein Musikunterricht konzipiert werden, der neben der Begegnung mit Werken des 20. und 21. Jahrhunderts auch Ansätze der interkulturellen Musikpädagogik einbindet. Der Reiz liegt in der Zusammenführung des Ungewohnten und in der überraschenden Beobachtung, dass das scheinbar Disparate sich mehr und mehr zu einem schlüssigen Entwurf fügt. Die Ausgangsidee eines Konzerts, mit dem das Klangforum Heidelberg die Stadt Jerusalem auf der einen Seite als Ort des kulturell-religiösen Konflikts und der Trauer, auf der anderen Seite aber zur Stätte eines himmlischen Friedens zeichnet, ist auch eine pädagogische Herausforderung. Im Seminar begegneten wir ihr mit der Strategie, das unbekannte in der Neuen Musik in einen produktiven Prozess einzubinden, in dem Lehrende und Lernende miteinander an einem musikalischen Produkt arbeiten.

Zwei Orte, zwei Strategien. Die Ausgangslage in Mannheim ist nicht ohne Brisanz: eine Projektwoche vor den Sommerferien in der Johannes-Kepler-Werkrealschule (K5). 18 Schülerinnen und Schüler – niemand ohne Migrationshintergrund aber alle mit großem Interesse an Musik. Trotzdem bleibt die Aufgabe schwer. Es geht um einen Unterricht, der vielen Jugendlichen die erste Begegnung mit zeitgenössischer Musik ermöglicht und gleichzeitig den Konflikt thematisiert, der für uns auch aus dem Anderssein resultiert und in Jerusalem und im Nahen Osten immer wieder gewaltsam ausbricht. Im Hochschulseminar ergibt sich eine spannende Verbindung der modalen Kompositionsweise bei Messiaen mit den Skalen und Liedern orientalischer Musik. Diese Verbindung wird zur Basis eigener Kompositionsversuche der Schülerinnen und Schüler. Hilfe erhalten sie dabei von Ali Ungan (Orientalische Musikakademie Mannheim) und Sidney Corbett (Komponist an der Musikhochschule Mannheim). Es entsteht ein Stück, das von Schülern und Studenten gemeinsam entwickelt wird, das den Konflikt in Jerusalem zum Ausgangspunkt nimmt, dem Gestus der zeitgenössischen Musik nachspürt, Schulkeyboards genauso wie die türkische Saz einbindet und das präsentable Ergebnis einer arbeitsreichen Woche ist.

Anders die Situation Heidelberg. Die Johannes-Kepler-Realschule in Neuenheim ist weit davon entfernt, eine Brennpunktschule zu sein. Das Ziel ist hier die Gestaltung einer Soundperformance, die den Konflikt und seine emotionalen Wirkungen umsetzt. Nach der Entwicklung von Adjektivclustern schälen sich drei zentrale Begriffe heraus, die die Schülerinnen und Schüler bewegen: Trauer, Wut, Frieden. Auf den schuleigenen iPads haben sie die Aufgabe, dazu eine unkonventionelle Klangkollage zu erstellen. Dabei ist es nicht einfach, eine Klangsprache zu finden, die nicht dem musikalischen Mainstream entspricht. Hilfreich sind die Anregungen der Musiker des KlangForums Heidelberg. Hinzu kommt die Aula der Universität als Aufführungsraum, in dem die Klänge auf mehreren Ebenen miteinander korrespondieren können. Es ergeben sich Interaktionen, in denen die Bezüge klanglich und räumlich changieren. Gleichzeitig kann sich der Zuhörer beliebig im Raum bewegen und sich so eine eigene Deutung der Klänge konstruieren.

Bei der Planung und Durchführung der beschriebenen Projekte haben alle Beteiligten vielfältige und außerordentliche Erfahrungen gemacht. Besonders eindrücklich erscheint allerdings die Beobachtung, dass die Beschäftigung mit Neuer Musik für die Jugendlichen eine Beschäftigung mit etwas Fremden war. Und genau aus dieser gemeinsamen Begegnung mit dem Anderen entwickelte sich die – im besten Sinn des Wortes – transkulturelle Gestaltung des Eigenen.

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