Die Pädagogische Hochschule Heidelberg trauert um Prof. Dr. Gerhard Haas, der am 17. Mai durch einen tragischen Unfall ums Leben kam. Geboren 1929, hat er in den 50er Jahren die Lehrbefähigung an Volks- und Realschulen erworben und anschließend in Tübingen und München Germanistik, Geschichte und Politik studiert. Als wissenschaftlicher Assistent in Tübingen erfolgte dann die Promotion mit einer Arbeit zur literarischen Form des Essays. Seit 1966 lehrte er deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik als Professor, zunächst in Reutlingen, bis zu seiner Pensionierung 1994 dann in Heidelberg, wo er auch das „Lesezentrum“ des Faches Deutsch erfolgreich auf den Weg gebracht und geleitet hat.
Bekannt geworden ist Gerhard Haas vor allem durch seine Vorschläge für einen „anderen“, an der Reformpädagogik orientierten Literaturunterricht. Dessen grundlegende Prinzipien hat er in seinem letzten Aufsatz aus dem Jahre 2011 nochmals vehement gegen neuere Diskussionen zur Kompetenzorientierung verteidigt; er hatte sie bereits in den 1970er Jahren propagiert. Methodische Verfahren, die den literarischen Text vorrangig als „Klettergerüst“ für eine rein kognitiv ausgerichtete Analyse nutzen, führen seiner Ansicht nach dazu, dass mit der „Lust am Text“ (R. Barthes) auch die Lust am Lesen verloren geht. Die Alternative, die er theoretisch begründet und in zahlreichen Unterrichtsmodellen konkretisiert hat, ist als Konzept des „Handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts“ in die Geschichte des Deutschunterrichts seit den 1980er Jahren eingegangen und prägt bis heute sowohl die Bildungspläne und Lesebücher als auch die unterrichtliche Praxis in allen Schularten und Schulstufen.
Nicht weniger wirkungsvoll war sein fachliches und didaktisches Engagement für die Kinder- und Jugendliteratur. Ein von ihm initiiertes und betreutes Handbuch (1974, in überarbeiteter Auflage 1984) wurde zum erfolgreichen Standardwerk und trug maßgeblich dazu bei, dass Texte der Kinder- und Jugendliteratur als Gegenstand literaturwissenschaftlicher Forschung anerkannt wurden und als wesentliches Element der literarischen Sozialisation in Familie und Schule die ihnen gebührende Beachtung fanden. Wenn Kinderliteratur für ihre Leserinnen und Leser von Bedeutung sein und etwas in Bewegung setzen soll, muss sie inhaltlich und künstlerisch anspruchsvoll sein – so seine immer wieder entschieden vorgetragene und an vielen Beispielen belegte Forderung.
Beide Arbeitsschwerpunkte stehen im Werk von Gerhard Haas nicht isoliert nebeneinander; er verbindet sie in den auf die Schulpraxis ausgerichteten Aspekten seines umfangreichen Wirkens als Hochschullehrer und wissenschaftlicher Publizist. Fast 20 Jahre hat er die Zeitschrift „Praxis Deutsch“ als Mitherausgeber und Autor geprägt und auf diesem Wege seine Überlegungen zur Lesedidaktik, zur Kinderliteratur, zur Phantastik und insbesondere zur Handlungs- und Produktionsorientierung in die Schulen hinein getragen.
Mit Gerhard Haas verliert nicht nur die Pädagogische Hochschule Heidelberg, sondern die Literaturdidaktik insgesamt einen außerordentlich produktiven Kollegen, der Entscheidendes bewegt und voran gebracht hat. Wer ihn näher kannte, verliert auch einen bei aller Entschiedenheit in der Sache sensiblen und freundlich zugewandten Menschen mit seiner ansteckenden Liebe zum literarischen Lesen.
Prof. Dr. Bernhard Rank
Produktive Liebe zum literarischen Lesen
Zum Tod von Prof. Dr. Gerhard Haas
Zurück zur Übersicht