"Typisch Zigeuner? Mythos und Wirklichkeiten"

Mit einer Podiumsdiskussion wurde die Ausstellung am 19. Juli von Rektorin Wellensiek, Gert Weisskirchen, Daniel Strauss und Frank Buchheit offiziell eröffnet.

Prof. Weisskirchen, Daniel Strauss, Prof. Dr. Wellensiek und Frank Buchheit (v.l.n.r.)

Die Podiumsdiskussion nach dem einleitenden Vortrag von Frank Buchheit vom LKA Stuttgart setzte sich pointiert und offen mit den antiziganistischen Vorurteilen auseinander. Deutlich wurde, dass die Klischees gegen Sinti und Roma historisch gewachsene negative aber auch positive Vorurteile darstellten. So oszilliert das "Label Zigeuner" zwischen der erotischen und emanzipierten Carmen, dem "Zigeunerbaron" und den "Klaukindern" der Gegenwart hin und her. Es bleibt aber diskriminierendes Vor-Urteil, das dem Alltag der in Deutschland lebenden Sinti und Roma nicht gerecht wird, sondern Diskriminierung bis in den persönlichen Alltag darstellt.

Dass 68 Prozent der bundesrepublikanischen Bevölkerung nicht neben Sinti und Roma wohnen wollen, konkretisiert sich als alltägliche Diskriminierungserfahrung zum Beispiel in der Verweigerung von Restaurantbesuchen oder Campingplatznutzung. Diese erhärtet sich weiter in den Zahlen der Bildungsabschlüsse, die das eklatante Missverhältnis von grundgesetzlichem Anspruch auf Chancengerechtigkeit und alltäglicher Realisierung verdeutlichen. So gelingt die Bildungspartizipation der in Deutschland lebenden Sinti und Roma nur in erschreckend geringem Masse: 18,8 Prozent bleiben ohne Berufsausbildung, 44 Prozent ohne Schulabschluss, 13 Prozent besuchen die Hauptschule, 11,5 die Realschule und nur 2 bis 3 Prozent das Gymnasium.
Hier gelte es die Verkettung von Ausgrenzung und Selbstausgrenzung durch brückenbauende Maßnahmen zu überwinden. Dies setze die Anerkennung von Diversität, den Abbau des Fremdbildes vom "Zigeuner", den Verzicht auf Ethnisierung von Kriminellen und das Durchbrechen von (europäischen) Armutsstrukturen und Bildungshindernissen voraus. Sinti und Roma müssten, so der Konsens des Plenums, der Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und Partizipation geebnet werden, was beiderseitiger Kooperationsbereitschaft bedarf.

Als besonders problematisch wurde die Situation der "Klaukinder" betrachtet, deren Opferschutz unter allen Umständen erreicht werden müsse, um ihnen eine "normale" Kindheit zu eröffnen und damit eine Perspektive in der Mitte der Gesellschaft zu ermöglichen. Vehement wurde die Forderung im Plenum laut, dass es einen "Offenbarungs-Eid" unserer Gesellschaft darstelle, wenn es nicht gelänge, den Kindesmissbrauch an kindlichen Diebesbanden und Zwangsprostituierten zu verhindern. Es sei ein Skandal, dass weder Polizei noch Justiz sich diesem Unrecht erfolgreich im Sinne der Kinder annähme. Hier sei auch die Politik und die Bildungsinstitutionen gefordert, die durch das Öffnen von Bildungszugängen die Teilhabe an wirtschaftlicher und politischer Partizipation verstärken könnten und somit auch die Schranken zum Arbeits- und Wohnungsmarkt absenken könnten.

Als ermutigend und erfreulich stellte sich die Diskussion mit dem Publikum dar, das offen und authentisch vorhandene Vorurteile ansprach und somit den Dialog eröffnete und den Weg für ein Klima des gegenseitigen Vertrauens und Anerkennens bahnte. So kann der Abbau von Vorurteilsstrukturen und Bildungshindernissen den realistischen Zugang zur vom Grundgesetz vorgesehen demokratischen Bürgergesellschaft anbahnen.

Mit der Veranstaltung an der PH Heidelberg ist ein erster Kontakt geknüpft und damit ein erster Schritt zu einem toleranten gemeinschaftlichen Miteinander geleistet worden. Die Ausstellung "Typisch Zigeuner? Mythos und Wirklichkeiten" wird noch bis zum 27. Juli im Foyer des PH-Altbaus gezeigt: Auf zwölf Ausstellungstafeln dokumentieren Bilder, Fotographien und Faksimiles "Zigeunerbilder", die den Antiziganismus in seinen verschiedensten Facetten darstellen.

Dr. Helmut Wehr