Seh- und Hörbeeinträchtigungen bei Personen in bayerischen Wohneinrichtungen für erwachsene Menschen mit Behinderung treten häufiger auf als erwartet. Sie bleiben zudem oftmals unerkannt. Das bestätigt eine Untersuchung, an der neben der Pädagogischen Hochschule Heidelberg die Ludwig-Maximilians-Universität München und die Universität Hamburg beteiligt waren. Die vom Bayerischen Gesundheitsministerium geförderte und von der Blindeninstitutsstiftung geleitet Studie „Sehen und Hören in Bayern“ (SuHB) zeigt zudem, wie zum einen die Teilhabe im Alltag der Menschen mit Seh- und Hörbeeinträchtigung verbessert werden kann und wie zum anderen auch das Personal davon profitiert.
Tabea Sadowski, akademische Mitarbeiterin am Institut für Sonderpädagogik der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, erhob zunächst Daten zum Seh- und Hörvermögen von Bewohner:innen aus 13 unterfränkischen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. Mithilfe eines Fragebogens haben Mitarbeitende der teilnehmenden Einrichtungen Beobachtungsfragen zum Hör- und Sehverhalten der bei ihnen lebenden komplex beeinträchtigten Menschen beantwortet. Gleichzeitig wurde eine Erhebung am Medizinischen Zentrum für erwachsene Menschen mit komplexer Behinderung (MZEB) durchgeführt.
Die Ergebnisse zeigen, dass Beeinträchtigungen beim Hören und Sehen oftmals nicht bekannt sind: So hatten etwa 88 Prozent der Personen eine Sehbeeinträchtigung; in rund 40 Prozent der Fälle war diese vor einer Untersuchung im MZEB jedoch nicht bekannt. 72 Prozent der Personen hatten eine Beeinträchtigung des Hörvermögens, von denen es sogar bei 69 Prozent nicht bekannt war. In der Studie wurde überdies deutlich, dass Hörminderungen im Vergleich zu Sehbeeinträchtigungen seltener und später erkannt werden. Zudem ist zu vermuten, dass eine Hörminderung bei Menschen mit bereits bekannter Sehbehinderung häufig übersehen wird. „Wenn übersehen wird, dass komplex behinderte Menschen, nur wenig oder gar nichts sehen oder hören, hat das große Auswirkungen auf deren Selbstbestimmung im Alltag und die Teilhabe in allen Lebensbereichen“, sagt Johannes Spielmann, Vorstand der Blindeninstitutsstiftung, „denn eine zusätzliche Sinnesbehinderung erfordert ein ganz anderes, barrierefreies Setting und vor allem entsprechende Kenntnisse der begleitenden Fachkräfte.“
Im zweiten Teil der Studie nahm ein Forschungsteam der LMU München und der Universität Hamburg die Rahmenbedingungen in den Wohnangeboten der Behindertenhilfe unter die Lupe. Dabei stellten sie unter anderem fest, dass die Barrierefreiheit in Bezug auf Sehen und Hören selten mitgedacht wird, Hörbeeinträchtigungen leicht übersehen werden und Mitarbeitende in den Einrichtungen einen hohen Bedarf an Schulungen haben.
„Die Erkenntnisse aus der Studie zeigen, dass wir die Lebensqualität und Teilhabe von Menschen mit komplexen Behinderungen in Wohnangeboten durch gezielte Maßnahmen und Sensibilisierung erheblich verbessern können“, betont Elisabeth Rieber, zuständig für die Qualitätsentwicklung und -sicherung in der Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen des Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention. Genau hier setzt die Broschüre "Sehen und Hören mitdenken" an, in der die Forschenden aus ihren Ergebnissen konkrete Verbesserungsmaßnahmen ableiten. Mitarbeitende erhalten praxisnahe Tipps, wie das gemeinsame Miteinander im Wohnalltag gestaltet werden kann. Denn oftmals helfen bereits kleine Veränderungen bei der Umgebungsgestaltung oder in der Kommunikation, um die Rahmenbedingungen für Personen mit Hör- und/oder Sehbeeinträchtigung sowie für die Mitarbeitenden zu verbessern.
Weitere Informationen finden Sie unter www.blindeninstitut.de/suhb sowie unter www.ph-heidelberg.de/taubblindheit