Lehramtsstudierende sprechen nur im Verborgenen über psychische Probleme – schließlich möchte man nicht die Verbeamtung gefährden. Wahrheit oder hartnäckiges Gerücht? "Ich selbst kenne das Thema aus meinem eigenen Lehramtsstudium", sagt die Studentin auf der Bühne. "Und deshalb sind wir das systematisch angegangen." In der Festhalle der Pädagogischen Hochschule Heidelberg (PHHD) spricht sie an diesem Tag als Masterstudentin des Studiengangs Bildungswissenschaften (BiWi) und somit aus einer wissenschaftlichen Perspektive: In einer Studie hat ihre Arbeitsgruppe mehr als 500 Kommiliton:innen der Hochschule befragt, ob sie bei psychischen Belastungen professionelle Hilfe in Anspruch nehmen würden.
Die Umfrage ist Teil einer groß angelegten Datenerhebung zu Gesundheitsfragen durch das Seminar "Evaluations- und Interventionsforschung". Die Bandbreite der Themen reichte vom Umgang mit psychischen Belastungen, über die Einstellungen zur Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV) bis zur Frage, wie bekannt studienunterstützende Angebote wie beispielsweise Stipendien sind. Dazu organisierten 35 BiWi-Masterstudierende im Auftrag des Rektorats und des hochschulischen Gesundheitsmanagements "PHeel Good" eine systematische Befragung an der Hochschule - von der Studienkonzeption bis zur Präsentation der Ergebnisse vor Publikum.
"Das Ziel unseres Seminars ist eine breite Methodenausbildung – wie konzipiere ich beispielsweise einen Fragebogen so, dass er zum Ausfüllen motiviert?", erklärt Dr. Christian Rietz, Professor für Forschungsmethoden an der Hochschule und Leiter des Masterstudiengangs. Anhand eines "Real-Time-Projekts" wie diesem erlernten die Studierenden alle Schritte des Projektmanagements. Und auch, verschiedene Funktionen auszufüllen: "Schließlich unterscheiden sich die Anforderungen, je nachdem, ob ich ein Forschungsdesign erstelle, als Gruppensprecher die Zusammenarbeit vorantreiben soll oder die Ergebnisse ordentlich vermarkten will."
Studierende sorgen sich um Verbeamtung
Die Ergebnisse werden zum Semesterende öffentlich präsentiert und sind vielsagend: So berichtet die Arbeitsgruppe zur Psychotherapie, dass gerade mal 17 Prozent der befragten Studierenden angaben, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen – dabei liegt die Zahl Betroffener mit Symptomen von Depressionen und Angststörungen sehr viel höher, wie man aus anderen Studien weiß. 80 Prozent sorgten sich in der Befragung, nicht verbeamtet zu werden, wenn sie sich als belastet outeten. "Man hat das Gefühl, man muss sauber bleiben, also keine Diagnose, keine Akte, keine Krankheitsgeschichte", so eine Aussage. Weitere Gründe waren lange Wartezeiten für Therapieplätze, der organisatorische Aufwand, aber auch Scham – Schwäche zu zeigen, passe nicht zur Vorbildfunktion von Lehrer:innen, so eine weitere Aussage.
Im selbst entwickelten Fragebogen und in 30 offenen (explorativen) Kurzinterviews erfragte die Gruppe zudem, was Studierenden helfen würde: Mehr Sichtbarkeit und Aufklärung im Studium, eine Enttabuisierung des Themas und niedrigschwellige Beratung wurden genannt. Scheinbar sind die existierenden Angebote nicht allen bekannt – auch dieses Ergebnis wird Chiara Dold für PHeelGood mitnehmen. "Zu diesem Thema werden wir zielgerichteter informieren", sagt die Gesundheitsmanagerin der Hochschule, die das Seminar als Auftraggeberin das ganze Semester begleitet hat.
Auch die weiteren Daten will sie als Grundlage nutzen, um vorhandene Maßnahmen anzupassen. So hatte eine Gruppe erforscht, welche Angebote sich Studierende zum Thema Stressmanagement und Prüfungsangst wünschen. Die Ergebnisse lassen sich aus Dolds Sicht gut umsetzen: 1 bis 3 Veranstaltungen zu Semesterbeginn – nicht erst in der Prüfungsphase – und gerne hybrid oder in Live-Online-Meetings. "Das werden wir testen."
Hochschule reagiert auf Ergebnisse
Offenheit für Gesundheitsthemen fanden die Masterstudierenden auf jeden Fall vor: Die Arbeitsgruppe, die Einstellungen zur HPV-Schutzimpfung überprüfte, stieß auf überwiegend impfbereite PH-Studierende. Es brauche nur mehr Aufklärung. Eine Kampagne hierzu müsste niedrigschwellig informieren und gleichzeitig an die Verantwortung zum kollektiven Impfschutz appellieren, so die Schlussfolgerung der Masterstudierenden, die zusätzlich Expert:inneninterviews zum Thema führten.
Eine weitere Teilstudie drehte sich um PHeelGood selbst: Die Gruppe präsentiert eine positive Bilanz – drei Viertel der Befragten hatten Kontakt mit den Angeboten des Gesundheitsmanagements – und liefert konkrete Vorschläge für die Social Media-Kanäle. Und sogar Geld kann ein Gesundheitsfaktor sein, zumindest wenn es fehlt: Ein Drittel aller Studierenden sei armutsgefährdet, resümiert die Arbeitsgruppe, die sich mit studienunterstützender Förderung befasst hat. Sie befragte Studierende online, ob sie Bafög, Erasmus oder andere Stipendien in Anspruch nehmen, und führte Interviews mit Lehrenden und Expert:innen zum Thema, um eine "Multistakeholder-Perspektive" zu erhalten. Auch hier werden unter anderem mehr Infos zu den Möglichkeiten gewünscht.
"Aus diesen klaren Ergebnissen kann man direkt Maßnahmen ableiten", freut sich Henrike Schön, Leiterin des Akademischen Auslandsamts der PH, als beim anschließenden Gallery Walk die Ergebnisse auf Postern nachzulesen sind. Sie könne sich beispielsweise eine eigene Sprechstunde zu Stipendien oder auch den Einsatz von Stipendienbotschafter:innen vorstellen.
Projektmanagement in Echtzeit
Auch PH-Rektorin Professorin Dr.in Karin Vach zeigt sich angesichts der Ergebnisse angetan: "Wir haben das Privileg, dass uns nun wieder eine ganz aktuelle Datenbasis zur Verfügung steht, um Gesundheitsangebote weiterzuentwickeln. Schließlich wollen wir die Studierenden wirklich erreichen und nicht an ihnen vorbei gestalten." Die Daten zur "Nichtinanspruchnahme von Psychotherapie" will sie bei Gelegenheit erneut ins Kultusministerium mitnehmen, um auf diese bislang wenig erforschte Thematik aufmerksam zu machen.
Möglicherweise zieht die Arbeit des Seminars also weitere Kreise; die Beteiligten würde es freuen. Die Stimmung ist gelöst, als zum Abschluss vom Studierendenwerk gespendete Mensagutscheine verlost werden. So oder so fühle man sich um einige Erfahrungen reicher, erzählen Kursteilnehmerinnen. "Ich habe so viel gelernt, das hilfreich für meine Masterarbeit sein wird", sagt Rike Werner. "Ein superspannendes Projekt", findet Franziska Asbach. "Ich habe nochmal gemerkt, dass ich mir Projektkoordination auch beruflich vorstellen kann."
Wie viele Kompetenzen man im Studium aufgebaut habe, erkenne man oft erst, wenn man im Beruf stehe, sagt Seminarleiter Christian Rietz und zieht eine positive Bilanz. "Dieser Kurs war sehr engagiert – ich konnte sozusagen beobachten, wie die Studierenden in ihre Rolle wachsen." Wird dies dann auch noch von den Studierenden wertgeschätzt, sind für dieses Semester alle Ziele erreicht. Ein Dank des studentischen Moderators geht an die Hochschule und an den Kursleiter: "Wir haben viel gelernt, das uns auf unserem späteren Weg nutzen wird."
Weitere Informationen - auch zu den Ergebnissen (nach Login) - finden Sie unter www.ph-heidelberg.de/pheelgood.
Text: Antje Karbe
Foto: Presse / PHHD