Bildungskrise! Bildungskrise?

Heidelberger Forschergruppe nimmt Stellung zu Bildungsstudie.

Im Oktober 2016 hat das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) seinen aktuellen Bildungstrend veröffentlicht; am 6. Dezember folgte die PISA-Studie 2015 der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Befunde sorgen zurzeit landesweit für zum Teil kontroverse Diskussionen - auch über die Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern. Deren Qualifizierung gehört zu den primären Aufgaben der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Eine weitere Stärke der Hochschule liegt in der engen Verknüpfung von Lehre und Forschung, die sich im Spektrum zwischen grundlegender Bildungsforschung und der Entwicklung von Bildungsinnovationen verorten lässt. Eine interdisziplinäre Forschergruppe der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, der sowohl Fachdidaktiker als auch Bildungswissenschaftler angehören, hat sich mit Bildungsstudien allgemein sowie mit dem IQB-Bildungstrend im Speziellen auseinandergesetzt und nimmt hierzu Stellung.

"Der mediale Hype erschwert nicht selten eine differenzierte und wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit den Ergebnissen von Bildungsstudien im Allgemeinen und dem IQB-Bildungstrend im Speziellen", konstatiert eine interdisziplinäre Forschergruppe der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. "Eine gründliche Diskussion über die Ursachen des Abschneidens von Baden-Württemberg ist jedoch substanziell. Die Daten müssen dabei interpretiert, gewichtet sowie theoretisch und praktisch kontextualisiert werden." Hierfür brauche man Sorgfalt und Zeit, die Bildungspolitikern und Wissenschaftlern jedoch von Meinungsmachern, "die auf schnell konsumierbare Informationen und den Neuigkeits- oder Skandalisierungswert von Nachrichten fixiert sind, oft nicht gelassen wird".
Dies hat für die Forschergruppe bestehend aus Fachdidaktikern und Bildungswissenschaftlern mehrere negative Konsequenzen: So würden Bildungspolitiker durch die öffentliche Diskussion unter Handlungsdruck gesetzt, was "unreflektierten bildungspolitischen und praktischen Aktivismus" ohne begründete Kenntnis darüber, was und warum etwas geändert werden müsste, begünstige. "Kurzfristig angelegte Bildungsreformen ohne solides Fundament gab es in den letzten zehn Jahren aber genug", so die Heidelberger Forscherinnen und Forscher. Darüber hinaus würde die Diskussion über vorschnell identifizierte vermeintliche Ursachen des "skandalisierten Phänomens" und deren wissenschaftliche Widerlegung personelle und zeitliche Ressourcen binden, "die für die notwendige gründliche Forschung effizienter einzusetzen wären".

Bezüglich des von dem Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) im Oktober 2016 veröffentlichten Bildungstrends kommen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst zu dem Ergebnis, dass "eine Diskussion von Ursachen, wie sie bisher öffentlich stattfand, auf der Grundlage der Daten nicht möglich ist, da aus dem Design der Studie heraus keine Gründe benannt werden können." Viele der dennoch in der Öffentlichkeit angebrachten Argumente bezüglich der ungünstigen Ergebnisse für das Bundesland Baden-Württemberg erscheinen, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiter, "recht beliebige Einschätzungen von Forschungsergebnissen zu sein, die für sich genommen zwar durchaus Erklärungspotenzial haben könnten, aber aus den Studien heraus nicht wissenschaftlich schlüssig abgeleitet werden können". Die bislang in den Medien angebrachten Argumente stellten daher keinen Beitrag zu einer evidenzbasierten Betrachtung des Bildungssystems dar. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die zuweilen ausgerufene Bildungskrise durch die Studie nicht zu begründen sei.

Abschließend kommen die Forscherinnen und Forscher zu der Erkenntnis, dass "eine reflexhafte Behandlung empirischer 'Evidenz' zu einer für das Bildungssystem und damit letztlich auch für die Gesellschaft gefährlichen Verarmung des öffentlichen Diskurses zu führen droht." Als Experten in Bildungsfragen werde man sich weiter kritisch in diesen Diskurs einbringen, um dem entgegenzuwirken.

Die ausführliche Stellungnahme inklusive einer differenzierten Auseinandersetzung mit den öffentlich angebrachten Argumenten finden Sie im Anhang.