Forschung

Neue Studie: Grundschüler:innen lernen gerne Englisch und Französisch

Die im Dezember 2023 veröffentlichte neueste Pisa-Studie hat aufgezeigt, dass deutsche Schüler:innen immer noch große Defizite in Deutsch und Mathematik aufweisen. Auch das schlechte Abschneiden in der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung „IGLU 2021“ unterstreicht den Befund. Vor diesem Hintergrund hat der Fremdsprachenunterricht in der Grundschule einen schweren Stand: Politiker:innen fordern eine Reduktion oder gar Abschaffung der Englischstunden zugunsten der beiden Hauptfächer. Englisch­didaktikerin Prof. Dr. Jutta Rymarczyk hat in ihrer Studie „KiwiS“ (Kinder wollen internationale Sprachen) bei Grundschüler:innen ermittelt, wie diese selbst den Fremdsprachenunterricht einschätzen. Die Studie zeigt, dass sich Englisch oder Französisch bei Kindern großer Beliebtheit erfreuen. Die Kinder befürworten zudem einen frühen Beginn der Fremdsprache in der Grundschule. Auch die Mehrzahl der Kinder mit einer anderen Erstsprache als Deutsch wünscht sich, möglichst früh Englisch zu lernen, so ein weiteres Ergebnis.

Bildungspolitischer Hintergrund

Bildungspolitiker:innen reagieren auf Schwächen bei den Deutsch- und Mathematikleistungen häufig mit Eingriffen in den Fremdsprachenunterricht. So wurde der Beginn für Englisch und Französisch in Baden-Württemberg ab dem Schuljahr 2020/2021 von der ersten in die dritte Klasse verschoben und Nordrhein-Westfalen folgte dem Beispiel im Schuljahr 2021/2022. Proteste von Fremdsprachen­didaktiker:innen verschiedener Bundesländer blieben ungehört.

In den meisten europäischen Ländern gehört Fremdsprachenunterricht in den Bildungsplan der Grundschule. EU-weit haben 2021 knapp 85 Prozent der Grundschüler:innen Englisch gelernt, rund fünf Prozent Französisch und 3,5 Prozent Deutsch, wie aus der Erhebung „Foreign Language Learning Statistics 2023“ des Statistikportals Eurostat der Europäischen Kommission hervorging. Zwischen 2013 und 2021 stieg der Anteil der Grund­schüler:innen in der Europäischen Union, die sogar zwei oder mehr Fremdsprachen lernen, von 4,6 Prozent auf 7,2 Prozent an.

Untersuchung an baden-württembergischen Grundschulen

Vor diesem bildungspolitischen Hintergrund hat Prof. Dr. Jutta Rymarczyk in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres die „KiwiS“-Studie zum frühen Fremdsprachenlernen unter Kindern der Klassen 3 und 4 an Grundschulen in Baden-Württemberg durchgeführt. Nachdem der Fokus früherer Studien auf Lehrkräften, Eltern und Expert:innen für Fremdsprachenlernen lag, sollten nun die Kinder selbst in einer Befragung gehört werden. Ihre jeweilige Motivation ist ein entscheidender Faktor für Lernerfolge in der Grundschule. Es wurde unter anderem ermittelt, ob die Kinder sich den Fremdsprachenunterricht (je nach Region Englisch oder Französisch) ab der ersten, dritten oder fünften Klasse wünschten, wieviel Spaß ihnen der Unterricht machte und ob sie lieber mehr Deutsch- bzw. Mathematikunterricht statt des Erlernens der Fremdsprachen hätten. Die Fragebögen wurden den Kindern online oder in Papierform an ihren Grundschulen zugänglich gemacht. Der Kontakt zu den Grundschulen wurde größtenteils über die Referendar:innen an den Seminarstandorten hergestellt.

43 Prozent der befragten Kinder befürworten Fremdsprachenunterricht ab Klasse 1

Erste Ergebnisse zeigen, dass die meisten  der befragten Kinder (n=1.624) sich für den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule aussprechen. Dabei haben mit 43,35 Prozent sogar etwas mehr Kinder für den Beginn ab der ersten Klasse gestimmt als ab der dritten Klasse (42,55 Prozent). Lediglich knapp zehn Prozent haben sich für Fremdsprachenunterricht ab Klasse 5 ausgesprochen.

Der Mehrheit der Kinder macht der Unterricht „viel“ bis „sehr viel“ Spaß (n=1.355). 686 Kinder, also rund 42 Prozent der gesamten Befragten, gibt an, mehrsprachig zu sein. Sehr viele dieser Kinder wünschen sich den Fremdsprachenunterricht ab Klasse 1 (42,42 Prozent).

Aufhorchen lässt insbesondere dieser Befund, so Professorin Rymarczyk, also dass sich fast die Hälfte der mehrsprachigen Kinder wünscht, gleich zu Beginn ihrer Schullaufbahn mit dem Fremdsprachenunterricht anfangen zu können. Diese Kinder haben häufig Probleme, dem deutschsprachigen Unterricht zu folgen. „Im Englisch- oder Französischunterricht haben sie jedoch Erfolgserlebnisse, weil sie über Erfahrungen im Erlernen einer Zweitsprache verfügen oder diese Sprache sogar bereits zu einem gewissen Grad beherrschen“, schlussfolgert die Englischdidaktikerin. Diese Erfahrung unterstreicht die Aussage eines deutsch-türkischsprachigen Mädchens: „Bitte streichen Sie nicht diese zwei Stunden Englisch. Es macht mir sehr Spaß und es ist die einzige Fach, die ich sehr gut kann." Studienleiterin Rymarczyk erläutert auf der Basis dieser Ergebnisse: „Auf jeden Fall haben sie im Fremdsprachenunterricht die gleichen sprachlichen Voraussetzungen wie die Kinder mit Deutsch als Erstsprache: Alle sitzen hier in demselben Boot. Das gibt ein Gefühl von Sicherheit. Neben den Erfolgserlebnissen und der Anerkennung durch die Peer Group ist das für die Ausbildung des Selbstwertgefühls und die Identitätsfindung von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit“.

Um auf europäischer Ebene anschlussfähig zu bleiben, so die Englischdidaktikerin in Bezug auf den internationalen Kontext, ist es notwendig, dass die deutsche Bildungspolitik Schüler:innen gleiche Lernbedingungen ermöglicht wie in den Nachbarstaaten. International gelinge dies Deutschland nur mit dem Beginn des Fremdsprachenunterrichts in der Primarstufe. Die Grundschüler:innen sind der „KiwiS“-Studie zufolge dazu offenbar bereit.

Weitere Informationen und englische Version der Pressemitteilung

https://www.ph-heidelberg.de/englisch/forschung/kiwis/

Projektverantwortliche

Prof. Dr. Jutta Rymarczyk, Pädagogische Hochschule Heidelberg, Keplerstraße 87, 69120 Heidelberg, +49 6221 477 405, rymarczyk@ph-heidelberg.de

Medienkontakt

Dr. Birgitta Hohenester, Presse & Kommunikation, hohenester@ph-heidelberg.de