Von Zugbegleiterinnen und anderen Spiegelungen des Selbst

Lesung der Freiburger Autorin Annette Pehnt in der Hochschulreihe: Literatur und Musik am Montag

(v.l.) Dr. Melanie Wigbers, Annette Pehnt und Christoph Penshorn während der Lesung

„So heißt doch keiner!“ murmelt ein Fahrgast und starrt die Frau an. Salomé Santrac ist in der Tat ein ungewöhnlicher Name für eine Zugbegleiterin. Und von dieser auch erfunden, denn sie heißt immer anders, Simone Saalfeld beispielsweise, oder Susanne Sieler. Und dass sie auf jedem Platz schon gesessen, jeden Zug schon überall berührt hat, ist ebenfalls keine Selbstverständlichkeit. Selbst für eine Zugbegleiterin nicht. Aber so sind sie eben, die Protagonistinnen und Protagonisten von Annette Pehnt: ein bisschen skurril, ein bisschen eigensinnig, schweigsame Außenseiter oft, oder doch ganz normale Menschen – nur mit ausgeprägten „Macken“. 

Die Freiburger Autorin gab bei ihrer Lesung am 19. Mai in der Hochschulreihe „Literatur und Musik am Montag“, einer Kooperationsveranstaltung mit der Bücherstube an der Tiefburg, die dieses Mal ausnahmsweise an einem Donnerstag stattfand, spannende Einblicke in die seelischen Verstrickungen ihrer Romanfiguren. Wie immer gut informiert von Bibliotheksleiter Christoph Penshorn eingeführt und auf dem Podium zusammen mit Deutschdozentin Dr. Melanie Wigbers feinsinnig befragt, las Pehnt aus zwei Büchern: Aus dem neuen Erzählungsband „Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern“ die angesprochene „Zugbegleiterin“; außerdem einige Seiten aus einer älteren Campus-Satire mit dem Titel „Hier kommt Michelle“. Das Blockflöten-Ensemble „PH-lautissimo“ unter der Leitung von Ina Schuchardt-Groth komplettierte den Abend kunstvoll mit Werken von Praetorius, Dowland und einem avantgardistischen „Menuett aus der Suite für ein Blockflötentrio“ von PH-Klavierdozent Florian Stricker.

Die Zugbegleiterin aus der gleichnamigen Lieblingsgeschichte, wie Pehnt selbst betonte, reist irgendwo zwischen Basel und Frankfurt mit ihren Fahrgästen. Und die beobachtet sie genau, so wie Pehnt die Zugbegleiterin genau beobachtet hat – Block und Stift habe sie immer dabei, erläuterte die freiberufliche Autorin später ihr schriftstellerisches Vorgehen. Über ein Mädchen regt sich die Zugbegleiterin besonders auf, über seinen MP3-Player, seine Höflichkeit, die vielleicht gar nicht ehrlich ist, „die kleine Hexe mit dem Rundschnitt“ - und dann hört sie plötzlich nichts mehr, sackt mit dem Kopf an die Schulter einer Frau, aber es ist gut so, sie will sogar, dass sie fester umarmt wird von dieser Sitznachbarin. Was ist passiert? Auf den ersten Blick scheint die Zugbegleiterin einen Hörsturz erlitten zu haben, aber das ist nur eine mögliche Erklärung. Bewusst mehrschichtig angelegt, wie Pehnt in der Podiumsdiskussion erläutert, lässt sie surreale Elemente einfließen, die auch einen kurzfristigen Persönlichkeitsverlust in Zeit und Raum möglich erscheinen lassen - und das Mädchen als jüngeres alter ego, überhaupt die zentralen Figuren als Projektionsflächen für die Spiegelung und Brechung des Selbsts. 

In „Hier kommt Michelle“ seziert die mehrfach ausgezeichnete Autorin und dreifache Mutter, die auch als Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Freiburg tätig ist, das Campusleben der „Universität Sonnenstadt“. Bissig und ironisch beschreibt sie gleichermaßen die dilettantischen Versuche von Studienanfängerin Michelle, sich durchs intellektuelle Studiendickicht zu schlagen, wie die hilflosen Versuche von Anglistikdozentin Heike Blum, ihren Studierenden eine eigene Fragestellung abzuringen. Das laut Pehnt schnell hingeschriebene Bändchen hat bei seiner Erscheinung in Freiburg vor ein paar Jahren für einigen Wirbel gesorgt. 

Annette Pehnt besticht: Durch die intensive Leichtigkeit ihres Erzählstils, durch ihre minutiöse Beobachtungsgabe, und nicht zuletzt durch ihre überaus sympathische Ausstrahlung. Kein Wunder, dass die Feuilletons sie lieben – ihr Heidelberger Publikum hat Pehnt ebenfalls auf eine stimmige literarische Reise mitzunehmen vermocht. 

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