Interkulturelle Sensibilität ausbilden

Engagement im Projekt ProMobiLGS und Lehrangebot zur Mehrsprachigkeit - ein Interview mit Prof. Dr. Feruzan Gündogar

Wie kann die Internationalisierung der Lehrer:innenbildung weiter voran gebracht werden? Prof. Dr. Feruzan Gündogar leitet an der türkischen Marmara Universität in Istanbul die Abteilung DaF/DaZ bzw. Deutsche Sprache und ihre Didaktik. Im Projekt ProMobiLGS engagiert sie sich seit Projektbeginn 2019 und bringt zudem ein Lehrangebot zur Mehrsprachigkeit an der PH Heidelberg aus. Über das Projekt und dessen Wirkungen auf die Internationalisierung in der Lehrer:innenbildung spricht sie in diesem Interview.

Anja Bast-Schneider (A.B.-S.): Herzlich willkommen! Wir sind heute hier anlässlich unseres Projekts ProMobiLGS im Rahmen von Lehramt International vom DAAD zusammengekommen und wir freuen uns, dass Professorin Feruzan Gündogar bei uns ist und von ihrer Gastdozentur berichten wird, die sie im Rahmen unseres Projekts gemacht hat. Dann übergebe ich das Wort an dich, liebe Feruzan. Wir freuen uns, dass du hier bist. Vielleicht erzählst du ein bisschen von dir, von deiner Person, von deiner Lehrveranstaltung.

Feruzan Gündogar (F.G.): Herzlichen Dank, Anja. Ich fühle mich hier sehr willkommen, da passt eigentlich dieser berühmte Satz: Ich habe mein Herz in Heidelberg verloren! Ich bin mit fünf Jahren nach Deutschland gekommen, habe meine gesamte schulische Laufbahn und auch das Studium in Deutschland absolviert. Ich habe dann noch eine zusätzliche Ausbildung als Bibliotheksassessorin für den höheren Bibliotheksdienst gemacht. Zuletzt habe ich an der Niederӓchsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und anschließend beim GBV Göttingen (gemeinsamer Bibliotheksverbund) als Projektkoordinatorin gearbeitet. Dann habe ich aus persönlichen Gründen die Stelle an der Universität Marmara angenommen und zwar an der Abteilung DaF/DaZ oder Deutsche Sprache und ihre Didaktik und bin dort Professorin. Als solche leite ich das Institut für Fremdsprachen und ihre Didaktik, an dem es drei Lehramtsstudiengänge gibt: für Deutsch (DaF/DaZ), für Englisch und für Französisch. Zusätzlich leite ich auch die Abteilung für Deutsche Sprache und ihre Didaktik. 

Nach Heidelberg pflegen wir schon über vielen Jahren gute Kontakte. Ganz am Anfang hatten wir ein Projekt, im Laufe dessen wir die Lehrer:innenbildung in der Türkei reformiert haben und in diesem Zusammenhang war auch Henrike Schön eingeladen. Das war unser erster Kontakt, der seitdem nicht abgebrochen ist. Das zweite war ein EU-Comet-Projekt, während dessen – das war etwa 2018/2019 – wir mit Anne Sliwka, die damals als Professorin an der PH Heidelberg tätig war, zusammengearbeitet haben.

2018-2019 wurde, unter der Federführung von Professorin Havva Engin, eine Gastprofessur beim Deutschen Akademischen Austauschdienst DAAD beantragt. Nach Abschluss der Gastprofessur hat sich die Möglichkeit ergeben, eine Blockveranstaltung zum Thema: Mehrsprachigkeit in der Schule, insbesondere im Bereich der Primarstufe, anzubieten.Im Projekt ProMobiLGS führe ich dieses Seminar als zusätzliches Lehrangebot im Institut für Erziehungswissenschaften durch und freue mich über die gute Resonanz der Studierenden.

A.B.-S Kurze Rückfrage noch: Wie lange bist du jetzt an der Marmara Universität?

F.G.: Mit Unterbrechungen sind es jetzt 23 Jahre.

Claudia Eckhardt (C.E.-K.): Eine lange Zeit! Ich würde gerne wissen, was dich zur Mitarbeit im Projekt ProMobiLGS veranlasst hat und auch, was dich daran immer noch reizt und motiviert.

F.G.: Gerne. Also die Kooperation im Rahmen der DAAD-Ausschreibung Lehramt.International ist für meine Begriffe beispielhaft für Kooperationen in diesem Konzeptrahmen. Es geht ja um die Internationalisierung der Lehrer:innenbildung, insbesondere im Bereich der Primarstufe. Ziel ist es, angehenden Grundschullehrer:innen die Möglichkeit zu geben, andere Bildungssysteme kennenzulernen, und dies ohne Studienzeitverlängerung und unter vollständiger Anerkennung der Leistungen. Das ist für den deutschen Bildungskontext insofern sehr wichtig, als in Deutschland in ganz vielen Regionen und Schulen der Anteil der Lernenden mit Migrationsbiografie oder Zuwanderungsgeschichte zunimmt.

Die Umsetzung von Lehramt.International ist für meine Begriffe eine authentische und konkrete Umsetzung in Richtung Internationalisierung der Lehrer:innenbildung. Dazu gehören die curriculare Anpassung, die Expert:innenendiskurse zu aktuellen Themen und ganz wichtig der aktive Beitrag der Lehramtsstudierenden von allen Partneruniversitäten.

Wir als DaF/DaZ-Abteilung der Marmara Universität profitieren auf allen diesen Ebenen von den Kolleg:innen der Partneruniversitäten. Die relativ stark auf die inländischen wie auch regionalen Heraus- und Anforderungen zugeschnittene Lehrer:innenbildung in jedem Land bekommt so eine weitreichende Perspektivenerweiterung.

A.B.-S.: Sehr interessante Aspekte! Wir haben uns noch einige andere Fragen überlegt: Welchen Gewinn siehst du durch die Kooperation im Projekt für die Studierenden und auch für dich persönlich? Den Gewinn für die Studierenden hast du ja eben schon erläutert: Vielleicht kannst du das noch ein bisschen weiter ausführen?

F.G.: Gerne: Sowohl für die Studierenden als auch für uns Lehrende ist es einfach eine einmalige Möglichkeit, uns intensiv und fundiert mit anderen Bildungssystemen auseinanderzusetzen. Und ja, Bildungssysteme unterscheiden sich in jedem Land, sind sogar manchmal von Region zu Region ein wenig anders, und das nimmt uns allen tatsächlich ein Stück weit die Möglichkeit, hier einen regen Austausch zu realisieren. Erasmus+ reicht da nicht! Der Austausch über Erasmus+ stößt an gewisse Grenzen, auch bei uns an der Universität Marmara. Studierende belegen Kurse, die nur teilweise an der Heimatuniversität  anerkannt werden können, weil es kein Äquivalent gibt. Das hält natürlich viele Studierende davon ab, diesen Austausch anzutreten, weil sich dann gegebenenfalls ihr Studium verlängern würde.

Deshalb sehe ich einen ganz, ganz großen Gewinn für Studierende darin, dass jetzt im Rahmen von Lehramt.International durch das Projekt ProMobiLGS ganze Module an anderen Universitäten belegt werden können, die dann durch vorherige Absprache und den curricularen Abgleich auch so, wie sie belegt wurden, angerechnet werden. Das ist ein ganz, ganz großer Vorteil und ein Gewinn für die Studierenden. So lernen die Studierenden andere Bildungssysteme kennen, sie bilden eine interkulturelle Sensibilität aus oder entwickeln diese weiter, es bilden sich neue Freundschaften für die Studierenden, usw.

Für mich persönlich ist der enge Austausch mit allen Kolleg:innen der Partneruniversitäten von ganz besonderer Bedeutung, da sich insbesondere durch den Abgleich der Bildungskonzepte neue Perspektiven eröffnen. Und ferner habe ich im Projekt die Möglichkeit bekommen, in Form einer Gastdozentur eine Veranstaltung für die Studierenden hier an der PH Heidelberg durchzuführen. Und das ist ja auch ein großer Schritt in Richtung Internationalisierung.

A.B.-S.: Definitiv, weil das ja auch etwas Nachhaltiges ist, was auch nach Beendigung des Projekts hoffentlich weitergeführt werden kann, weil es einfach ein toller Zugewinn ist.

C.E.-K.: Das klingt ja alles sehr positiv. Gibt es Wünsche für die Zukunft? Wie soll es weitergehen?

F.G.: Ich wünsche mir auf jeden Fall die Fortsetzung dieser Zusammenarbeit. Der DAAD ermöglicht uns mit Lehramt.International eine exzellente Plattform für eine vielseitige Zusammenarbeit, in Form von Symposien, Tagungen und Konferenzen zu aktuellen Themen, was ich in dieser Form der Synergieerzeugung aus anderen Kontexten nicht kenne.

A.B.-S.: Und die Anerkennung der im Ausland erbrachten Studienleistungen ist ja ganz essentiell, wie wir von unseren international mobilen Studierenden immer wieder hören.

F.G.: Das möchte ich ausdrücklich unterstreichen. Ich finde, dass die PH Heidelberg hier mit den internationalen Partnern etwas Großartiges leistet. Das sollte unbedingt weitergeführt werden.

A.B.-S.: Wir hätten noch eine abschließende Frage: Erinnerst du dich an irgendetwas ganz Besonderes, das dir in dieser Kooperation widerfahren ist? Vielleicht eine Situation, die dir besonders positiv oder als erstaunlich in Erinnerung geblieben ist? Irgendetwas, das dich in besonderer Weise berührt hat?

F.G.: Es gibt zwei Dinge, die eigentlich miteinander zusammenhängen: Wir haben ja der Autumn School zum Thema „Möglichkeiten der Anerkennung außerschulischen gesellschaftlichen Engagements der Studierenden“ im Herbst 2020 teilgenommen. Auf dieser Veranstaltung haben Studierende der teilnehmenden Hochschulen Projekte vorgestellt, die sie jeweils an ihren Hochschulen oder auch außerhalb der Hochschulen ehrenamtlich durchgeführt haben. Die Begeisterung der Studierenden, ihre Motivation, ihr Engagement und die Bereitschaft, an Projekten mitzuwirken, über alles das hinaus, was sie ohnehin im Studium leisten müssen, war ansteckend, und beeindruckend, Das zweite ist, dass wir beim Follow-Ups zu dieser Autumn School an der Marmara Universität über die „Außeruniversitäre Projektarbeit und soziales Engagement” im DaF-Lehramtsstudium berichtet und im Anschluss daran auch recherchiert haben, ob es weitere Projekte dieser Art an der Marmara Universität gibt. Dabei sind wir auf zahlreiche interessante Projekte gestoßen, die an unserer Universität durchgeführt worden sind, einige davon preisgekrönt! Das hat uns neue Impulse zu weiteren interdisziplinären Vorhaben gegeben!

A.B.-S.: Und das ist doch genau das, was man sich wünscht: dass Impulse gesetzt, neue Möglichkeiten geschaffen, neue Formen der Anerkennung entwickelt werden. Wir haben damals auch gemeinsam diskutiert, in welcher Form man eben dieses hochschulische soziale Engagement wertschätzen kann, ob mit Credits oder mit freier Zeit oder ähnlichem.

F.G.: Das sind ganz tolle Impulse, die wir mitgenommen haben, und wir versuchen fortan, mit den anderen Fakultäten zusammenzuarbeiten. Es sind nachhaltige Projekte, wie zum Beispiel die Einführung von Blindenschrift u.a. an Türen oder Projekte zum Klimaschutz. Oder die Studierenden engagieren sich in Institutionen, in denen ältere Menschen mit Demenz behandelt werden. Oder auch Projekte zum Tierschutz: Wie ihr wisst, gibt es in Istanbul viele freilaufende Tiere, die kein festes Zuhause haben Dieses Projekt haben die Studierenden der Marmara Universität maßgeblich initiiert, es wird heute von den Studierenden-Fachschaften erfolgreich fortgesetzt.  Freilaufende Tiere werden sowohl auf dem Campus als auch im gesamten Stadtbezirk Kadiköy regelmӓßig versorgt, auch medizinisch. Das hat uns sehr beeindruckt und erst in der Auseinandersetzung mit dem Thema durch die Teilnahme an der Autumn School haben wir im Detail von dem Projekt erfahren.

A.B.-S.: Und das ist ja auch genau Sinn und Zweck, dass man durch solche Projekte auch Dinge sichtbar macht, die sonst weniger wahrgenommen werden. Liebe Feruzan, herzlichen Dank für dieses Interview und natürlich für dein Engagement im Projekt ProMobiLGS im Lehramt.International. Wir freuen uns sehr auf die weitere Zusammenarbeit mit dir.

F.G.: Das große Dankeschön möchte ich auch zurückgeben, ganz besonders natürlich an Henrike Schön, die das Projekt initiiert, auf den Weg gebracht hat und erfolgreich in die zweite Phase geführt hat! Ganz herzlich Dank an euch drei!

[Das Interview führten Anja Bast-Schneider, M.A. und Dr. Claudia Eckhardt; Redaktion: Henrike Schön]