Habet den Mut, hinter den Spiegel des Alltags zu blicken!

(frei nach Immanuel Kant)

Soziologie an der PH - Warum?

Warum sollte man an der Pädagogischen Hochschule auch Soziologie studieren? „Ich werde doch Lehrer und nicht etwa Soziologe? Was soll mir dieses Fach denn nutzen? Da redet man doch bloß über ´die Gesellschaft` oder über das, `was Menschen so tun`? Und außerdem ist das doch so etwas ähnliches wie Psychologie?“

Die Soziologie begegnet uns jeden Tag:

  • Wenn wir uns morgens überlegen, was wir anziehen könnten,
  • wenn wir anschließend mit der Straßenbahn zur PH fahren,
  • wenn wir uns an einem Seminar beteiligen,
  • wenn wir mittags mit Freunden in die Mensa gehen,
  • wenn wir abends auf ein Getränk in die Stadt fahren
  • und wenn wir dann abends noch einen Film im Fernseher ansehen.

Und die Soziologie begegnet uns erst Recht auch im Lehrerberuf:

Ja, der Lehrerberuf beinhaltet vor allem Pädagogik, also die Lehre von der Erziehung. Selbstverständlich ist auch Psychologie wichtig und natürlich auch die einzelnen Fachdidaktiken und -wissenschaften. Aber was heißt denn „Lehrersein“? Mit dem Beruf des Lehrers sind viele unterschiedliche, ja mitunter auch sich widersprechende Aufgaben und Tätigkeiten verbunden:

Die Lehrkraft unterrichtet, erzieht, berät, diagnostiziert, selektiert, fördert die SuS möglichst individuell und vieles mehr. Darüber hinaus ist die Lehrkraft aber auch in ein ganz spezielles „System“ eine „Organisation“ eingebunden. Angefangen von einem Schulsystem über einen bestimmten Schultyp, bis hin zu der einzelnen Schule und nicht zuletzt in eine ganz bestimmte Kultur mit einer ganz bestimmten Vorstellung, was „Bildung“ ist. Und auch in der Schule ist die Lehrkraft zusätzlich noch Teil eines Kollegiums, untersteht einer Schulleitung, kommuniziert mit den Eltern der SuS und tritt unter Umständen auch mit Vertretern der örtlichen Unternehmen und Vereinen in Kontakt. Lehrkraftsein bedeutet also immer das Erlernen, Verinnerlichen und Ausfüllen ganz bestimmter und sehr komplexer Erwartungen an eine nicht immer eindeutig definierte „Lehrerrolle“. Und vor allem darf auch nicht vergessen werden, dass beim Aufeinandertreffen von Lehrkraft und SuS immer auch automatisch Aushandlungsprozesse zwischen Lehrkraft und SuS zur alltäglichen Praxis des Lehrkraftseins gehören.

Die Lehrkraft hat also viele Aufgaben:

  • Lehrende(r)
  • Erzieher(in)
  • Berater(in)
  • Seelsorger(in)
  • Vermittler(in)
  • Begutachter(in)
  • Selektierer(in)
  • Mitglied einer Schulfamilie
  • Vollzieher(in) des staatlichen Bildungsauftrags
  • Vorbild als Erwachsene(r)

Wie kann der „soziologische Blick“ hierbei als Werkzeug dienen?

Eine „soziologische“ Perspektive einzunehmen bedeutet nicht nur, das Funktionieren von Gesellschaften und den Menschen als sozial-bestimmtes Wesen zu erforschen. Eine „soziologische“ Perspektive einzunehmen bedeutet auch, Alltagssituationen skeptisch zu betrachten, was oftmals einem Hinterfragen des Nicht-Hinterfragbaren, des Selbstverständlichen gleichkommt. Durch die Berücksichtigung gesellschaftlicher Prozesse und struktureller Bedingungen wird bei an sich alltäglichen Phänomenen ein Blickwinkel eingenommen, welcher die Sicht auf ansonsten verborgene Aspekte freigibt. Kaum eine menschliche Handlung (und erst recht nicht pädagogisches Handeln) geschieht im (sozial-) luftleeren Raum, sondern sie vollzieht sich innerhalb gesellschaftlicher Strukturen als Teil eines größeren Ganzen. Und immer bin ich als Person in den vielen Rollen, die ich in meinem Alltag erfülle (besonders auch im Lehrberuf), auf ganz spezifische Art und Weise  kulturell  verortet. Mein Handeln erscheint mir zwar sehr individuell und selbstbestimmt, aber über all meinen Handlungen befindet sich ein „Dach“, das mir überhaupt erst den Rahmen für meine Handlungen vorgibt.  Diese Einsicht allein kann zu wertvollen Erkenntnissen führen. Der „soziologische Blick“ liefert also Deutungs- und Interpretationsalternativen der Wirklichkeit und trägt somit zum Verständnis komplexer Zusammenhänge bei.

Ja, natürlich kann man ein guter Lehrer sein, wenn man nicht Max Webers „Wirtschaft und Gesellschaft“ gelesen hat! Aber vielleicht kann die Soziologie ein neues Fenster, eine weitere Perspektive eröffnen, wie man als Lehrkraft sein eigenes Handeln betrachten kann. Und ganz bestimmt kann die Soziologie dies: Den Blick hinter den Spiegel ermöglichen - Den Alltag hinterfragen, Hintergrundinformationen liefern und auf dieser Grundlage die Reflexion des eigenen schulischen und außerschulischen Handelns erleichtern!

Wir wollen Sie in Ihrem „Lehrkraftsein“ unterstützen und Ihnen einen Werkzeugkasten mit auf den Weg geben, damit Sie niemals auf der Stelle verharren, sondern sich weiterentwickeln können. Wir wollen zeigen, dass die Soziologie nicht nur nutzbringend sein kann, nein, sie kann sogar Spaß machen!

 

(Brey)