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20 Jahre Habilitationsrecht

Seit 2005 teilen Pädagogische Hochschulen das tradierte Recht der Universitäten, die Lehrbefugnis zu vergeben. Ein Gespräch mit Wissenschaftlerin Sabrina Geyer über ihre Habilitation.

Dr. Sabrina Geyer hat sich für den Weg der Habilitation entschieden.

Sabrina Geyer hat sich bewusst für ihren Weg entschieden: Die promovierte Sprachdidaktikerin lehrt und forscht an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Parallel entwickelt sie ihre Habilitation zum Thema Grammatikförderung und Grammatikunterricht im Kontext von Mehrsprachigkeit und Deutsch als Zweitsprache. Eine ganz normale wissenschaftliche Karriere, die gleichzeitig für eine Besonderheit der Pädagogischen Hochschulen steht: Das ansonsten Universitäten vorbehaltene Recht, Forschende zu habilitieren, also eine „Lehrbefugnis“ für eine Professur zu erteilen.

Mit diesem Recht ausgestattet wurden sie 2005 – im November vor 20 Jahren erließ die PHHD ihre neue Habilitationsordnung. Die Verleihung des „uneingeschränkten Habilitationsrechts“ sei quasi einem Adelsschlag gleichgekommen, sagt Prof. Dr. Marita Friesen, Prorektorin für Forschung der PHHD. „Das war ein wichtiger Schritt für die Pädagogischen Hochschulen.“ Schon seit 1995 besaßen sie das „eingeschränkte Habilitationsrecht“, in Kooperation mit einer Universität.

Diese Variante hatte Baden-Württemberg festgelegt, als es sich als einziges Bundesland entschied, die Lehrkräftebildung nicht komplett in die Universitäten zu integrieren. Stattdessen hielt das Land an den eigenständigen Hochschulen fest – eine Entscheidung, um die es heute von anderen Bundesländern beneidet wird, wie man hört. Den Pädagogischen Hochschulen sprach es damals „den gleichen wissenschaftlichen Charakter in Forschung und Lehre“ zu wie Universitäten, inklusive Promotionsrecht und (vorerst eingeschränktem) Habilitationsrecht.

Ressource „Mehrsprachigkeit“ 

Auch an der PHHD haben promovierte Wissenschaftler:innen somit die Möglichkeit, sich durch eine Habilitation für eine Professur zu qualifizieren. Es ist nicht unbedingt die Masse, die diesen Weg einschlägt – mindestens sechs Jahre dauert das Verfassen einer Habilitationsarbeit, die meist nebenberuflich entsteht. Geyer hat sich für eine zweite Variante entschieden, die kumulative Habilitation, bei der mehrere Publikationen zusammen eingereicht werden.

Ihr Forschungsthema brennt der Bildungspolitik auf den Nägeln: Wie ermöglichen wir Kindern, die Deutsch nicht als Muttersprache erlernt haben, schulischen Erfolg in unserem System? „Mein Hauptforschungsinteresse liegt darin, wie man gerechte Chancen schafft, damit Schüler:innen unabhängig von ihren sprachlichen Ausgangsbedingungen erfolgreich am Deutschunterricht teilhaben können“, sagt sie. Inklusiver Deutschunterricht müsste die sprachlichen Voraussetzungen aller Kinder berücksichtigen, auch wenn diese Deutsch als Zweitsprache sprechen. In der Schule sei er häufig an einer monolingualen Norm ausgerichtet, die faktisch so nicht existiert. „Ich erforsche, an welchen Stellschrauben wir in der Grammatikdidaktik drehen können, damit alle Kinder ihre Ressourcen ausschöpfen können.“

Von „Ressourcen“ spricht die Wissenschaftlerin bewusst. „Mehrsprachige Kinder bringen viele Kompetenzen mit, nur lernen sie vielleicht erst seit vier Jahren Deutsch, und nicht seit acht Jahren, wie ihre einsprachigen Altersgenoss:innen.“ Es brauche den Wechsel von der problem- zur kompetenzorientierten Perspektive in Schulen, so ihr Plädoyer. Diese Haltung nahm sie vor allem aus ihrer Promotionszeit bei der Frankfurter Spracherwerbsforscherin Petra Schulz mit.

Forschen für die Schulen

Begonnen hatte Geyer ihren Berufsweg in Rheinland-Pfalz, wo sie Lehramt für Grund- und Hauptschulen studierte und unterrichtete. „Ich übernahm eine Sprachfördergruppe und merkte, dass mir wissenschaftlich fundierte Konzepte fehlten, um Kinder effektiv in ihren sprachlichen Fähigkeiten zu stärken.“ Sie entschied sich im Anschluss an ihr Lehramtsstudium für den Master-Studiengang „Deutsch als Fremdsprache“ in Mainz und entdeckte als Doktorandin an der Uni Frankfurt ihre Leidenschaft für Forschung – für sie als erste Akademikerin in der Familie eine ganz neue Welt.

Die systematische Herangehensweise und die Gewinnung neuer Erkenntnisse auf einer empirischen Grundlage, das mache ihr Spaß, erzählt sie. „Das Schönste ist, Wissen zu generieren, das Schulen weiterbringt. Die enge Verzahnung von Forschung und Praxis ermöglicht wissenschaftliche Erkenntnisse mit hoher Wirkung – das motiviert mich besonders.“ Gerade im Bereich des Spracherwerbs seien Lehrkräfte auf wissenschaftliche Erkenntnisse angewiesen, an denen sie sich orientieren könnten.

Geyer entschied sich für eine Promotion zur kindlichen Sprachförderung und war an der Goethe-Universität Frankfurt und am DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in verschiedenen Forschungsprojekten tätig, bevor sie 2022 als Akademische Rätin an die PHHD kam. Hier lehrt sie in den Bereichen Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik des Deutschen. Seit ihrer Frankfurter Zeit bietet sie regelmäßig Lehrkräfte-Fortbildungen zum Spracherwerb, Sprachdiagnostik und Sprachförderung an und auch ihre Forschungsinteressen verfolgt sie weiter, vor allem zu Grammatikerwerb und Grammatikunterricht unter mehrsprachigen Bedingungen.

In Kürze soll aus den veröffentlichten Artikeln die fertige Habilitation entstehen – das braucht allerdings Zeit und will mit Lehrtätigkeit und Familie unter einen Hut gebracht werden. Dank verlässlicher Strukturen im beruflichen und privaten Umfeld könne sie Forschung und Lehre meist gut verbinden, sagt sie. Doch leider ist auch ihre Erfahrung, dass Wissenschaftsstrukturen wenig auf Eltern ausgerichtet sind, die nicht rund um die Uhr zur Verfügung stehen. „Man muss wirklich gut organisiert sein. Und es ist ein großer organisatorischer Aufwand, zu mehrtägigen Konferenzen zu fahren, solange die Kinder klein sind.“

Eine wissenschaftliche Karriere findet sie dennoch reizvoll. „Eine Professur bietet noch mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Zeit für Forschung.“ Im Sommer konnte sie eine W3-Professur an der PH Weingarten vertreten. Die Berufungsverfahren seien anspruchsvoll, aber ihre bisherigen Erfahrungen bestärkten sie darin, den Weg weiterzugehen.

Juniorprofessur als Alternative

Langer Vorlauf und unsichere Aussichten auf eine Berufung: Viele junge Forschende wählen lieber den Weg der Juniorprofessur, der seit 2004 möglich ist. Zwar sind die Anforderungen hoch, um eine Juniorprofessur-Stelle zu erhalten und nach drei Jahren positiv evaluiert zu werden. Dann aber hat man die Chance auf eine Professur ohne klassische Habilitation – auf „Tenure Track“-Juniorprofessuren wird man sogar direkt auf eine W2- oder W3-Stelle übernommen.

Diese Alternative habe die Bildungspolitik geschaffen, um das deutsche Wissenschaftssystem international anschlussfähig zu machen, sagt Dr. Nicole Flindt, Leiterin des Forschungsreferats der PHHD. In anderen Ländern sei der tradierte Weg der Habilitation eher unüblich. „Zudem macht es die Pädagogischen Hochschulen noch interessanter für Kooperationen. Letztlich ist die Habilitation aber auch in Deutschland nur noch ein Weg zur Professur unter mehreren.“

Sabrina Geyer will ihre Habilitation dennoch durchziehen. „Ich liebe meine Arbeit und würde ohnehin forschen, das ist meine Leidenschaft.“ Sie kann sich gut vorstellen, dies auch weiterhin an einer Pädagogischen Hochschule zu tun. „Mir gefällt der Stellenwert, den Lehrer:innenbildung an der PHHD hat. Das Interesse und Engagement aller Beteiligten, Lehrkräfte gut auszubilden, ist hier sehr hoch“, sagt sie. „Ich bin überzeugt, dass PH-Absolvent:innen bei ihrem Berufsstart fachlich fit und didaktisch gut aufgestellt sind.“

Mehr Informationen zum Thema wissenschaftliche Karriere unter

Text: Antje Karbe
Foto: Birgitta Hohenester

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