[fk] Mit einer feierlichen Veranstaltung am 24. September 2025 hat das Annelie-Wellensiek-Zentrum für Inklusive Bildung (AW-ZIB) der Pädagogischen Hochschule Heidelberg sein fünfjähriges Bestehen begangen. Seit seiner Gründung 2020 bindet das AW-ZIB Menschen mit sogenannter kognitiver Beeinträchtigung als Bildungsfachkräfte in die Hochschullehre in ganz Baden-Württemberg ein – als Expert:innen in eigener Sache mit eigener Stimme und eigener Perspektive.
In den vergangenen fünf Jahren hat das AW-ZIB Maßstäbe gesetzt: Es wurde bereits eine Qualifizierungsrunde von Bildungsfachkräften erfolgreich abgeschlossen, die zweite startet im Wintersemester 2025/26. Das vielfältige Team des AW-ZIB hat Lehrveranstaltungen gestaltet, an Forschungsprojekten mitgewirkt, innovative Transferformate entwickelt und damit entscheidend zur Weiterentwicklung einer inklusiven Hochschullandschaft beigetragen.
Bei der Jubiläumsfeier in der Festhalle der Pädagogischen Hochschule Heidelberg präsentierten Mitglieder des Teams gemeinsam mit Kooperationspartner:innen aus den drei Schwerpunktbereichen Lehre, Forschung und Transfer die Höhepunkte ihrer Arbeit. In kurzen Impulsen gaben sie Einblicke in Seminare, wissenschaftliche Studien und praxisnahe Transferprojekte. Ergänzend dazu stellten Promovierende ihre aktuellen und bereits abgeschlossenen Dissertationsprojekte in einer Posterpräsentation vor. Musikbeiträge sowie ein gemeinsames Get-together mit Snacks und Getränken rundeten das Programm ab.
Die Festveranstaltung wurde durch eine Videobotschaft von Petra Olschowski, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, eröffnet: "Inklusion ist nicht nur ein Ziel, sondern ein Prozess. Es geht darum, Barrieren abzubauen, Vielfalt zu feiern und jeden Menschen in seiner Einzigartigkeit zu respektieren und zu fördern. Das Annelie-Wellensiek-Zentrum trägt bereits seit fünf Jahren sehr erfolgreich zur Inklusion bei: seit seiner Gründung hat es mit seinen Angeboten schon über 8.000 Studierende in unterschiedlichen Studiengängen erreicht."
Professorin Dr. Karin Vach, Rektorin der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, betonte in ihrem Grußwort: "Das AW-ZIB ist für unsere Hochschule ein Leuchtturmprojekt, das weit über Heidelberg hinaus strahlt. Mit der nun bereits zweiten Qualifizierungsrunde von Bildungsfachkräften und den geplanten inhaltlichen Erweiterungen zeigt sich, wie dynamisch und zukunftsweisend sich dieses Zentrum entwickelt. Es ist für uns ein großer Gewinn, ein solches Kompetenz- und Innovationszentrum an der PH zu haben."
Auch für die kommenden Jahre hat das AW-ZIB viel vor: Bei der Fortsetzung der Qualifizierung neuer Bildungsfachkräfte soll neben der Kernaufgabe in der Lehrerbildung der Fokus verstärkt auf die Beratung von Bildungseinrichtungen gelegt werden. Damit trägt das Zentrum dazu bei, die Inklusion nicht nur an der Hochschule, sondern auch in Schulen und weiteren Bildungskontexten nachhaltig voranzubringen. Außerdem werden Formate der inklusiven Lehre weiterentwickelt – von punktuellen Bildungsangeboten hin zu Team-Teaching von Lehrenden mit und ohne Beeinträchtigung.
Das AW-ZIB arbeitet nach dem Leitmotiv „inklusiv, kompetent, bedeutsam“. In den vergangenen fünf Jahren hat es gezeigt, dass inklusive Bildung nicht nur theoretisch diskutiert, sondern praktisch gelebt und wissenschaftlich fundiert weiterentwickelt werden kann.
[fk] Am 21. Mai 2025 war das Annelie-Wellensiek-Zentrum für Inklusive Bildung (AW-ZIB) zu Gast beim sozialpolitischen Frühstück des baden-württembergischen Landtags. Das Format des Sozialausschusses ermöglicht einen informellen und zugleich konzentrierten Austausch zwischen Landtagsabgeordneten und Vertreter:innen gesellschaftlich relevanter Projekte. Begleitet wurde die Runde diesmal auch von Mitgliedern des Wissenschaftsausschusses – ein starkes Zeichen für die Bedeutung inklusiver Bildung an Hochschulen.
Die Delegation des AW-ZIB präsentierte dem politischen Publikum die Struktur und Zielsetzung der Einrichtung: Als bundesweit erste Inklusionsabteilung einer Hochschule verfolgt das AW-ZIB seit seiner Gründung 2020 das Ziel, die Inklusionskompetenz von Lehramtsstudierenden zu stärken und damit langfristig die Qualität inklusiven Unterrichts zu verbessern.
„Inklusiv – kompetent – bedeutsam“ – gelebte Teilhabe in der Lehre
Im Zentrum des Treffens standen die authentischen Erfahrungsberichte von Helmuth Pflantzer und Thilo Krahnke. Beide haben eine dreijährige Qualifizierung zur Bildungsfachkraft durchlaufen und arbeiten heute als Lehrende an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.
„Ich möchte die Bilder in den Köpfen verändern“, so Helmuth Pflantzer, der in seinen Seminaren über seine Behinderungserfahrungen berichtet und mit Studierenden Themen wie Barrieren, Selbstbestimmung und Teilhabe diskutiert. Besonders eindrücklich war seine Aussage: „Ohne meine Behinderung wäre ich nicht da, wo ich heute bin – nämlich vor Ihnen, um meine Meinung zu sagen und für andere Menschen mit Behinderung einzustehen.“
Thilo Krahnke gab einen Einblick in seinen Weg von der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) an die Hochschule – einen Weg, der von institutionellen Hürden, aber auch persönlichem Mut geprägt war. Die fehlende Selbstbestimmung in der Werkstatt, eine medizinisch geprägte Leistungsbewertung durch die Agentur für Arbeit und bürokratische Hürden machten seinen Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt zu einer Herausforderung. „Es war eine Sauerei, dass über meinen Kopf hinweg entschieden wurde – ohne mit mir zu sprechen“, sagte Krahnke sichtlich bewegt. Dass er heute an der PH Heidelberg lehrt, ist für ihn nicht nur ein persönlicher Erfolg, sondern auch ein gesellschaftliches Signal: „Ich will ein Vorbild sein – dass man Ziele erreichen kann, auch wenn man dafür Umwege gehen muss.“
Politische Resonanz: Wertschätzung und Handlungsbedarf
Die Landtagsabgeordneten zeigten sich sichtlich beeindruckt von der Professionalität und dem gesellschaftlichen Mehrwert der Arbeit des AW-ZIB. Thomas Poreski (Grüne) betonte: „Ich bin überzeugt, dass der Beitrag, den das Annelie-Wellensiek-Zentrum leisten kann, für die Lehrerbildung sehr erfolgversprechend ist – egal ob in der Sonderpädagogik oder den anderen Lehramtsstudiengängen.“ Dorothea Kliche-Behnke (SPD) unterstrich: „Die Arbeit des AW-ZIB ist wichtig für eine inklusive Gesellschaft! Diese Expertise wird dringend gebraucht – an Schulen, Hochschulen und auf dem Arbeitsmarkt.“
Fazit
Der Besuch im Landtag war nicht nur eine Gelegenheit zur Präsentation, sondern vor allem ein Austausch auf Augenhöhe. Dass ein Team von Menschen mit und ohne Behinderungen nicht nur über Inklusion sprechen, sondern sie aktiv mitgestalten, war an diesem Vormittag deutlich zu spüren. Das AW-ZIB konnte zeigen, wie Lehre, Forschung und Transfer ineinandergreifen – und wie Inklusion an Hochschulen nicht nur möglich, sondern auch bereichernd ist.
[tk, ur] Der Beirat des AW-ZIB besteht aus neun externen Mitgliedern aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft. Gemeinsam beraten sie über die Einbindung der Bildungsfachkräfte in das (außer-)hochschulische Umfeld. Der Beirat diskutiert zudem über die Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrukturen für die Implementierung von Bildungsleistungen durch Menschen mit Behinderungen. Das Team der Bildungsfachkräfte ist von Anfang an durch eine Bildungsfachkraft im Beirat vertreten, die regelmäßig über aktuelle Schwerpunkte berichtet und die Sicht des Teams einbringt. Seit dem 12. August 2022 hat Thilo Krahnke diese Aufgabe übernommen. Gemeinsam mit Koordinatorin Ute Raible bereitet er die Beiträge der Bildungsfachkräfte vor.
Zu Beginn jeder Vorbereitung besprechen die beiden aktuelle Themen, die für die Beiratsmitglieder von besonderer Bedeutung sind. In den vergangenen Sitzungen stellte Thilo Krahnke unter anderem folgende Inhalte vor:
die Forschung der partizipativen Forschungsgruppe des AW-ZIB zur Frage „Wie kann die Zusammenarbeit in einem inklusiven Team gelingen?“,
die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse als E-Book,
den Workshop der Bildungsfachkräfte beim Fachtag der Quartiersakademie im Juli 2024 in Stuttgart
sowie die Lerneinheit zum politischen Planspiel Quararo, das demokratische Entscheidungsprozesse thematisiert.
Ein Thema, das den Bildungskräften besonders am Herzen lag und von dem die Beiratsmitglieder unbedingt erfahren sollten, war der Besuch von Jürgen Dusel, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen am 23. November 2023 im AW-ZIB. Anhand dieses Beispiels lässt sich gut zeigen, wie die Beiträge für den Beirat von Thilo Krahnke und Ute Raible gemeinsam vorbereitet werden.
Zu Beginn ihrer Vorbereitung ließen die beiden den Tag noch einmal Revue passieren und sprachen ausführlich darüber, welche Programmpunkte stattgefunden hatten und welche Eindrücke dabei entstanden waren. Während Thilo Krahnke die Ereignisse zunächst mündlich schilderte, stellte Ute Raible gezielte Zwischenfragen, um einzelne Situationen genauer nachvollziehen und die Bedeutung bestimmter Begegnungen besser verstehen zu können. Dadurch wurde bereits in diesem frühen Austausch deutlich, welche Aspekte für die Bildungsfachkräfte besonders wichtig waren.
Nach dieser ausführlichen Besprechung und gemeinsamen Reflexion begann Thilo Krahnke damit, seine Gedanken und Botschaften in stichpunktartiger Form zu verschriftlichen. Im nächsten Schritt wurden gemeinsam PowerPoint-Folien mit passenden Fotos erstellt. Anschließend übte Thilo Krahnke seinen Beitrag mit der Assistenz von Ute Raible ein, die ihn dabei unterstützte, Sicherheit im Vortrag zu gewinnen.
Zum 1. Oktober 2025 hat Anna Neff die Aufgabe als Beiratsmitglied des Bildungsfachkräfte-teams von Thilo Krahnke übernommen. Mit Freude blickt Thilo Krahnke auf seine Beiratszeit zurück:
„Mir hat die Arbeit sehr viel Spaß gemacht, vor allem, weil ich dort andere Kolleg:innen wiedersehe, mit den ich an anderen Hochschulen zusammengearbeitet habe. Außerdem habe ich erfahren, welche aktuellen Themen in Lehre und Forschung an Hochschulen diskutiert werden.“
Seiner Nachfolgerin Anna Neff möchte er Folgendes mitgeben: „Der Beirat ist eine sehr gute Gelegenheit, mit Menschen aus Hochschulen, Politik und Verwaltung in den Austausch zu kommen. Ich wünsch dir, liebe Anna, eine tolle Zusammenarbeit in unseren AW-ZIB Beirat.“
Direkt vor der Tür der Ostschweizer Fachhochschule in St. Gallen stand ein großes Warnzeichen: Achtung Mitbestimmung! Hier waren wir also richtig! Als Vertreter:innen des AW-ZIB waren wir angereist, um uns aktiv in die Tagung „Zusammenarbeit mit Expert:innen in eigener Sache“ einzubringen.
Die Schweizer Kolleg:innen vom Team S.E.G.E.L. begrüßten uns herzlich. Die Abkürzung S.E.G.E.L. steht für Schwierige Entscheide - Gemeinsame Lösungen. In dem Team arbeiten Menschen aus Werkstätten zusammen mit Hochschulmitarbeiter:innen daran, wie in inklusiven Gruppen gut gemeinsame Entscheidungen gefällt werden können.
Das S.E.G.E.L.-Team eröffnete die Tagung und stellte das eigene Projekt partizipativ vor – also ganz im Sinne der Tagung. Diese Tagung war die zweite in einer Reihe von Veranstaltungen, bei denen die Zusammenarbeit mit Erfahrungsexpert:innen in eigener Sache an Hochschulen im Mittelpunkt stehen soll. „Es ist ein toller Kooperationserfolg, dass wir hier in der Schweiz an die Ziele der ersten Tagung in Heidelberg im Oktober 2023 gemeinsam anknüpfen können“, betont Karin Terfloth in ihrem Geleitwort zur Tagung.
Im Hauptvortrag stellte Prof. Dr. Mathias Lindenau den Partizipationsbegriff auf den Prüfstand. Inga Schiffler bot über Kopfhörer für alle interessierten Teilnehmer:innen eine Verstehensassistenz in einfacher Sprache an. „Gerade die Verstehensassistenz auch in den Workshops war sehr gelungen. Denn es wurden nicht nur einzelne Personen, sondern alle unterstützt“, lobt Sarah Maier.
Gestärkt mit Schweizer „Gipfeli“ ging es in die erste Workshoprunde. „Wir hatten uns in zwei Teams aufgeteilt. So konnten wir zwei verschiedene Themen und Workshops ausbringen“, berichtet Noemi Heister. „Zusammen mit Stephanie und Karin habe ich über Entscheidungsmacht in der partizipativen Forschung gesprochen. Dabei haben wir auch unsere Erfahrungen aus unseren Forschungsprojekten eingebracht“, ergänzt Anna Neff. „Sarah, Noemi und ich haben auch über Macht gesprochen. Bei uns ging es um sichtbare und unsichtbare Macht. Der Workshop war ein voller Erfolg!“, sagt Helmuth Pflantzer. Doch nicht nur in den eigenen Workshops, sondern auch bei den vielen Themen der Kolleg:innen konnten wir neue Ideen mitnehmen.
Die spontane abendliche Stadtführung eines Schweizer Kollegen durch die wunderschöne Altstadt St. Gallens rundete den ersten Tag ab.
Der zweite Tagungstag begann mit einem eindrucksvollen Vortrag von Prof. Dr. Reinhard Burtscher aus Berlin. Er stellte das Thema Partizipative Gesundheitsbildung sehr anschaulich dar. „Gesundheit geht uns alle an – darum war dieser Vortrag besonders wichtig“, so Stephanie Schleer, denn „Wissen ist die beste Medizin“.
Mit so viel frischem Schwung fuhren wir nicht den direkten Weg nach Hause. Stattdessen steuerten wir mit dem AW-ZIB-Bus den Fähranleger an. Mit einem Eis in der Hand und frischem Wind im Haar genossen wir die schöne Überfahrt mit der Fähre über den Bodensee.
Unser Fazit: Eine rundum gelungene Exkursion – mit neuen Erkenntnissen, spannenden Begegnungen und vielen schönen Team-Momenten. Wir sind beschwingt und mit neuen Ideen zurückgekommen!
[hp, nr] Bildungsfachkraft Helmuth Pflantzer blickt auf 2,5 Jahre spannende Arbeit im Projekt
Ein Bericht von Helmuth Pflantzer:
Mit dem Kooperationsprojekt "Kurswechsel Kultur – Netzwerk. Richtung. Inklusion." möchten die Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (LKJ) Baden-Württemberg und das Zentrum für Kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg (ZfKT) Kultureinrichtungen dabei unterstützen, inklusiver zu werden.
Ich habe im Dezember 2022 mitentscheiden dürfen, welche sieben Einrichtungen in den nächsten 2,5 Jahren gefördert werden:
- JES – Junges Ensemble Stuttgart
- Landestheater Württemberg-Hohenzollern
- Nationaltheater Mannheim
- Theater Konstanz
- Rampe Stuttgart
- Zeitraumexit Mannheim
- Zeppelin Museum Friedrichshafen
Die Einrichtungen haben mit ihren Bewerbungen angegeben, was sie für Projekte in ihren Häusern umsetzen wollen. Zum Beispiel, dass eine Einrichtung einen Ticketservice aufbauen wollte, der barrierefrei ist. Für die Umsetzung dieses Projekts hatte die Einrichtung zweieinhalb Jahre Zeit und wurde dabei gefördert. Durch diese Förderung konnten sich die Einrichtungen auf den Weg machen zur Barrierefreiheit. Es gab auch immer wieder Netzwerktreffen, wo sich die Einrichtungen untereinander austauschen konnten.
Da kam ich dann auch ins Spiel als „critical friend“ von außen. Ich konnte Barrieren aufzeigen und auch Tipps geben, wie man die Barrieren abbauen kann. Als „critical friend“ konnte ich mein Wissen teilen, aber auch viel Wissen erwerben. Es war also eine Win-win-Situation für mich: Ich habe einen Einblick bekommen, wie Kultureinrichtungen arbeiten und welche Schwierigkeiten es in Bezug auf Barrierefreiheit geben kann. Dabei konnte ich aufzeigen, wie man bestimmte Barrieren abbauen kann, und viele Diskussionen anregen, aber auch praktischen Rat geben.
Das war eine spannende und vielfältige Tätigkeit. Das Netzwerktreffen bei Zeitraumexit in Mannheim ist mir besonders in Erinnerung geblieben, weil ich dort gesehen habe, wie sich die Zusammenarbeit der verschiedenen Kultureinrichtungen verändert hat: Ich konnte beobachten, dass die Einrichtungen viel enger zusammenarbeiten, sich austauschen und mehr darauf achten, dass es möglichst keine Barrieren mehr bei den Treffen gibt.
Die Abschlussveranstaltung des Projekts „Kurswechsel Kultur“, die am 3. Juni 2025 im Hospitalhof Stuttgart stattfand, war ein absolutes Highlight für mich: Dort kamen alle Einrichtungen noch einmal zusammen. Die Moderatorin und Schauspielerin Kübra Sekin hat die Veranstaltung eröffnet und anmoderiert. Petra Olschowski, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, hat in ihrem kurzen, aber prägnanten Grußwort die Wichtigkeit der Kulturarbeit allgemein benannt und hervorgehoben, dass Einrichtungen wie das AW-ZIB einen guten Beitrag dazu leisten können, Kulturhäuser zu beraten. Im Anschluss gab es eine Podiumsdiskussion, bei der die verschiedenen Einrichtungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln berichtet haben, wie wichtig das Programm für sie war und dass sie viel daraus mitnehmen.
Im weiteren Verlauf haben die verschiedenen Einrichtungen präsentiert, was sie in den letzten 2,5 Jahren erreicht haben und welche Projekte sie umgesetzt haben. Danach gab es eine kleine Pause, die ich genutzt habe, um mit verschiedenen Politiker:innen ins Gespräch zu kommen. Anschließend wurde ein
Zum Abschluss hat der Stuttgarter Poetry Slammer Kai Bosch dem Publikum „den Spiegel vorgehalten“ und es auf seine unnachahmliche Weise verstanden, alle wichtigen Punkte nochmal zusammenzufassen. Für mich persönlich war eins der Highlights des Tages, dass ich Nora Welsch, die Landesbehindertenbeauftragte Baden-Württembergs, kurz kennenlernen und mit ihr ins Gespräch kommen durfte. Rundum war das ein gelungener Tag.
Das Projekt „Kurswechsel Kultur – Netzwerk Richtung Inklusion“ ist aus meiner Perspektive wichtig, damit Kultureinrichtungen miteinander ins Gespräch kommen können, sich vernetzen und voneinander lernen. Am Anfang musste ich mich selbst erst in die Rolle des „critical friends“ hineinfinden, am Ende war ich sehr stolz, dass die Kultureinrichtungen von mir etwas über Barrieren lernen konnten und meinen Blickwinkel mit in ihre Perspektive aufgenommen haben.
Im Herbst 2025 startete die zweite Runde des Programms.
[fk] Wie kann inklusive Hochschullehre so gestaltet werden, dass sie für alle Beteiligten erfahrbar und bereichernd ist? Eine mögliche Antwort darauf lieferte ein besonderes Seminar an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, das im vergangenen Semester unter der Leitung von Prof. Dr. Karin Terfloth, die gemeinsam mit Prof. Dr. Vera Heyl das AW-ZIB leitet, stattfand.
Studierende des Masters Sonderpädagogik arbeiteten gemeinsam mit Bildungsfachkräften des AW-ZIB zum Thema „Teilhabe und Barrierefreiheit im Kontext von Schule und Kommunikation“ – und wurden dabei selbst Teil eines inklusiven Lernsettings. Voraussetzung für das Gelingen war, dass im gesamten Seminar konsequent auf verständliche Sprache geachtet wurde. Jede Sitzung übernahmen andere Teilnehmer:innen die Rolle der Verstehensassistenz. Gleichzeitig wurden die Lernformen so gestaltet, dass alle Teilnehmenden mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen aktiv teilhaben konnten. Kooperative Lernformate, differenzierte Aufgabenstellungen und eine klare Struktur schufen den Rahmen dafür, dass sich ein gemeinsamer Austausch entwickeln konnte.
„Jeder konnte mit seinen individuellen Möglichkeiten und Vorkenntnissen am Seminar teilhaben – so ist ein Bild von inklusiver Teilhabe entstanden, das viel dichter ist, als es in einem klassischen Seminar möglich gewesen wäre“, resümiert Karin Terfloth. Methodisch wurde dabei unter anderem mit offenen Lernsettings, Lerntheken und Kleingruppenarbeit gearbeitet. Die Gruppen mussten sich dabei aktiv mit den unterschiedlichen Voraussetzungen ihrer Mitglieder auseinandersetzen, um gemeinsam zu tragfähigen Ergebnissen zu kommen.
Auch aus Sicht der Beteiligten war das Seminar ein voller Erfolg. Die Bildungsfachkraft Susann Bensch beschreibt rückblickend: „Es war schön, mit den Studierenden zusammen zu lernen und sich mit ihnen austauschen zu können.“ Für sie wie für die Studierenden wurde das Seminar zu einem Ort echter Begegnung und gegenseitigen Lernens.
Eine Studentin bringt den besonderen Wert des Formats so auf den Punkt:
„Das Seminar zeigt, wie inklusives Lernen eigentlich sein sollte. Für uns als Studierende war es eine spannende Erweiterung unserer Perspektive, nach Jahren der theoretischen Auseinandersetzung mit inklusiven Lernsettings auch praktische Erfahrungen als Lernende in einem solchen Setting machen zu können.“
Gleichzeitig fiel es den Studierenden auch nicht immer leicht, sich auf das inklusive Lernsetting einzulassen. Die ungewohnten Kommunikationsformen, das verlangsamte Tempo durch einfache Sprache oder die intensive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen waren eine echte Herausforderung. Doch gerade darin lag ein authentischer Lernanlass: Die Studierenden erfuhren unmittelbar, mit welchen Spannungsfeldern inklusive Bildungsprozesse in der Praxis verbunden sein können – und entwickelten in der Auseinandersetzung mit diesen Herausforderungen ein tieferes Verständnis für die Bedeutung von Geduld, Differenzsensibilität und Beziehungsgestaltung. In der Reflexion wurde deutlich: Genau diese Reibungen machten das Seminar besonders lehrreich.
Das Seminar zeigt beispielhaft, wie inklusive Didaktik an der Hochschule nicht nur Thema, sondern gelebte Praxis sein kann – und welche Potenziale freigesetzt werden, wenn Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen gemeinsam lernen.
[tk, sm, hp, nr] Im Sommersemester 2025 haben die Bildungsfachkräfte Thilo Krahnke und Helmuth Pflantzer ein besonderes Bildungsangebot ausgebracht: Gemeinsam mit Prof. Dr. Traugott Böttinger (Professor für Sonderpädagogik mit Schwerpunkt inklusive Bildungsangebote; Leiter des Instituts für Sonderpädagogik, Pädagogische Hochschule Freiburg) und Petra Maier (Akademische Rätin und Geschäftsführung der Pädagogischen Werkstatt, Pädagogische Hochschule Freiburg) haben sie einen 3-stündigen Workshop partizipativ ausgebracht.
Es begann mit einer Anfrage von Petra Maier und Traugott Böttinger von der Pädagogischen Hochschule Freiburg, ob die Bildungsfachkräfte ein Bildungsangebot vor Ort ausbringen könnten – normalerweise finden Bildungsangebote in Freiburg wegen der Entfernung nämlich im Online-Format statt.
Thilo Krahnke und Helmuth Pflantzer hatten Interesse, diese Aufgabe zu übernehmen. „Ich habe sofort Lust bekommen, mich da miteinzubringen, weil ich mit Herrn Böttinger schon öfter während seiner Zeit an der PH Schwäbisch Gmünd zusammengearbeitet habe“, so Helmuth Pflantzer. Voraussetzung für ein Bildungsangebot vor Ort in Freiburg war allerdings, dass das Bildungsangebot nicht nur 90 Minuten, sondern 180 Minuten dauern sollte – damit sich die lange Anreise auch lohnt.
In der Vorbereitung entwickelte sich schnell die Idee, ein partizipatives Bildungsangebot zu machen. Partizipativ bedeutete in diesem Fall, dass Thilo Krahnke und Helmuth Pflantzer gemeinsam mit Petra Maier und Traugott Böttinger den Workshop planen und auch durchführen. Die beiden Lehrpersonen aus Freiburg waren von dieser Idee, gemeinsam ein neues Konzept zu entwickeln, begeistert.
Und so entstand der Workshop mit dem Titel: „‘Bist du behindert, oder was?‘ Ein respektvoller Umgang mit Vielfalt“. Ziel war es, bei den Studierenden der Sonderpädagogik und des Primar- und Sekundarlehramts ein Nachdenken über Diversitätskategorien und eine Reflexion über Vorurteile anzuregen. Thilo Krahnke ist dieses Thema sehr wichtig. „Wir sollten eigentlich alle unsere Vorurteile reflektieren, da sie Einfluss darauf haben, wie wir mit anderen Menschen umgehen.“
Das multiprofessionelle Lehrquartett gestaltete einen methodisch abwechslungsreichen Workshop. Die Studierenden beschäftigten sich damit, in welche Kategorien sie andere Menschen einteilen, aber auch, welchen Kategorien sie selbst zugeordnet werden. Die Bildungsfachkräfte berichteten auf der einen Seite davon, welche Vorurteile sie in ihrem Leben aufgrund der Zuschreibung „behindert“ erlebt haben und was das mit ihnen gemacht hat. Auf der anderen Seite machten sie aber auch deutlich, dass sie ebenfalls nicht frei von Vorurteilen gegenüber Menschen sind. Zur Veranschaulichung hatten die Bildungsfachkräfte Schubladen mitgebracht, die mit Kategorien beschriftet waren und in die die gesammelten Vorurteile gelegt werden konnten.
Zum Abschluss wurde in einer spannenden Diskussion erörtert, warum sich angehende Pädagog:innen mit den eigenen Vorurteilen beschäftigen sollten und was es braucht, um weniger in Kategorien zu denken.
Helmuth Pflantzers Fazit zum Workshop: „Ich würde den Workshop immer wieder so ausbringen, weil ich gemerkt habe, dass Studierende viel davon mitnehmen können. Es gibt oft nicht den Rahmen, sich mit den eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen.“ Für Thilo Krahnke war es spannend, das partizipative Lehrformat auszuprobieren. „Dafür, dass wir das zum ersten Mal in dieser Form gemacht haben, ist der Workshop aus meiner Sicht gut gelaufen. Wir haben aber festgestellt, dass wir uns im Lehrquartett in der Vorbereitung etwas besser abstimmen müssen.“
Petra Maier von der Pädagogischen Hochschule Freiburg sagt: „Das Feedback unserer Studierenden nach dem Workshop war äußerst positiv. Vor allem die persönliche Begegnung und die individuellen Lebens- und Bildungserfahrungen der Bildungsfachkräfte, besonders in den Sonderschulen und Werkstätten für behinderte Menschen, haben unsere angehenden Lehrkräfte im Nachgang noch sehr beschäftigt. Ich freue mich sehr über diese gelungene Auftaktveranstaltung für unsere künftige Kooperation mit dem AW-ZIB der PH Heidelberg.“
Alle Lehrenden haben sich darauf verständigt, das Format weiterzuentwickeln und im Sommersemester 2026 erneut anzubieten.
[lk, nh] Susann Bensch und Louisa Kabbe starteten im Sommersemester 2025 in ihr letztes Qualifizierungssemester. Im Rahmen einer Modulprüfung haben die beiden Qualifizierungsteilnehmerinnen gemeinsam mit Qualifizierungsleitung Noemi Heister und Bildungsfachkraft Helmuth Pflantzer zwei Seminarsitzungen gestaltet und gemeinsam ausgebracht. Die Studierende haben sich an Thementischen zu den drei Schwerpunkten Selbstbestimmung, Empowerment und Assistenz mit jeweils einer (angehenden) Bildungsfachkraft ausgetauscht.
Noemi Heister beschreibt das Seminar wie folgt: „Mein Highlight war das gemeinsam geplante und gehaltene Seminar zu den Themen Selbstbestimmung, Empowerment und Assistenz vor dem Hintergrund des Films Crip Camp. Ich war sehr stolz, wie toll Susann und Louisa ihre Thementische geleitet haben. Sie konnten zeigen, was sie in der Qualifizierung bereits alles gelernt haben. Auch der Austausch nach den anschließenden Erfahrungsberichten zu den Themenschwerpunkten war total gewinnbringend. Jede Person konnte unterschiedliche Methoden nutzen (Bilder, PowerPoint-Präsentation, frei aus dem Kopf heraus), um ihre Erfahrungen mit den Themen vorzustellen.“
Louisa Kabbe ergänzt: „Das Seminar, was wir zusammen geplant, gehalten und reflektiert haben, fand ich super. Ich fand toll, wie die Studierenden uns zugehört haben und wie ich meine Rolle als Bildungsfachkraft ausgefüllt habe. Die Studierenden haben mich in meiner Rolle als Lehrperson anerkannt.“
Und was meinen die Studierenden? Die haben das Seminar positiv beurteilt: „Die Sitzung mit Frau Bensch, Frau Kabbe und Herrn Pflantzer hat mich positiv überrascht und mir großen Mut für die Zukunft gemacht. Ich fand es total toll zu sehen, wie gut vorbereitet alle waren und sich gegenseitig unterstützt haben, wenn einer gerade nicht mitbekommen hat, dass er oder sie dran ist. Die Aufteilung der Redeanteile und die geplante Gruppenarbeit schienen mir sehr gut durchgeplant und gewinnbringend für alle Beteiligten. Zudem hat die zeitliche Planung perfekt gepasst und wir hatten noch die Möglichkeit, persönliche Fragen an das Expertenteam zu stellen.“
Eine weitere Studentin ergänzt: „Wie es in der Praxis funktionieren kann, nicht nur über Menschen mit Beeinträchtigung zu sprechen, sondern die Experten für diese Themen "mit am Tisch" sitzen zu haben und gemeinsam Themen zu erarbeiten, ist den Dreien zu 100% gelungen.“
[sb, lk, nh] Susann Bensch und Louisa Kabbe haben von Oktober 2022 bis Ende September 2025 am AW-ZIB die Qualifizierung zur Bildungsfachkraft absolviert. Sie haben in den drei Jahren viel gelernt – zum Beispiel ihre Teilhabe- und Ausgrenzungserfahrungen aus unterschiedlichen Lebensbereichen zu reflektieren, einzuordnen und darüber zu berichten. Gemeinsam mit Qualifizierungsleitung Noemi Heister blicken sie zurück auf die Qualifizierung und ihren Übergang zu qualifizierten Bildungsfachkräften.
Vor der Abschlussprüfung – Gedanken an das Ende der Qualifizierung
Noemi Heister: Susann und Louisa planen für ihre Abschlussprüfung eigenverantwortlich ein Bildungsangebot. Sie haben sich für das Thema Lernerfahrung entschieden. Es ist toll zu sehen, wie die Bildungsfachkräfte die beiden in der Vorbereitung unterstützen. So sprechen sie gemeinsam den Ablaufplan durch, weisen auf mögliche Herausforderungen hin und reflektieren gemeinsam die Erfahrungsberichte. Man merkt, dass die beiden im Laufe der drei Jahre Teil eines wertschätzenden Teams geworden sind und sich alle gegenseitig unterstützen.
Louisa Kabbe: Wir bereiten uns gerade auf unsere Abschluss-Prüfung im 6. Semester vor. Da ist das Schreiben von den Texten und die Vorbereitung auf die Prüfung anstrengend. Das verlangt mir meine ganze Konzentration und Geduld ab. Ich fühle mich unsicher. Ich hoffe, dass wir an alles denken und das Bildungsangebot gut vorstellen können. Ich muss noch etwas üben, aber wir haben noch Zeit. Wir müssen uns gut organisieren. Ich mache mir auch etwas Sorgen, wenn die Qualifizierung vorbei ist. Ich brauche bestimmt Zeit, um mich umzugewöhnen und die Qualifizierung loszulassen.
Susann Bensch: Mir fällt schwer, dass die Qualifizierung bald vorbei ist. Auf der einen Seite freue ich mich Bildungsfachkraft zu sein und mit den Kollegen enger zusammenzuarbeiten. Auf der anderen Seite weiß ich nicht, wie es sein wird.
Nach der Abschlussprüfung – der Transitionsprozess
Louisa Kabbe: Als Bildungsfachkraft übernehmen wir mehr Verantwortung für unsere Arbeit. Ich kann dann selbstständig Bildungsangebote halten, darauf freue ich mich sehr. Ich organisiere dann Termine und muss nicht immer nachfragen, wann die Bildungsfachkräfte proben und ob ich dazu kann. Ich bekomme ein größeres Büro. Ich bin sehr stolz auf mich, dass ich die Qualifizierung geschafft habe. Meine Familie ist auch stolz auf mich. Ich habe das Gefühl, dass ich mit meiner Arbeit etwas verändern kann.
Ich freue mich, dass ich mit den Bildungsfachkräfte-Kollegen weiter arbeiten kann. Ich freue mich, dass ich mich mit den Kollegen austauschen kann. Wir werden gut von den Bildungsfachkräften und den Assistenzen unterstützt. Sie hören unsere Sorgen an und sprechen uns Mut zu. Mir gibt das Team und die Räumlichkeiten Sicherheit. Ich höre vertraute Stimmen und kann mich gut orientieren.
Susann Bensch: Ich mache mir Sorgen, dass die Arbeit so schwer ist. Ich habe Angst, dass ich die dann nicht gut machen kann. Ich werde aber von den Assistenzen unterstützt. Mir gibt das ganze Team und der Wochenplan Sicherheit. Ich habe die Kollegen gut kennengelernt und ich vertraue dem Team. Auch meine Familie unterstützt mich. Sie hören meine Sorgen an und sagen, dass ich positiv denken soll.
Ein Rückblick auf die Qualifizierung
Louisa Kabbe: Wir haben uns mit Fake News beschäftigt. Und mit sozialen Medien. Wir hatten aber auch noch andere Lerneinheiten, z.B. zum Thema Transition oder Partizipation. Am Anfang konnte ich die Fachwörter gar nicht aussprechen. Wir haben auch gelernt, gut zusammen im Team zu arbeiten. Wir sind richtig zusammengewachsen und unterstützen uns gegenseitig.
Für mich war das schönste Semester das Praxissemester. Das hatten wir im 4. Semester. Da haben wir am meisten gelernt, z.B. wie man ein Seminar plant und hält. Wir haben gelernt, dass es verschiedene Schritte gibt, um ein Seminar zu planen und zu gestalten. Mir hat es total gut gefallen, zu den Studierenden Kontakt aufzunehmen. Wir haben immer wieder neue Sachen dazugelernt. Bildung geht ein Leben lang. Unser Mut ist immer mehr gewachsen. Wir trauen uns, mit Studierenden in den Austausch zu gehen und über unsere Erfahrungen zu sprechen. Wir wurden da konkret auf den Job der Bildungsfachkraft vorbereitet.
Susann Bensch: Mir ist vor allem die Lerneinheit Biographiearbeit im Kopf geblieben. Da ging es um unseren Lebenslauf. Wir haben viele Fotos mitgebracht und haben uns die Fotos gemeinsam angeschaut. Wir haben über unser Leben und über unsere Erfahrungen gesprochen. Ich erinnere mich auch noch an die Lerneinheit Bildung. Das war im 1. Qualifizierungssemester. Ich erinnere mich noch an Klafki und Humboldt.
Am meisten Spaß gemacht hat mir das Halten von Bildungsangeboten mit den Bildungsfachkräfte-Kollegen im Trio. Ich erinnere mich noch genau an ein Bildungsangebot, was wir in Ludwigsburg mit Thilo und Thorsten gemacht haben. Das Thema war Lernerfahrungen. Ich habe mich da getraut, den Studierenden in die Augen zu schauen. Ich habe auch gelernt, dass ich mich auf meine Team-Kolleg:innen verlassen kann. Ich habe Vertrauen zu unserem Team gefasst. Ich traue mich mehr, über mich und meine Erfahrungen zu sprechen.
Noemi Heister: Wenn ich die letzten 3 Jahre Revue passieren lasse, bin ich beeindruckt, welche Entwicklung die beiden hingelegt haben. Sie sind in die Rolle der Lehrperson schrittweise reingewachsen und stehen nun wie selbstverständlich vor einer großen Gruppe von Studierenden und leiten das Seminar. Sie berichten selbstbewusst von ihren erlebten Erfahrungen und regen Reflexionsprozesse im Austausch mit Studierenden an. Wenn ich bedenke, dass am Anfang die Nervosität so groß war, dass die beiden nur schwer über ihre Erfahrungen sprechen konnten, machen sie dies nun ganz souverän. Auch die Einordnung und Verknüpfung mit Theoriewissen gelingt ihnen zunehmend. Auf dieser Grundlage durchdenken sie ihre Erfahrungen nochmal neu. Diese Entwicklung zu sehen, ist großartig.
Ein Blick nach vorne
Louisa Kabbe: Ich nehme für die Zukunft mit, dass ich Verantwortung für meine Arbeit habe. Ich bin froh, dass ich die Entscheidung getroffen habe, die Qualifizierung zu machen. Auch wenn ich am Anfang nicht wusste, wie es wird, bin ich froh, dass ich mich zu diesem Schritt entschieden habe. Ich nehme für meine Zukunft mit, öfter mal mutig zu sein. Ich nehme auch mit, dass Kommunikation wichtig ist und es nicht schlimm ist, um Hilfe zu fragen.
Susann Bensch: Ich nehme mit, dass ich mich öfter trauen kann mit anderen zu sprechen und mich auszutauschen. Am Anfang ist es mir total schwergefallen, über meine Erfahrungen als Mensch mit Behinderung zu sprechen. Das fällt mir jetzt schon leichter.
Seit Oktober sind Susann Bensch und Louisa Kabbe Teil des Bildungsfachkräfte-Teams. Am 6. Oktober 2025 feierte das AW-ZIB gemeinsam mit Angehörigen der beiden den Abschluss der Qualifizierung. Rektorin Karin Vach überreichte Zertifikate und Büroschlüssel, die Teammitglieder des AW-ZIB teilten mit Susann Bensch und Louisa Kabbe Erinnerungen an die vergangenen Jahre.
[ak] Der Zeitwächter lässt nicht mit sich handeln. „Fünf Minuten Gruppenarbeit sind um“, kündigt Bildungsfachkraft Thorsten Lihl an und die Moderation leitet zum nächsten Tagesordnungspunkt über. Niemand widerspricht oder reagiert gestresst - das Forschungsplenum kennt die Regeln und arbeitet sich diszipliniert durchs Programm. Ergebnisse werden sofort festgehalten. Sind alle auf demselben Stand und einverstanden? Wer Klärungsbedarf hat, signalisiert dies mit einer roten Karte. Am Ende der Sitzung werden die nächsten Schritte festgelegt und mit Feedback-Karten wird das heutige Treffen reflektiert.
Es ist ein besonderes Forum, das wöchentlich an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg tagt: Wissenschaftler:innen, Studierende und Bildungsfachkräfte des AW-ZIB treffen sich hier regelmäßig, um gemeinsame Forschungsprojekte zu besprechen.
Derzeit sind zwei von vier qualifizierten Bildungsfachkräften als Ko-Forschende im Forschungsplenum aktiv – sie entscheiden selbständig, an welchen Forschungsthemen sie mitarbeiten möchten. Das Konzept der "Partizipativen Forschung" ist in der Wissenschaft gerade aktuell: Menschen sind nicht nur Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, sondern arbeiten gleichberechtigt mit, bringen ihre Erfahrungen ein und erhöhen so die Qualität der Forschung. Die Teilhabe am Forschungsprozess soll wiederum zu mehr gesellschaftlicher Teilhabe führen.
Soviel zur Theorie, aber wie funktioniert dies in der Praxis? Das Forschungsplenum erarbeitete dazu ein eigenes Konzept und baute gemeinsam forschungsmethodische Kompetenzen auf. Nach dem Prinzip der "Forschungsspirale" werden zusammen Fragestellungen entwickelt, bearbeitet und ausgewertet – und das erste Projekt lotete aus, wie inklusive Teams gut zusammenarbeiten können.
„Durch die unterschiedlichen Voraussetzungen der Beteiligten, gehe es auch um Machtfragen“, sagt Professorin Dr. Karin Terfloth, die das AW-ZIB gemeinsam mit Professorin Dr. Vera Heyl leitet. „Wer treibt Entscheidungen voran und beeinflusst die Gruppendynamik?" Um einer Übervorteilung vorzubeugen, gab sich das Plenum klare Regeln: Beispielsweise wird in einfacher Sprache kommuniziert. Zeitwächter:innen und Entscheidungswächter:innen achten auf die Abläufe und darauf, dass niemand übergangen wird. Und die Publikation zum ersten Projekt wurde in einfacher Sprache und mit barrierefreier Hörversion veröffentlicht.
Inklusion als Lernprozess
Das selbstkritische Reflektieren gehört ohne Zweifel zur DNA des Zentrums, wie die aktuelle Forschungsfrage zeigt: Wie sieht sich das AW-ZIB selbst und wie wird es von außen wahrgenommen? Das dazu entwickelte Motto "Inklusiv - Kompetent - Bedeutsam" verglichen die Forschenden mit Aussagen von Lehrenden und Studierenden über das AW-ZIB und seine Arbeit.
Im Ergebnis berichten sie, sei die angezielte Außenwirkung bestätigt worden. „Wir wurden ermutigt, weiterzumachen und unseren Wirkungskreis auch auf Schulen und Unternehmen auszuweiten“, erzählt Terfloth. Zu den kritischen Punkten gehört, dass die Bildungsangebote mit Bildungsfachkräften scheinbar nicht immer ausreichend im Seminar vor- und nachbearbeitet werden – bei den Studierenden bleibe so manchmal der Eindruck ungelöster Inklusions-Probleme. Das Plenum schlägt deshalb vor, die Bildungsangebote künftig noch lösungsorientierter zu gestalten. Denkbar sei auch, in neuen Formaten häufiger als inklusives Team aufzutreten. Zunächst soll aber die Datenbasis vergrößert werden, weitere Befragungen sind geplant.
Zum Abschluss werden die Rollen für die nächste Sitzung verteilt. Aufgaben wie die Moderation und Zeitwächter:innen rotieren. Gleichzeitig habe man gelernt, Arbeitsteilung gezielt einzusetzen, sagt Vera Heyl. „So können alle ihre jeweiligen Kompetenzen einbringen.“ Dabei ist jeder Beitrag wertvoll. „Im Forschungsplenum sind alle gleichwertig, das schätze ich“, sagt Bildungsfachkraft Thorsten Lihl. „Die Arbeit hier hat mir gezeigt, dass inklusive Forschung ein notwendiger Schritt hin zu einer Gesellschaft ist, in der Inklusion als selbstverständlich gilt“, erzählt Sonderpädagogik-Studentin Hannah Brathuhn. Und auch Wissenschaftlerin Heyl sieht die Arbeitsgruppe „auf einem guten Weg, um produktiv miteinander zu arbeiten“. Ohnehin befinde sich die gemeinsame Forschung wie auch das AW-ZIB in einem ständigen Lernprozess.
Was beim Thema Teilhabe wohl für alle gilt: Inklusion dauerhaft in sämtlichen Lebensbereichen zu verankern, ist ein Lernprozess für die gesamte Gesellschaft. Projekte wie das Forschungsplenum des AW-ZIB leben vor, was möglich wird, wenn Ressourcen, Zeit und der Wille da sind. Für Studentin Hannah Brathuhn hat das Vorbildfunktion: „Wenn wir hier schaffen, so viele unterschiedliche Sichtweisen zusammenbringen, dann können wir es auch als Gesellschaft schaffen, Inklusion zu leben.“
Mehr zur partizipativen Forschung finden Sie auf der
Text: Antje Karbe
[ss] Im Rahmen eines Buchprojekts der Universität Leipzig haben wir uns als Team des Forschungsplenums des Annelie-Wellensiek-Zentrums für Inklusive Bildung (AW-ZIB) mit der Frage auseinandergesetzt: Wie wird unsere Arbeit an Hochschulen wahrgenommen – als inklusiv, kompetent und bedeutsam?
Die Leipziger Forschungsgruppe hat sich mit kritischen Perspektiven auf Partizipation und Macht in der Lehre beschäftigt. Sie hat uns eingeladen, einen Beitrag für ihr Buch zu schreiben. Das haben wir gerne angenommen – nicht nur, um Einblicke in unsere Arbeit zu geben, sondern auch, um selbst zu lernen:
Wie sehen uns Studierende und Lehrende? Wird Erfahrungswissen wertgeschätzt? Und wie können wir unsere Wirkung nach außen weiter verbessern?
Unsere Forschungsfragen:
Im Mittelpunkt standen dabei drei zentrale Themen:
Wie nehmen Lehrende und Studierende das AW-ZIB und unsere Arbeit wahr?
Welche Bedeutung hat das Erfahrungswissen von Bildungsfachkräften für die Lehre?
Werden die Bildungsfachkräfte als gleichberechtigte Lehrpersonen gesehen?
So sind wir vorgegangen:
Das gesamte Forschungsprojekt wurde im Forschungsplenum des AW-ZIB besprochen. Um alle interessierten Mitglieder des AW-ZIB an der Forschung zu beteiligen, haben wir weitere Kolleg:innen in das Forschungsplenum eingeladen. In zwei Gruppen haben wir dann die Sichtweisen von Studierenden und Lehrenden erhoben und qualitativ ausgewertet:
Die Sichtweise der Studierenden wurde aus deren Reflexionen nach Bildungsangeboten und aus Interviewmaterial einer bereits abgeschlossenen Studie herausgearbeitet. Um die Perspektive der Lehrenden zu erheben, führten wir Einzelinterviews via Zoom durch. Dafür nutzten wir einen von uns entwickelten Leitfaden. Stephanie Schleer, Doktorandin am AW-ZIB sagt dazu: „Besonders spannend fand ich, die Interviews mit den Lehrenden zu führen. Dadurch haben wir noch einmal einen ganz anderen Blickwinkel auf unsere Arbeit am AW-ZIB bekommen.“
Das gesamte Datenmaterial haben wir sorgfältig qualitativ ausgewertet und die Ergebnisse in einem gemeinsamen Text zusammengeführt. Den entstandenen Text haben wir anschließend mit Hilfe von KI nach Regeln der einfachen Sprache überarbeiten lassen und das Ergebnis nochmal selbst überarbeitet.
Was uns überrascht hat:
Einige Ergebnisse haben uns nachdenklich gemacht. So waren wir erstaunt, dass manche Studierende Sorge hatten, die Bildungsfachkräfte könnten in den Lehrveranstaltungen "vorgeführt" werden. Vielleicht war ihre Rolle als Lehrende für sie nicht ganz klar.
Auch bei den Lehrenden gab es überraschende Rückmeldungen: Einige denken Inklusion sehr einseitig – oft wird Inklusion auf das Thema Behinderung beschränkt. Wir finden: Inklusion ist viel mehr. Auch Bildungsfachkraft Thorsten Lihl meint dazu: „Inklusion bezieht sich doch auf alle Lebensbereiche und sollte umfassend verstanden werden.“
Auch werden wir noch nicht wirklich als inklusives Team wahrgenommen. Daran wollen wir weiterarbeiten.
Was wir daraus lernen:
Wir sehen, dass wir uns an die jeweilige Zielgruppe angepasst vorstellen und klarer erklären sollten, wer wir sind, welchen beruflichen Hintergrund wir haben – und welche Rolle wir in der Lehre übernehmen. Wir sind ein inklusives Team mit verschiedenen Werdegängen und verschiedenen Erfahrungen. Das macht uns aus. Dabei wollen wir betonen, dass Inklusion mehr bedeutet, als nur Barrieren für Menschen mit Behinderungen abzubauen. Es geht auch um Teilhabe, Vielfalt und gegenseitigen Respekt.
Thorsten Lihl und Thilo Krahnke ergänzen dazu: „In manchen Lehrveranstaltungen werden wir als Bildungsfachkräfte mit „du“ angesprochen. Wir möchten jedoch mit „Sie“ angesprochen werden, da wir in den Veranstaltungen die Rolle der Lehrperson einnehmen. Wenn wir mit „Sie“ angesprochen werden, zeigt das, dass uns die Studierenden und Dozierenden respektieren. Das hilft bei einer professionellen Zusammenarbeit.“
Das nehmen wir mit:
Wir freuen uns sehr, dass viele Rückmeldungen unsere Arbeit wertschätzen: Die Arbeit des AW-ZIB wird von Studierenden und Lehrenden als bedeutsam wahrgenommen, der Austausch als bereichernd empfunden und unsere Kompetenz als Lehrende wird anerkannt. Dass wir uns inhaltlich auf Augenhöhe begegnen, empfinden wir als starkes Zeichen dafür, dass Partizipation in der Hochschullehre gelingen kann.
Es hat sich aber auch gezeigt, dass wir in unserer Außendarstellung noch klarer zeigen müssen, dass wir ein inklusives, vielfältiges Team sind – und dass Qualifizierung und Kompetenz bei uns großgeschrieben werden. Thorsten Lihl sagt dazu: „Mir macht es Spaß, bei uns im Team zu arbeiten. Ich habe das Gefühl, wir begegnen uns untereinander auf Augenhöhe. Das ist wichtig für ein inklusives Team und zeichnet uns aus.“
Diese Ergebnisse sind für uns Bestärkung und Auftrag zugleich: Wir wollen das Team der Bildungsfachkräfte weiter ausbauen, neue Lehrformate erproben – und Inklusion in der Hochschule weiterhin aktiv mitgestalten.
„Nicht die Gehörlosigkeit behindert, sondern das Umgehen der Gesellschaft mit diesem Thema." Dieses Fazit zog SPD-Politikerin Heike Heubach in ihrem Grußwort auf der Bodenseeländertagung 2025 (BOTA) in Friedrichshafen. Die erste gehörlose Abgeordnete im Deutschen Bundestag war Schirmherrin der Fachtagung, die von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg mit ausgerichtet wurde.
Unter dem Motto "Segel setzen – Professionell handeln" tauschten sich vom 23. bis 25. April 2025 rund 200 Menschen mit und ohne Hörbehinderung zu aktuellen Entwicklungen im Bereich "Hören und Kommunikation" aus. Sie kamen aus den Bereichen Schule, Beruf, Hochschule, Seminarausbildung, Hörtechnik, Politik und Gesellschaft.
PHHD richtet Fachtagung mit aus und beteiligt sich aktiv
Forscher:innen des Instituts für Sonderpädagogik der PHHD waren mit Vorträgen und Workshops an der Programmgestaltung beteiligt. So skizzierte Professor Dr. Johannes Hennies im Eröffnungsvortrag fachliche Perspektiven "über sich wandelnde Zeiten". Professor Dr. Florian Kramer sprach in seiner Keynote über herausforderndes Verhalten von Schüler:innen mit Hörbehinderung und Dr. Anja Gutjahr, Dr. Barbara Bogner sowie Ann-Kathrin Böhm gestalteten einen Workshop zu digitaler, barrierefreier Lehre.
Der Wandel zugunsten tauber Menschen hat erst seit etwa einem Jahrzehnt richtig Fahrt aufgenommen, wie Hennies sagte. Seitdem würden Mehrsprachlichkeit und die Verwendung von Gebärdensprache als Ziele ernst genommen. „Hier tragen auch Schulen und Hochschulen eine historische Verantwortung, die sich lange wenig bis gar nicht für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit einer Hörbehinderung eingesetzt haben“, meinte Hennies. „Heute haben Kinder mit einer Hörbehinderung deutlich bessere Bildungschancen und damit auch die Chance auf Teilhabe an der Gesellschaft.“
Bodenseeländertagung als Forum zu Hörbehinderung
Die BOTA findet seit 1956 alle drei Jahre in einem der an den Bodensee grenzenden Staaten bzw. Bundesländer statt. Sie bietet ein länderübergreifendes Forum für Themen aus den Bereichen Bildung, Förderung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit einer Hörbehinderung. Ziel ist es, die Interessen von Menschen mit Hörbehinderung zu wahren und ihnen bestmögliche Entwicklungs- und Teilhabechancen bereitzustellen.
"Segel setzen – Professionell handeln", mit diesem Anspruch setze sich der BDH-Berufs- und Fachverband Hören und Kommunikation für die Teilhabe junger Menschen mit Hörbehinderung ein, so Christiane Stöppler, Vorsitzende des ausrichtenden BDH-Landesverbandes Baden-Württemberg. Wie alle Vorträge wurde ihre Eröffnung von Dolmetscherinnen in die Deutsche Gebärdensprache (DGS) übersetzt. Bei Schirmherrin MdB Heike Heubach lief die Übersetzung selbstverständlich umgekehrt, von DGS in Lautsprache. Inklusion sei nicht teuer, wenn sie von Anfang an mitgedacht würde, konstatierte die SPD-Politikerin. „Auch das Bildungswesen muss so ausgestattet sein, dass jeder seinen Platz findet und eine echte Chance hat, seine Talente und sein Können in die Gesellschaft einzubringen.“
Gelebte Teilhabe auf dem Podium
Dass bei der Podiumsdiskussion erstmals die Vertreter:innen der Gemeinschaft tauber Menschen auf dem Podium in der Überzahl waren, sei ein gutes Zeichen und habe ihn gefreut, sagte Hennies. „Das zeigt, wie gut sich die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure entwickelt hat."
Quelle: BDH-Landesverband Baden-Württemberg
Redaktion: Antje Karbe
Louis Braille war genügsam. Er erlaube sich hiermit, seine bescheidene Erfindung vorzustellen, warb er vor rund 200 Jahren für ein neues Schriftsystem. Es sollte blinden Menschen das Lesen durch Tasten ermöglichen und war so einfach wie genial: Braille nutzte eine Zelle mit sechs Punkten (je drei Zeilen aus zwei Punkten), um darauf erhabene Punkte anzuordnen. 64 unterschiedliche Kombinationen konnten so mit den Fingerspitzen ertastet werden und standen für unterschiedliche Buchstaben, Zahlen und Zeichen.
Der gerade mal 15 Jahre alte Franzose ahnte 1825 nicht, dass er soeben eine Revolution für die Bildung blinder Menschen losgetreten hatte: Heute wird die Brailleschrift als weltweit anerkanntes System verwendet. „Diese Erfindung hat die Teilhabe-Möglichkeiten für Menschen mit Blindheit revolutioniert und ist noch immer Herzstück der Blindenpädagogik“, sagt Professor Dr. Markus Lang, der seit mehr als 20 Jahren an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg zum Förderschwerpunkt "Lernen bei Blindheit und Sehbeeinträchtigung" lehrt und forscht.
"Battle of the Dots"
Die Brailleschrift wurde zum Gamechanger, wie man heute sagt, wenn auch mit Verzögerung. „Sehende Blindenlehrer:innen waren das größte Hemmnis bei der Durchsetzung", erzählt Lang. Während blinde Menschen die Schrift trotz Verbots nutzten, verwendeten damalige Blindenschulen Schwarzschrift – die Schrift der Sehenden – in erhabenen Buchstaben. „Mit begrenztem Erfolg, man geht davon aus, dass höchstens ein Drittel der Schüler:innen mehr schlecht als recht Lesen lernte“, sagt Lang.
Dennoch wischte der Pionier des Blindenunterrichts, dem Braille seine Idee vorlegte, diese erstmal vom Tisch: Johann Wilhelm Klein fürchtete, eine eigene Schrift würde blinde Menschen weiter isolieren. „Im Grunde war das sozial-integrativ gedacht“, sagt Lang, „aber es verkannte, dass sich mit dem taktilen Punktschriftsystem besser Lesen und Schreiben lernen ließ.“
Erst 1879 mehr als 50 Jahre später, war die Brailleschrift offiziell in Deutschland zugelassen. Nach einer regelrechten "Battle of the Dots" einigte man sich international schließlich auf die original Brailleschrift als einheitliches System. Heute sei das Argument der "Isolation" leichter auszuhebeln, sagt Lang augenzwinkernd. „Einem Computer ist es nämlich egal, ob er visuelle Buchstaben oder Brailleschrift anzeigt, der zugrundeliegende Code ist derselbe.“ Und so kommt die digitale Barrierefreiheit einer zweiten Revolution gleich, denn jedes digitale Werk – ob Medienberichte oder Weltliteratur – kann heute auch in Brailleschrift umgewandelt oder vorgelesen werden.
Immer noch unverzichtbar
Ist es dann überhaupt noch wichtig, die übungsintensive Brailleschrift zu beherrschen? Wissenschaftler Lang ist zutiefst davon überzeugt und konnte dies auch mit der Studie "Zukunft der Brailleschrift" (ZuBra) belegen: Gemeinsam mit Kolleg:innen der interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich wurden von 2015 bis 2018 Daten zum Nutzungsverhalten von mehr als 800 Braille-Leser:innen erhoben, die zwischen 6 und 89 Jahren alt waren. In einer ergänzenden Studie überprüfte man die Lese- und Schreibkompetenzen von 190 Menschen aus derselben Zielgruppe.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Brailleschrift für blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen unverzichtbar bleibt, und heute oft in Kombination mit Sprachausgaben genutzt wird. Die Vorteile ergänzen sich: Die Hörgeschwindigkeit ist deutlich höher als das Lesen von Brailleschrift, dafür ermöglicht Lesen ein tieferes Verständnis eines Textes als Hören. Während lesekompetente Sehende im Schnitt 350 Wörter pro Minute lesen können, kämen gute Braille-Leser:innen auf etwa 100 Wörter, sagt Lang. „Das kombinierte Lesen und Hören beschleunigt deutlich.“ Die Studie zeige aber auch, dass man beides üben müsse und so früh wie möglich damit beginnen sollte.
Um dies noch attraktiver zu machen, entwickeln Lang und Kolleg:innen in weiteren Projekten Lernmaterialien zur Tastförderung von Kindern sowie inklusive Lesematerialien. Letztere führen mit den Geschichten von "Alex und Lilani" sehende wie auch blinde Vorschulkinder an den Schrifterwerb heran. Die bunten Hefte wurden von Designer:innen der Hochschule der Künste Bern gestaltet und 2023 mit dem "New York Product Design Award" in Silber ausgezeichnet. „Es ist unser großes Anliegen, die Brailleschrift aus dem verstaubten Image zu holen“, so Sonderpädagoge Lang. „Wir wollten Hingucker, mit denen sich auch Sehende gerne befassen. Diese Begeisterung kann sich wieder auf Kinder übertragen.“
Die Heftreihe ist mittlerweile zu kaufen und wird von Frühförderstellen und Schulen verwendet. Internationale Kolleg:innen haben zudem Interesse an einer niederländischen sowie einer japanischen Version bekundet, und auch mit den USA ist man im Gespräch. Eine Reichweite, auf die das Team ein wenig stolz ist – genauso wie auf die Tatsache, dass ZuBra bislang die weltweit größte Studie zur Brailleschrift ist.
Mit modernsten Technologien kompatibel
Die Vision von Markus Lang und seinen Mitstreiter:innen geht noch weiter. „Wir wollen die Brailleschrift aus der Nische holen und ihr größere Sichtbarkeit im Alltag verschaffen“, sagt der Sonderpädagoge, den das Thema in mehr als 20 Jahren als Lehrer und Wissenschaftler nie losgelassen hat. So wie auch ein gemeinsamer (Schul)alltag vermutlich das beste Instrument sei, um das Zusammenleben zur Normalität werden zu lassen.
Den Studierenden bzw. angehenden Lehrkräften der PHHD will er vorleben, dass sich dabei ein neuer Blick auf die Dinge lohnt: Zum einen auf die Leistung sehbehinderter und blinder Menschen, die eine außergewöhnlich hohe Gedächtnisleistung brauchten, um sich in Schule und Alltagsleben zurechtzufinden. Zum anderen darauf, dass in inklusiven Klassen alle Kinder profitieren könnten. „Ein Text, den ich für ein:e blinde Schüler:in vereinfache oder kürze, kommt auch Kindern mit anderem Förderbedarf zugute. In diesem Sinne sollte man Inklusion nicht nur als Mehraufwand sehen, sondern als Gewinn für Alle.“
Um überhaupt bis hierhin zu kommen, brauchte es Entwicklungen wie die von Louis Braille, der früh verstarb und den Siegeszug seiner Schrift nicht mehr erlebte. Geehrt wurde er dafür erst 100 Jahre nach seinem Tod, als man ihn in Frankreichs Ruhmeshalle, das Panthéon, überführte. „Ich finde es phänomenal, dass vor 200 Jahren etwas erfunden wurde, das jede technische Entwicklung mitgehen kann“, sagt Lang. Begonnen habe es mit einem einfachen Stichel, mit dem jeder Punkt einzeln ins Papier gedrückt wurde. Heute sei das taktile Schriftsystem mit modernsten Technologien kompatibel, so Lang. "Hätte man Braille nicht schon einen Platz im Pantheon zugedacht, man müsste ihn zum 200-jährigen Jubiläum seiner Erfindung glatt adeln."
Weitere Informationen finden Sie unter
Text: Antje Karbe
Trotz ihrer wichtigen Rolle in Familien sind Geschwister von Menschen mit Behinderungen bislang kaum erforscht oder sichtbar. Studien, Erfahrungsberichte und Unterstützungsangebote sind rar – vor allem für Erwachsene. An der Stelle möchte
Auch die
- Susann Bensch [sb]
- Noemi Heister [nh]
- Louisa Kabbe [lk]
- Florian Kollmann [fk]
- Thilo Krahnke [tk]
- Sarah Maier [sm]
- Anna Neff [an]
- Helmuth Pflantzer [hp]
- Ute Raible [ur]
- Nina Rudolph [nr]
- Stephanie Schleer [ss]
- Karin Terfloth [kt]