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Sie lehrt das Sehen mit den Fingern

Als blinde Dozentin bringt Beate von Malottki Studierenden der PHHD die Brailleschrift bei und vermittelt, was echte Teilhabe bedeutet.

 

Als Beate von Malottki in der Grundschulklasse ihres Sohnes "Pippi feiert Weihnachten" vorlas, dachten die Kinder erst, sie zaubere. Bei Kerzenschein ertastete sie die Geschichte von Astrid Lindgren auf dem Papier: Beate von Malottki liest Brailleschrift, sie ist seit ihrem sechsten Lebensjahr blind. “Mein Sohn war hinterher sehr stolz”, erinnert sie sich heute lächelnd.

Einen quirligen Jungen großzuziehen, der nicht immer brav an ihrer Hand laufen wollte, ist nur eine von vielen Herausforderungen, die die heute 64-Jährige meisterte. Obwohl sie als Mädchen nach einer Hirnhautentzündung allmählich erblindete, besuchte sie in ihrem Geburtsland Polen die ersten drei Grundschulklassen einer Regelschule. Um Schreiben zu lernen führte ihr die Mutter die Hand, Lesetexte lernte sie vorher Zuhause auswendig.

Sie war zehn Jahre alt, als die Familie nach Deutschland auswanderte, hier erlernte sie die Blindenschrift. Weitere Unterstützung für den Alltag kam im Lauf der Jahre dazu: Der Blinden-Langstock zum Laufen, beispielsweise, wie sie erzählt. "Das begann erst in den 70er Jahren, da war ich 17." Ihr Abitur absolvierte sie Anfang der 80er Jahre in Marburg, am damals einzigen Gymnasium bundesweit für blinde und sehbehinderte Menschen.

Anschließend studierte sie osteuropäische Geschichte, Polnisch und Russisch. Die Literatur dazu sprachen Kommilitonen und Kommilitoninnen ihr auf Kassetten, gegen eine staatlich finanzierte Entlohnung. Sie nutzte die damals gängigen Schreibmaschinen und ließ Korrekturen von anderen durchführen. Das sei durchaus anstrengend gewesen, sagt sie heute. Auch habe ihr ohne eigenen Zugriff auf Bücher nur das Minimum an Literatur zur Verfügung gestanden. “Irgendwie ging es immer, aber man muss den Willen haben, das alles durchzustehen.”

Immerhin erhielt sie als erste Studentin Deutschlands einen Computer, auf dem sie ihre Magisterprüfung ablegen konnte. Heute sind die Möglichkeiten dank Digitalisierung ganz andere: Nahezu alle Bücher und Medien lassen sich durch eine Sprachausgabe vorlesen. Alternativ kann ein spezielles Display – die Braillezeile - Texte in Blindenschrift umsetzen und so ein Mitlesen ermöglichen.

Es ist wichtig, selbst Texte lesen zu können”

Beate von Malottki trägt immer eine Taschenausgabe der Braillezeile bei sich. Hier speichert sie alle Informationen zu ihrem aktuellen Beruf an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg: Als Dozentin bringt sie Studierenden der Sonderpädagogik die Brailleschrift bei. Im Hauptberuf recherchiert sie Informationen für einen Messeveranstalter in Mannheim – an der PH hat sie seit 2008 nahezu drei Generationen von Lehrkräften für den Umgang mit der Blindenschrift geschult.

Die sechs Schreibtasten auf ihrer Braillezeile entsprechen den sechs Punkten der klassischen Brailleschrift. Sie werden je nach Buchstaben und Zeichen unterschiedlich kombiniert und als Erhebungen auf der Braillezeile oder auf Papier ertastet. Lehrkräfte müssen zudem die Computer-Brailleschrift kennen, die auf acht Punkten basiert. 1986 wurden der Brailleschrift hierfür zwei Punkte hinzugefügt, um mehr Zeichen darstellen zu können. Zusätzlich gibt es eine Kurzschrift-Version, die einzelne Zeichen für Lautgruppen wie beispielsweise "au" vorhält oder Wortkürzungen wie "D für Das".

"Es dauert, dies alles zu lernen und zu üben", sagt von Malottki. Die 6-Punkte-Brailleschrift sei für sie stets Grundlage, auch wenn Schulen die Computerbraille bevorzugten. “Ich finde es wichtig, sich nicht nur alles auf dem PC vorlesen zu lassen, sondern auch selbst Texte lesen zu können. Als ich beispielsweise meinem Sohn den ersten Band von Harry Potter vorlas, war das ein wunderbares Erlebnis für uns beide.”

In ihren Kursen nutzt die Dozentin gerne Gedichte und literarische Texte, aber auch Infotexte zum Blindenwesen, um Hintergründe zu vermitteln. Anhand der Beispiele lernen die Studierenden lesen und selbst auf einer Brailleschriftmaschine zu schreiben. Die Kurzschrift nimmt knapp die Hälfte der Kurszeit ein – mit ihr lässt sich nochmals deutlich schneller lesen und schreiben. Auch eine "Tastübung" gehört zum Kurs, bei der Kursteilnehmer:innen mit verbundenen Augen Tastbücher für Kinder kennenlernen. "Dieses Erlebnis finde ich wichtig." Dass es heute überhaupt ansprechende Bücher für blinde Kinder gebe, sei der Initiative des Vereins "Anderes Sehen" zu verdanken – die PHHD hält eine solche Sammlung in ihrer Bibliothek in der Zeppelinstraße vor.

Kampf für mehr Barrierefreiheit

Unterrichten nach Gehör funktioniert für die Dozentin bestens. Die Studierenden seien sehr interessiert und machten sich bei Fragen bemerkbar. Schwieriger findet sie, dass Hochschulgebäude für blinde Menschen nicht durchgängig barrierefrei sind: Fehlende Blindenleitsysteme im Altgebäude, lange Wege zu Toiletten, geänderte Möbelkonstellationen im Foyer/Seminarraum oder geschlossene Zwischentüren können hier schon irritieren.

Im öffentlichen Raum habe sich hingegen viel in Deutschland getan, sagt von Malottki. "Die Blindenleitsysteme an Haltestellen oder die Sprachausgaben in Aufzügen sind Errungenschaften. Auch die Auszeichnung von Medikamenten mit Blindenschrift haben Blindenverbände durchgesetzt." Sich in solchen Verbänden zu organisieren, findet sie wichtig, unter anderem engagiert sie sich im Karlsruher Beirat für Menschen mit Behinderung.

Es gibt noch genug zu tun - ein echtes Problem für Menschen mit Sehbeeinträchtigung sei aktuell beispielsweise die zunehmende Zahl von Touchscreens an Haushaltsgeräten, erzählt sie. Nur wenige Hersteller statteten Produkte mit Sprachausgaben aus. “Wir versuchen, auf die Politik einzuwirken, denn vieles wird erst gemacht, wenn man muss. Dabei wäre es günstiger, solche Aspekte von vorneherein mitzudenken.”

Auch die digitale Barrierefreiheit in Form von barrierefreien digitalen Texten sei noch nicht flächendeckend, nicht mal an inklusiven Schulen, so von Malottki. "Lobbyarbeit für unsere Rechte ist weiterhin nötig." Umso schöner, dass sie als PH-Dozentin Studierenden auch Einblick in ihren Alltag mit seinen Herausforderungen geben und dafür sensibilisieren kann. "Eine ehemalige Studentin sagte mir neulich, ich hätte ihr die Affinität zur Blindenschrift vermittelt. Ein besseres Lob kann ich mir gar nicht vorstellen!"

Text: Antje Karbe

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