Am 22. Oktober 1940 wurden innerhalb weniger Stunden über 6538 badische, pfälzische und saarländische jüdische Bürger*innen verhaftet und dann in das französische Internierungslager "Camp de Gurs" deportiert. Die Verantwortlichkeit dieser systematischen Deportation mit dem Ziel, die südwestdeutschen Gebiete "judenfrei" zu machen, wird kontrovers diskutiert.
Die NSDAP-Gauleiter Josef Bürckel (Pfalz) und Robert Wagner (Baden), die auch Chefs der Zivilverwaltungen in Lothringen und im Elsass waren, hatten in ihrer Funktion weitreichende Kompetenzen.
Es ist allerdings umstritten, ob die Gauleiter Bürckel und Wagner die alleinigen Initiatoren dieser „Aktion“ waren; sie handelten aber sicherlich im Einverständnis mit Hitler, mit dem Reichsführer-SS Himmler und mit Heydrich, dem Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes. Große organisatorische Anteile hatte zudem das Reichssicherheitshauptamt mit Adolf Eichmann. Ebenso ist ungeklärt, ob die beiden Gauleiter gleichermaßen beteiligt waren oder ob die Initiative zur Deportation allein von Josef Bürckel ausging und sie daher eher "Bürckel-Aktion" genannt werden sollte.
Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: Deportation badischer Juden. Online unter:
Muschalek, Marie: Robert Wagner, Gauleiter, Reichsstatthalter in Baden und Chef der Zivilverwaltung im Elsass. In: Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus. Online unter
Nordblom, Pia u.a. (Hg.): Josef Bürckel. Nationalsozialistische Herrschaft und Gefolgschaft in der Pfalz, Kaiserslautern 2019.
Im Ersten Weltkrieg waren etwa 85.000 jüdische deutsche Frontsoldaten eingesetzt, wovon 12.000 im Kampf für das eigene Vaterland starben. Allerdings stellten seit 1918 völkische Gruppierungen diese jüdischen Soldaten als „Drückeberger“ im Ersten Weltkrieg dar und gaben ihnen die Hauptschuld an der deutschen Niederlage.
Daraufhin wurde 1919 der „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ gegründet. Dieser war eine Vereinigung jüdischer deutscher Soldaten, die im ersten Weltkrieg gekämpft hatten, und hatte zum Ziel, die antisemitischen Anschuldigungen abzuwehren. Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten informierte über den Einsatz von Juden im Ersten Weltkrieg und zählte Mitte der zwanziger Jahre bereits 40.000 Mitglieder, die jeweils in Ortsgruppen organisiert waren.
Der Einsatz der Juden im Ersten Weltkrieg als auch Vereinigungen wie der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten machen deutlich, dass die jüdische Bevölkerung Teil der deutschen Gesellschaft war und sich für ihre deutsche Heimat einbrachte.
Scriba, Arnulf: Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF). Online unter:
Mit dem Wort „Zwangs-Arisierung“ wird in einem engeren Sinn der Transfer von jüdischen Besitztümern in das Besitztum „arischer“ Personen gemeint, also zum Beispiel der Verkauf von „jüdischen Firmen“ oder Grundstücken an „Arier“. In einem weiteren Sinn wird mit „Zwangs-Arisierung“ eine allumfassende Sicht gesehen, bei der die finanzielle Ausplünderung von Juden durch Sonderabgaben und Steuern, die Liquidierung von „jüdischen Betrieben“, die Verdrängung von „jüdischen Selbständigen“, die Enteignungen durch das Deutsche Reich und die Versteigerung von Hausrat nach den Deportationen eingeschlossen ist.
Die Verwendung des Begriffs „Arisierung“ birgt eine Problematik mit sich, da sie aus der Sprache der Nationalsozialisten stammt und deswegen auch eine starke kategorisierende und diskriminierende Wirkung besitzt. Demnach wird der Begriff heute nur in Anführungsstrichen verwendet oder in jüngeren Publikationen mit „Ausplünderung“ oder von „Vernichtung von jüdischen Besitztümern und wirtschaftlicher Existenz“ ausgetauscht.
Fritsche, Christiane: "Arisiert“ und „wiedergutgemacht“. Die Ausplünderung der Juden im „Dritten Reich“ und Entschädigungsversuche 1945 in Mannheim, in: Peter Steinbach u.a. (Hg.): Entrechtet – verfolgt – vernichtet. NS-Geschichte und Erinnerungskultur im deutschen Südwesten, Stuttgart 2016 (Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs, Band 45), S. 217-250.
Die Organisation Œuvre de secours aux enfants (zu Deutsch „Kinderhilfswerk“) war zur Zeit des Zweiten Weltkriegs eine der Organisationen, die jüdische Kinder aus den Internierungslagern rettete und unter falschen Identitäten bei anderen Familien in Frankreich, der Schweiz oder auch Italien unterbrachte. Einige Kinder konnten auch in die USA gebracht werden.
1934 bis 1938 bot die OSE jüdischen Kindern in Frankreich Tageslager an. Ab 1939 eröffnete sie zudem Kinderheime, wie die Villa Helvetia in Montmorency (nördlich Paris). Nach der Verschärfung der Lage in Frankreich und einigen Festnahmen von Mitgliedern der OSE arbeitete sie im Untergrund weiter und schaffte es durch ein von Georges Garel aufgebautes Netzwerk unbemerkt, weiter Kinder aus den Internierungslagern in helfenden Familien in Frankreich oder auch anderen Ländern unterzubringen.
Nach Ende des Kriegs kümmerte sich die OSE darum, Kinder mit ihren Eltern zusammenzubringen und von Waisen das Sorgerecht zu übernehmen.
Insgesamt rettete die OSE 2400 jüdische Kinder.
Bis heute hilft die OSE Benachteiligten.
Brändle, Brigitte und Gerhard, Gerettete und ihre Retterinnen. Jüdische Kinder im Lager Gurs: Fluchthilfe tut not – eine notwendige Erinnerung, Karlsruhe 2020.
OSE. 100 Years Of History 1912–2012, Paris o.J. (2012). Online unter:
Samuel, Vivette: Die Kinder retten, Frankfurt am Main 1999.
Am 15.11.1938 wurde vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ein Erlass herausgegeben, der den jüdischen Schüler*innen den Besuch einer „deutschen“ Schule ab sofort verbot. In einem weiteren Erlass vom 17.12.1938 wurde bestimmt, dass künftig keine staatlichen Zuschüsse mehr an jüdische Privatschulen gestattet wurden. Ab diesem Zeitpunkt oblag es der jüdischen Gemeinde, die finanziellen Mittel für ihre Schulen selbst aufzubringen. Bereits seit 1933 gab es eine jüdische Volksschule in Heidelberg.
Durch das am 25.04.1933 erlassene Gesetz gegen die Überfüllung von deutschen Schulen und Hochschulen wurde der Schulbesuch vieler jüdischer Kinder erschwert. Bis zum Erlass vom 17.12.1938 und seit 1936 hatte es in den allgemeinen öffentlichen Schulen jüdische Sammelklassen gegeben.
Hierfür war eine Mindestzahl an 20 Schüler*innen erforderlich. Bekannt ist, dass Paul Flegenheimer aus Wiesloch ab 1936 eine jüdische Schule, wohl die jüdische Volksschule, in Heidelberg besuchte. Wahrscheinlich wurde in Wiesloch die Mindestanzahl von 20 Schüler*innen für eine Sammelklasse nicht erfüllt.
Strieder, Dominic (2018), Der Ausschluss jüdischer Kinder aus den öffentlichen Schulen im NS-Staat. Was eine unscheinbar wirkende Postkarte vom 23. November 1938 alles verrät. Online unter:
Teschner, Gerhard: Die Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden am 22. Oktober 1940, Frankfurt/Main u.a. 2002, S. 38, 51f.
Sog. „Judenhäuser“ wurden seit 1939 eingerichtet, in sie wurden zwangsweise jüdische Bewohner*innen eingewiesen, die man anderswo aus ihren angestammten Häusern und Wohnungen vertrieb.
Die „Judenhäuser“ sollten für die Nationalsozialisten den Zweck erfüllen einerseits Jüd*innen räumlich von der nichtjüdischen Einwohnerschaft besonders in den Städten zu trennen. Andererseits sollte so die Überwachung durch die Ordnungsbehörden erleichtert werden. Passend dazu titelten die „Heidelberger Neuesten Nachrichten“ vom 11. Mai 1939 „Juden möglichst in bestimmten Häusern zusammengefaßt - Durchführungsbestimmungen zum Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“. In Heidelberg existierten 17 solcher „Judenhäuser“.
Giovannini, Norbert, Claudia Rink und Frank Moraw: Erinnern, Bewahren, Gedenken. Die jüdischen Einwohner Heidelbergs und ihre Angehörigen 1933 – 1945. Biographisches Lexikon mit Texten, Heidelberg 2011, S. 457-487
Nach den Waffenstillstandsverhandlungen am 22. Juni 1940 zwischen Frankreich und Deutschland gesteht Frankreich seine militärische Niederlage ein. In der Folge wird Frankreich in zwei Zonen eingeteilt – in eine nördliche, besetzte und eine südliche, unbesetzte Zone. Die Regierung der unbesetzten Zone zieht in den Kurort Vichy.
Am 10. Juli 1940 trifft sich dort die Nationalversammlung und setzt Marshall Pétain als neuen französischen Staatschef ein. Die alte Verfassung wird außer Kraft gesetzt. Die neue Regierung möchte die sogenannte „Revolution National“ vorantreiben und ersetzt die traditionellen Werte der französischen Revolution „Liberté, Égalité, Fraternité“ (Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit) mit den Prinzipien „Travail, Famille, Patrie“ (Arbeit, Familie und Vaterland).
Teil der Politik der Vichy Regierung ist die Kollaboration mit der deutschen NS-Regierung. Auch der Kurs der Vichy-Regierung ist durch Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus geprägt. Im sogenannten „Judenstatut“ vom 3. Oktober 1940 werden Jüd*innen aus öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, seit dem 4. Oktober 1940 sollen „ausländische Juden“ interniert werden. Ab 1942 gibt die Vichy-Regierung die Erlaubnis zur Verfolgung von Regimegegnern durch die Gestapo in der unbesetzten Zone.
Mayer, Michael: „Die französische Regierung packt die Judenfrage ohne Umschweife an“, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 50 (2010) Heft 3, S. 329-362.
Zalac, Claire: Discretionary Power in the Hands of an Authoritarian State: A Study of Denaturalization under the Vichy Regime (1940–1944), in: The Journal of Modern History 92 (2020) S. 817-858.
Rousso, Henry: Vichy. Frankreich unter deutscher Besatzung 1940 – 1944, München 2009.